# taz.de -- Westliche Politik in der Sahel-Zone: Zeitenwende in Mali | |
> Die Putschregierung in Bamako genießt hohes Ansehen, auch außerhalb des | |
> Landes. Der Westen muss sein Vorgehen im Sahel völlig neu ausrichten. | |
Bild: Fußballfan von Mali und Fan von Juntaführer Assimi Goita beim Africa-Cu… | |
Als die aus einem Doppelputsch hervorgegangene [1][malische | |
Übergangsregierung] am 23. Februar in der UN-Vollversammlung die | |
Verurteilung des russischen Angriffskriegs in der Ukraine ablehnte, war die | |
Empörung groß. Der Bundeswehrverband forderte, dass Deutschland seine | |
Beteiligung an der UN-Friedensmission Minusma in Mali beenden müsse, selbst | |
im Auswärtigen Amt wuchsen die Zweifel. Das Abstimmungsverhalten schien | |
bestens in das Bild einer wild gewordenen Militärjunta zu passen, die immer | |
enger mit Russland kooperiert, die Kritiker:innen mundtot macht und die | |
sich auf Konfrontationskurs mit dem Westen befindet. | |
Gleichwohl wäre die deutsche Öffentlichkeit gut beraten, genauer zu klären, | |
was in Mali tatsächlich passiert. Denn breite Teile der malischen | |
Bevölkerung schauen optimistisch in die Zukunft, laut verschiedenen Quellen | |
stehen 70 bis 90 Prozent der Menschen an der Seite der Übergangsregierung. | |
Auch in anderen afrikanischen Ländern gilt Mali als Vorreiter, als ein | |
Land, das sich traut, dem Westen die Stirn zu bieten. Die viel gelesene | |
Internetzeitung Agence Ecofin ließ im Februar ihre Leser:innen darüber | |
abstimmen, welche afrikanischen Persönlichkeiten das größte Vertrauen | |
genießen. Assimi Goita, Chef der malischen Übergangsregierung, landete auf | |
Platz 4. Vor ihm firmierten lediglich ein nigerianischer Unternehmer, ein | |
kamerunischer Journalist und ein senegalesischer Fußballstar. | |
Umfragen sind flüchtig, dennoch kommt die Zustimmung nicht von ungefähr. Am | |
wichtigsten dürfte Malis Haltung gegenüber Frankreich sein, dessen | |
selbstherrliches und ineffektives Agieren im Antiterrorkampf schon lange in | |
der Kritik steht. Als die ehemalige Kolonialmacht im Juni 2021 den Abzug | |
ihrer Truppen verkündete, bat die malische Regierung nicht um Aufschub, | |
sondern meinte kühl, dass dies Frankreichs eigene Entscheidung sei. | |
Gleichzeitig intensivierte sie die vom Westen heftig kritisierte | |
Zusammenarbeit mit Russland. Hierzu gehörten auch Waffenlieferungen wie | |
Hubschrauber und Radartechnik, was Frankreich jahrelang verweigert hatte, | |
mit dem Effekt, dass Mali militärisch abhängig blieb. Ähnlich 2022, als die | |
westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft Ecowas Mali mit | |
Wirtschaftssanktionen überzog, nachdem die Übergangsregierung eine | |
Verschiebung der regulären Wahlen angekündigt hatte. Auch hier blieben die | |
Militärs abgeklärt, obwohl die Sanktionen schärfer waren als alle bis heute | |
gegen Russland verhängten Maßnahmen. | |
## Das kollektive Sicherheitsgefühl ist besser geworden | |
Aus westlicher Sicht glich dies einem Vabanquespiel. Doch viele | |
Malier:innen ziehen eine andere Bilanz. Sie verweisen auf die | |
verbesserte Sicherheitslage, darunter auch Bauern und Bäuerinnen im Office | |
du Niger, einem von Terrorgruppen immer wieder heimgesuchten | |
Bewässerungsgebiet im Zentrum des Landes: Die großen Straßen seien wieder | |
passierbar, die Felder zugänglich, das kollektive Sicherheitsgefühl habe | |
sich spürbar erhöht. Das ist natürlich nur ein Ausschnitt, in anderen | |
Regionen sieht es schlechter aus, zumal das Banditenwesen allenthalben | |
explodiert ist. | |
Und doch gibt es einen übergreifenden Konsens: Die 2012 kollabierte Armee | |
habe sich erholt, die Durchsetzungsfähigkeit der Terroristen sei im | |
Schwinden, trotz punktueller Herrschaft über einzelne dörfliche Gebiete. | |
Entsprechend seien auch UN-Berichte mit Vorsicht zu genießen, wonach sich | |
die Zahl getöteter Zivilist:innen von 2021 bis 2022 verdoppelt habe. | |
Denn Terrorist:innen und Zivilbevölkerung seien keine trennscharfen | |
Gruppen, auch wenn kaum jemand die Gefahr von Menschenrechtsverletzungen | |
durch staatliche Sicherheitskräfte bestreitet. Als Erfolge gewürdigt werden | |
der verstärkte Kampf gegen Korruption, höhere Investitionen in die | |
Infrastruktur und Fortschritte im Justizwesen. Und natürlich der Umstand, | |
dass Assimi Goita wieder Zukunftshoffnung geweckt habe. | |
Aus Sicht der einstigen politischen Klasse ist dies Propagandakitsch, sie | |
spricht von Diktatur: Wahlen seien nicht in Sicht, der Präsident solle | |
zukünftig noch stärkere Rechte erhalten und mehrere Menschen säßen wegen | |
Meinungsdelikten in Haft. Die Kritik ist nicht ganz von der Hand zu weisen, | |
und doch wirkt vieles überzogen. Aufschlussreicher ist daher, was jene | |
Akteure sagen, die im Sommer 2020 zum Sturz von Präsident Ibrahim Boubacar | |
Keita beigetragen haben, deren Urteil also nicht von der Erfahrung des | |
Privilegienverlustes geprägt ist. | |
Nicht wenige zeigen sich ebenfalls ernüchtert, sie kritisieren mangelnde | |
Visionen und Gesprächsbereitschaft der Militärs, etwa der Filmregisseur | |
Cheik Oumar Sissoko. Sie warnen davor, dass die freiwillige | |
Nichtinanspruchnahme von Grundrechten wie Redefreiheit zur Friedhofsstille | |
führen könnte. Und doch betonen auch sie, dass eine Rückkehr zum früheren | |
Status quo nicht wünschenswert sei. | |
Alles spricht dafür, dass sich in Mali vor allem die Jugend längst | |
entschieden hat. Nicht für Russland, sondern für echte Unabhängigkeit. | |
„Gagner-Gagner“ – Win-win, so lautet das neue Zeitenwendecredo: Wir wollen | |
Beziehungen mit allen, also auch mit China, Russland oder der Türkei, die | |
meist bessere Geschäfte anbieten als westliche Länder. | |
Für die kommende [2][Minusma-Debatte im Bundestag] bedeutet dies: Eine | |
Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der UN-Friedensmission bis zum | |
geplanten Ende im Mai 2024 scheint allein aus praktischen Gründen | |
alternativlos. Wichtiger ist, bereits jetzt über egalitäre Formen | |
zukünftiger Zusammenarbeit nachzudenken. Die vor allem in Frankreich | |
forcierte Isolierung Malis riecht nach Rache. Vielmehr muss Europa seine | |
rabiate Interessenpolitik überwinden, nicht nur im Migrationsbereich. Denn | |
die Menschen in Mali und im Sahel sind nicht mehr bereit, die ihnen | |
historisch zugewiesene Rolle als Statist:innen im vermeintlichen | |
Armenhaus der Welt zu spielen. | |
13 Apr 2023 | |
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## AUTOREN | |
Olaf Bernau | |
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