# taz.de -- Enzensberger über Kurt von Hammerstein: Vielleicht konfus, vor all… | |
> Hans Magnus Enzensbergers Buch über Kurt von Hammerstein als Protagonist | |
> im Weltbürgerkrieg des 20. Jahrhunderts entzweit die Gemüter. | |
Bild: Kapituliert vor der Macht der Geschichte: Hans Magnus Enzensberger | |
Nun also auch er: Im Alter kapituliert selbst Hans Magnus Enzensberger, | |
Jahrgang 1929, vor der Macht der Geschichte. So schien es zumindest, als | |
der Suhrkamp Verlag sein Buch über jenen General Kurt Freiherr von | |
Hammerstein-Equord ankündigte, der seit 1930 Chef der Heeresleitung in der | |
Endphase der Weimarer Republik war. Denn bislang galt der vielseitige | |
Enzensberger unter den Autoren seiner Alterskohorte ja immer als der | |
Gegenwärtigste und Leichtfüßigste. Stets war er neugieriger, moderner und | |
der Zukunft zugewandter als die Mammutherde seiner vergangenheitsfixierten | |
Generationsgenossen Heiner Müller, Martin Walser, Günter Grass, Christa | |
Wolf, Walter Kempowski, unter deren dröhnenden Erinnerungsmarschschritten | |
die Nation regelmäßig erzitterte. | |
Solche deutschen Stoffe überließ Enzensberger anderen. Er beschäftigte sich | |
mit den intellektuellen Reizen der Mathematik, mit der "Geschichte der | |
Wolken" in seinem Gedichtzyklus von 2003 und diversen verlegerischen | |
Projekten. Daniel Kehlmann müsste Enzensberger Tantiemen zahlen, | |
schließlich bereitete dessen Edition von Alexander von Humboldts | |
"Kosmos"-Bänden - 2004 in der "Anderen Bibliothek" ein überraschender | |
Verkaufserfolg - erst das diskursive Feld für den Bestsellerruhm von | |
Kehlmanns Humboldt-Roman "Die Vermessung der Welt" ein Jahr später vor. | |
Wenn Geschichte, dann auf die Gegenwart bezogen und bitte schön ohne | |
konforme Seriosität: Des Essayisten Enzensbergers berühmt-berüchtigter | |
Vergleich von Saddam Hussein als "Hitlers Wiedergänger" von 1991 gehört in | |
diese Kategorie. Und eine Prise Apokalypse mit (altersbedingt?) fehlender | |
Scheu vor reaktionären Ressentiments steckt in seinen Prognosen: Vielleicht | |
schlug ja FAZ-Mitherausgeber Frank Schirrmacher, der "Hammerstein" in | |
seinem Feuilleton vorabdruckt, noch mal bei Enzensberger nach, bevor er | |
jüngst über die Bedeutung von Überfällen in öffentlichen Verkehrsmitteln | |
räsonnierte. Denn hatte der Dichter-Diagnostiker nicht schon 1993 in seinen | |
"Aussichten auf den Bürgerkrieg" in "jedem U-Bahn-Wagen" potenziell ein | |
"Bosnien en miniature" entdeckt? | |
Seit zwei Wochen ist nun also Enzensbergers "Hammerstein" auf dem Markt, in | |
Leinen schwarz-weiß-rot wie die Reichskriegsflagge - und sogleich heftig | |
umstritten. In der aktuellen Ausgabe der Zeit gibt es pro und contra: | |
Enzensberger-Biograf Jörg Lau hat dessen "kühnstes Werk seit Jahren" | |
gelesen, während Haushistoriker Volker Ullrich sich durch ein "konfuses, | |
seltsames Buch" mühte. Unter die Gürtellinie zielt Götz Aly mit seinen | |
Attacken in der Süddeutschen Zeitung, die von bemerkenswerter geistiger | |
Enge und der intellektuell dürftigen Wut des zu kurz gekommenen | |
68er-Renegaten auf das Establishment der Alten zeugen: "altvertraute | |
Überheblichkeit", "literarisch versagt", "rechthaberische Unbedingtheit", | |
"Szenen nach dem Muster Guido Knopps", "Altherren-Räsonnement". Der | |
spießige Vorwurf, unhistorisch gearbeitet zu haben, verfehlt ohnehin sein | |
Ziel; Dr. Hans Magnus Enzensberger ist promovierter Germanist. | |
Vielmehr muss man dankbar sein, dass sich kein Normalhistoriker diesem | |
Stoff gewidmet hat. Denn die Geschichte Hammersteins und seiner sieben | |
Kinder ist ein kunstvoller Abenteuer- und Familienroman des 20. | |
Jahrhunderts: der adlige, 1934 pensionierte mächtige General als | |
Nazigegner, der sich dennoch bis zu seinem Tod 1943 nicht zur Tat aufraffen | |
will, seine kommunistischen, mit KPD-Agenten liierten Töchter, die im | |
Auftrag der Sowjetunion den Safe ihres Vaters ausspionieren, sein Sohn, der | |
nach dem 20. Juli 1944 untertaucht, weil er im Bendlerblock mit dabei war. | |
Enzensberger schneidet diesen historisch genau recherchierten, | |
hochspannenden Plot in kurzen Szenen zusammen: populär, in sichtbar | |
pädagogischer Absicht und ohne Anspruch auf Weltliteratur. Das kann man | |
literarisch als verschenktes Alterswerk bedauern. Seine fiktiven Interviews | |
mit den Protagonisten wirken mitunter gewollt; eingestreute historische | |
Reflexionen eher anspruchslos und onkelhaft. Mantraartig wiederholt | |
Enzensberger die legendäre Faulheit Hammersteins bei gleichzeitiger | |
überragender Intellektualität: offenbar ein Identifikationsmoment für den | |
Verfasser. | |
Enzensbergers Verdienst für friedliche Leser heute liegt aber woanders: Er | |
zeigt, dass die scheinbar starren Fronten im oft tödlichen Weltbürgerkrieg | |
des letzten Jahrhunderts weitaus diffuser und verwirrender waren, als es | |
rückblickend erscheint. Gegner konnten einander menschlich nahe kommen, | |
nicht nur in einer Familie; die Extreme lagen häufig dicht nebeneinander, | |
Seitenwechsel kamen vor. So anschaulich wie der alte Enzensberger hat das | |
noch niemand zu schildern vermocht. | |
19 Jan 2008 | |
## AUTOREN | |
Alexander Cammann | |
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Buch | |
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