# taz.de -- Schulze und Pistorius in Afrika: Strategiewechsel im Sahel | |
> Die Mali-Mission der Bundeswehr ist gescheitert. Jetzt reiste der | |
> Verteidigungsminister mit der Entwicklungsministerin in den Sahel. Das | |
> ist neu. | |
Bild: Boris Pistorius und Svenja Schulze im Camp Vie Allemand in Niamey | |
BAMAKO/GAO taz | Es gibt schönere Orte, um Präsenz zu zeigen. Die Sonne | |
knallt auf die faustgroßen Kieselsteine, die fast den gesamten Boden im | |
Militärstützpunkt von Niamey im Niger bedecken. Der Wüstenwind bläst wie | |
ein Heißluftfön, man fühlt sich wie in einer überdimensionierten Sauna. | |
Hier sind 150 Bundeswehrsoldat:innen stationiert. Sie leisten bis zu | |
sechs Monate Dienst inmitten des mit Sandsäcken und Stacheldraht umzäunten | |
Areals. Die meisten verlassen das Camp während der gesamten Dienstzeit nie. | |
Doch auf Niamey und diesem Bundeswehrstützpunkt ruht die Hoffnung. Nicht | |
nur weil er das Drehkreuz für den Abzug der Bundeswehr aus dem benachbarten | |
Mali sein wird. Der wesentlich größere und schärfer gesicherte deutsche | |
Militärstützpunkt in Gao, wo derzeit 1.100 Soldat:innen stationiert | |
sind, die sich an der [1][UN-Mission Minusma] beteiligen, liegt nur eine | |
dreiviertel Flugstunde entfernt. Gerade wird im Camp in Niamey eine neue | |
Abfertigungshalle gebaut, ab Juni sollen über den benachbarten Flughafen | |
Menschen und Material aus Mali ausgeflogen werden. | |
## Die Zusammenarbeit bleibt | |
Parallel zum Abzug soll in Niamey etwas Neues beginnen. Die | |
Bundesregierung hat beschlossen, dass sich die Bundeswehr mit bis zu 60 | |
Soldat:innen an der europäischen Militärmission EUMPM beteiligen wird. | |
In der nächsten Woche will der Bundestag den Antrag debattieren. Es soll | |
dabei nicht um Kampfeinsätze gehen – die Bundeswehr soll das nigrische | |
Militär bei der Ausbildung unterstützen und eine Technikerschule aufbauen. | |
Der Einsatz markiert auch einen Strategiewechsel. Statt großer | |
Militäreinsätze, wie in Afghanistan und Mali, setzt Deutschland auf | |
kleinere Missionen und auf Entwicklungszusammenarbeit. „Sicherheit ist | |
nicht nur militärisch zu verstehen, sondern bedeutet auch, sich um die | |
Situation der Menschen vor Ort zu kümmern“, sagt Entwicklungsministerin | |
Svenja Schulze, SPD, am Mittwoch in Niamey. Auch Verteidigungsminister | |
Boris Pistorius scheut sich anders als seine Vorgänger nicht, militärische | |
Sicherheit und Entwicklungszusammenarbeit in einem Atemzug zu nennen. Das | |
eine ohne das andere funktioniere nicht, sagt Pistorius. Zum Abschluss der | |
Reise bekräftigte er: „Mit dem Abzug aus Mali schließen wir ein Kapitel ab, | |
aber die Zusammenarbeit bleibt.“ | |
## Deutschland zeigt Präsenz im Sahel | |
Dieser integrierte Ansatz soll Teil der Nationalen Sicherheitsstrategie | |
sein, die die Ampelkoalition demnächst vorstellen will. Schulze und | |
Pistorius wirkten wie die Protagonisten in einem Trailer zur | |
Sicherheitsstrategie, als sie demonstrativ gemeinsam von Mittwoch bis | |
Freitag die Länder Niger und Mali bereisten. | |
Deutschland zeigt Präsenz im Sahel, einer der ärmsten Regionen der Welt, wo | |
die vielen Krisen, der Klimawandel, das Bevölkerungswachstum, der Mangel an | |
Nahrungsmitteln, der schlechte Zugang zu Bildung und der Einfluss | |
islamistischer Prediger aus Saudi-Arabien Terrorismus und Flüchtlingsströme | |
produzieren. Und wo China und Russland – die einen mit Investitionen, die | |
anderen mit Söldnern – an Einfluss gewinnen. | |
## Der Abzug aus Mali ist Ausdruck eines Scheiterns | |
Dass man mit Militärmissionen nur sehr begrenzt etwas erreichen könne, | |
hätten die Einsätze in Afghanistan und in Mali gezeigt, sagt die grüne | |
Verteidigungsexpertin Agnieszka Brugger. „Am Ende sind politische Faktoren | |
entscheidender, ob Entwicklung erfolgreich verläuft, etwa dass die | |
Regierungen vor Ort in der Lage sind, stabile demokratische Strukturen | |
aufzubauen.“ | |
Als sie vor zehn Jahren Mali zum ersten Mal besuchte, habe Euphorie im Land | |
geherrscht – der Vormarsch der Dschihadisten gestoppt, ein Friedensabkommen | |
in Reichweite. Nun ist sie als Teil der Delegation um Pistorius und Schulze | |
zum wiederholten Mal in Mali, wo die demokratisch gewählte Regierung vor | |
zwei Jahren weggeputscht wurde – und spürt die Enttäuschung über die | |
verfehlte Entwicklung vor Ort. | |
Der Abzug der Bundeswehr aus Mali ist auch Ausdruck eines Scheiterns. | |
## Die Menschen flüchten vor den Islamisten | |
Das benachbarte Niger soll nun zum Stabilitätsanker in der Region werden. | |
Niger hat, anders als die benachbarten Sahel-Staaten, immerhin eine | |
demokratisch gewählte Regierung. Aber taugt das laut UN drittärmste Land | |
der Welt wirklich zum Stützpfeiler für eine ganze Region? | |
Außerhalb des deutschen Camps in Niamey ist das Leben härter. Auf Einladung | |
des Entwicklungsministeriums kommt eine Gruppe von Bürgermeister:innen | |
ins Camp. | |
Die vielen Menschen, die vor den Dschihadisten fliehen, sei es aus dem | |
Sudan, dem benachbarten Mali oder aus dem unsicheren Norden des Landes, | |
seien ein „Riesenproblem“, sagt Mohamed Anacko, Präsident des Regionalrates | |
von Agadez, einer Region im Norden von Niger. „Wir haben hunderttausend | |
Flüchtlinge aufgenommen, aber wir schaffen es schon lange nicht mehr, alle | |
Asylanträge zu bearbeiten. Die Menschen müssen bis zu fünf Jahre warten, | |
bis ihr Antrag durch ist. So lange wartet niemand, die jungen Leute fangen | |
eher an zu schießen.“ Er fordert die EU auf, ihre Strategie zu ändern und | |
sein Land stärker zu unterstützen. | |
## Zentrum des islamischen Terrorismus in Afrika | |
Die EU hat 2016 ein Flüchtlingsabkommen mit dem Niger geschlossen: Wir | |
geben euch Geld, ihr stoppt die Transitflüchtlinge, die an die libysche | |
Küste und von dort nach Europa wollen, so der Deal. Doch das funktioniere | |
längst nicht mehr, meint Anacko. „Wir sind kein Transitland mehr, sondern | |
Zielland. Die Menschen kommen zu uns, um zu bleiben. Wir brauchen Geld, um | |
uns um sie zu kümmern, für Infrastruktur, Wasser, Gesundheit, Bildung. | |
Sonst wird Agadez zum Zentrum islamistischer Bandenkriminalität.“ | |
Das kann nicht im Interesse der Deutschen sein. Der Sahel gilt als Zentrum | |
des islamischen Terrorismus in Afrika. Dass er wieder nach Europa | |
überschwappt, sieht man in Regierungskreisen als reale Gefahr. | |
## Bildung und Gesundheit stärken | |
Ein weiteres Problem ist das Bevölkerungswachstum in der Region. „Ein Mann | |
kann bis zu vier Frauen haben, und manche Mädchen werden schon im Alter von | |
12 Jahren verheiratet. Die Frauen hier bekommen im Schnitt 6 bis 8 Kinder“, | |
erzählt Moussa Aissa Ali, die Bürgermeisterin der Gemeinde Sakoira nördlich | |
der Hauptstadt Niamey. Sie ist eine von nur 14 weiblichen Bürgermeistern in | |
Niger. „Der Staat gibt sehr viel Geld für Sicherheit aus. Aber wir müssen | |
vor allem Bildung und Gesundheit stärken, vor allem für Mädchen und Frauen, | |
das schafft Stabilität und damit auch Sicherheit“, sagt sie. | |
Die Bildung für Mädchen zu verbessern hat der nigrische Präsident Mohamed | |
Bazoum bei Amtsantritt 2021 zur Priorität erklärt. Doch aktuell geht fast | |
die Hälfte der Kinder in Niger nicht zur Schule, unter den Mädchen ist der | |
Anteil noch höher. In den anderen Sahelländern Mali, Tschad, Burkina Faso | |
und Mauretanien ist es ähnlich. „Da wächst eine sehr junge Bevölkerung | |
heran, die kaum die Schule besucht hat“, sagt Ulf Laessing, Direktor für | |
den Sahel bei der Konrad-Adenauer-Stiftung in der malischen Hauptstadt | |
Bamako. | |
Entwicklungsministerin Schulze will dem Terrorismus den Nährboden | |
entziehen. Wenigstens ein bisschen. Doch wie weit reichen 400 von | |
Deutschland gebaute Klassenzimmer und Unterstützung für 8.000 Bäuer:innen | |
in einem Land mit 25 Millionen Menschen, von denen die Hälfte in absoluter | |
Armut lebt. Es scheint eine Mission impossible zu sein. | |
## Wo bleibt der Übergang zur Demokratie? | |
Immerhin soll die deutsche Entwicklungszusammenarbeit mit dem Niger stabil | |
bleiben, könnte sogar wachsen. Denn die deutschen | |
Entwicklungshelfer:innen und Soldat:innen sind hier willkommen. | |
Die malische Militärregierung wendet sich dagegen zunehmend ab. | |
Inzwischen hat sich die Stimmung zwar etwas entspannt. Schulze und | |
Pistorius werden beide vom malischen Putschpräsidenten Assimi Goïta | |
empfangen. Allerdings anders als ursprünglich vereinbart ohne | |
Pressebegleitung und damit ohne kritische Nachfragen. | |
Kein gutes Omen für den von der malischen Regierung angekündigten | |
Übergangsprozess hin zur Demokratie. Ob dieser gelingt, davon wird es auch | |
abhängen, wie stark sich Deutschland weiterhin in dem Land engagiert. | |
## Eher Suche als Strategie | |
Schulzes Botschaft lautet zwar: Wir bleiben, auch nachdem die Bundeswehr | |
abgezogen ist. Doch klar ist bereits: Im Jahr 2021 stellte das | |
Entwicklungsministerium 70 Millionen Euro für die bilaterale | |
Entwicklungszusammenarbeit mit Mali bereit. Im nächsten Haushalt wird für | |
diesen Posten aber eine drastische Kürzung erwartet. Es geht dabei | |
allerdings um große Infrastrukturprojekte, die in Zusammenarbeit mit dem | |
malischen Staat entstehen. | |
„Im Moment gehen die Sätze für Mali etwas runter und für Niger etwas hoch, | |
weil wir auch Demokratien fördern wollen“, sagt Schulze. Was bedeutet das | |
für Projekte wie das von Tako Sylla, die in Bamako und Umgebung eine | |
Kooperative von Mangoproduzentinnen leitet? „Wir sind 14 Unternehmerinnen, | |
alles Frauen“, berichtet sie. Die Deutsche Gesellschaft für Internationale | |
Zusammenarbeit unterstützt sie bei der Suche nach Märkten und mit besseren | |
Werkzeugen. „Wir brauchen die deutsche Unterstützung“, sagt sie. „Am bes… | |
mehr davon.“ | |
Sich aus solchen autoritär regierten Staaten zurückzuziehen ist keine | |
Option. Das würde bedeuten, China und Russland noch mehr Raum zu geben. Es | |
ist eine Gratwanderung. Eher Suche als Strategie. | |
15 Apr 2023 | |
## LINKS | |
[1] /UN-Mission-in-Mali/!5927989 | |
## AUTOREN | |
Anna Lehmann | |
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