# taz.de -- Deutsche Politik in der Sahelzone: Wo Kritik unerwünscht ist | |
> Kann Deutschland in der Sahelzone aus dem Schatten Frankreichs treten? | |
> Tschads Ausweisung des deutschen Botschafters wirft schwierige Fragen | |
> auf. | |
Bild: Im Schatten französischer Interessen: Bundeswehrsoldat in Mali | |
Gordon Kricke ist zurück in Berlin. Der deutsche Botschafter in Tschad | |
wurde am Freitag [1][hinausgeworfen], am Samstag nahm er den Nachtflug nach | |
Paris. Dass eine befreundete Regierung einen Botschafter schriftlich zum | |
Verlassen des Landes innerhalb von 48 Stunden auffordert, ohne ihn auch nur | |
einbestellt zu haben, ist mehr als ein Affront. Es wirft grundsätzliche | |
Fragen zur europäischen Politik in der afrikanischen Sahelzone auf, und | |
diese Fragen richten sich an Deutschland. | |
Tschads Regierung warf dem deutschen Botschafter „unhöfliche Haltung“ und | |
„mangelnden Respekt für die diplomatischen Gepflogenheiten“ vor. Das | |
Auswärtige Amt in Berlin sagt offiziell, es könne den Vorwurf nicht | |
nachvollziehen, doch Eingeweihte wissen, worum es geht. Als [2][der junge | |
Mahamat Déby] am 20. April 2021 nach dem Tod seines Vaters und | |
Amtsvorgängers Idriss Déby Tschads Staatschef wurde, akzeptierten Tschads | |
Partner das nur, weil er bei Wahlen nach einer Übergangszeit von 18 Monaten | |
die Macht wieder abgeben sollte. Aber im vergangenen Oktober ließ Mahamat | |
Déby in einem von wichtigen Oppositionskräften boykottierten „nationalen | |
Dialog“ die Übergangszeit um zwei Jahre verlängern, und er selbst wird bei | |
Wahlen antreten dürfen, womit sein Machtverbleib gesichert ist, denn freie | |
Wahlen gibt es in Tschad nicht. | |
„Besorgt“ äußerten sich damals öffentlich zahlreiche Botschafter, darunt… | |
der Deutschlands, denn sie fühlten sich düpiert. Berichten zufolge soll | |
Gordon Kricke nichtöffentlich noch andere Worte verwendet haben. Auf den | |
Straßen war die Reaktion heftiger. Oppositionelle [3][gingen am 20. Oktober | |
auf die Straße], die Sicherheitskräfte schossen und am Ende waren nach | |
amtlichen Angaben 73 Menschen tot, laut Opposition mehrere hundert. Das | |
grauenhafte Massaker, international ignoriert, war für Mahamat Déby eine | |
Feuertaufe. | |
Der 39-Jährige reiht sich nun ein in eine lange Riege von Gewaltherrschern. | |
Diktator Hissène Habré, der 1982 putschte und gemeinsam mit Frankreich | |
Libyen bekämpfte, richtete grausame Foltergefängnisse ein und hat das Blut | |
von Zehntausenden an den Händen. Ein panafrikanisches Tribunal | |
[4][verurteilte ihn später] wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Da | |
war er schon lange im Exil, 1990 gestürzt von Rebellenführer Idriss Déby, | |
der mit dem Segen Frankreichs putschte und eine neue Diktatur errichtete. | |
Für Frankreichs Machtpolitik in Afrika ist Tschad zentral. Am Flughafen der | |
Hauptstadt N’Djamena befindet sich die neben Dschibuti wichtigste | |
französische Militärbasis des Kontinents. Jahrzehntelang starteten dort | |
Militärinterventionen zum Schutz befreundeter Diktatoren. Heute starten von | |
dort Antiterroreinsätze. Die aus Frankreichs Militäreinsatz in Mali 2013 | |
hervorgegangene Antiterroroperation [5][Barkhane] hat in N’Djamena ihr | |
Hauptquartier. | |
Gewaltherrscher Mahamat Déby sitzt in N’Djamena fest im Sattel. Nach dem | |
Oktobermassaker wurden 621 verhaftete Jugendliche in das Wüstengefängnis | |
Koro Toro 600 Kilometer außerhalb der Hauptstadt gebracht, viele starben | |
bei der Reise ohne Wasser auf offenen Lastwagen, die anderen wurden in | |
Zellen mit bis zu 50 Insassen gepfercht, mit Terrorhäftlingen als Wächter. | |
Nach einem Sammelprozess wurden viele begnadigt und berichten nun zu Hause | |
vom Staatsterror. Die berühmte Menschenrechtlerin Delphine Djiraibé, die | |
einst Habré vor Gericht brachte, sitzt faktisch unter Hausarrest und | |
berichtet von einer „Bevölkerung in Angst“. Derweil organisiert Frankreich | |
auf seiner Militärbasis Zeremonien und hält mit Tschads Streitkräften | |
Manöver ab. | |
Die meisten Menschen in den Sahelstaaten sehen Frankreich als neokolonialen | |
Unterdrücker, der Afrika arm hält, um sich selbst zu bereichern, und freuen | |
sich über jeden Schlag gegen Pariser Interessen. In Mali, regiert von einer | |
prorussischen Militärdiktatur, stehen deutsche Soldaten im Rahmen einer | |
UN-Mission, die vor Ort als Werkzeug Frankreichs gesehen wird, da sie im | |
Zuge der französischen Militärintervention entstand. In Niger, wo der | |
einzige gewählte zivile Präsident der Region regiert, agiert die Bundeswehr | |
an der Seite der aus Mali verlegten Franzosen. | |
Deutschland präsentiert seine Sahelpolitik als Teil einer europäischen | |
Antwort auf Terror und Unterentwicklung. Die EU-Politik vor Ort wird aber | |
von Frankreich gemacht, das die EU-Vertretungen in den Ländern dominiert. | |
Nie hat Frankreich seine Truppen einem UN- oder EU-Rahmen unterstellt, kein | |
französischer Diplomat würde Deutschland in heikle Gespräche mit | |
afrikanischen Freunden einbeziehen. Frankreich fährt in Afrika klassische | |
Machtpolitik, die Machtfragen notfalls außerhalb der Legalität und mit | |
Gewalt klärt. Deutschland agiert als eine Art Frankreich light, das von | |
Sicherheit und Entwicklung spricht, aber keine Machtinstrumente aufzubieten | |
hat. | |
In Berlin ist derzeit viel von einer neuen Sahelpolitik die Rede. Eine neue | |
„Initiative“ ist in Arbeit, das nächste Mandat für die Bundeswehr in Mali | |
steht an, demnächst reisen Entwicklungsministerin Svenja Schulze und | |
Verteidigungsminister Boris Pistorius in die Region. Seit Jahren wird die | |
Sahelarbeit der Bundesregierung ressortübergreifend im „Arbeitsstab Sahel“ | |
gebündelt, anfangs geleitet von Gordon Kricke, Sahel-Beauftragter des | |
Auswärtigen Amtes, bevor er 2021 Botschafter in N’Djamena wurde. In | |
Deutschland hat seine Stimme Gewicht. In Tschad wird er ins Flugzeug | |
gesetzt, sobald er den Mund aufmacht. | |
Offene Kritik an den Verhältnissen in Tschad ist für eine deutsche | |
Sahelpolitik vermutlich wichtiger als alles, was die Bundeswehr in Mali | |
leisten kann. Man kann nicht glaubwürdig gegen Militärdiktaturen in Mali | |
und Burkina Faso eintreten, wenn man an der Seite Frankreichs zur | |
Militärdiktatur Tschads schweigen muss. Eine Sahelpolitik, die tatsächlich | |
friedliche Entwicklung zugunsten der Bevölkerung fördert, muss sich von | |
Frankreichs Machtinteressen lösen. | |
11 Apr 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://twitter.com/com_gouv_td/status/1644420951356964865 | |
[2] /Krieg-in-Tschad/!5768050 | |
[3] /Zahlreiche-Tote-in-Tschad/!5885944 | |
[4] /Urteil-gegen-Exdiktator-Hissene-Habre/!5305162 | |
[5] https://fr.wikipedia.org/wiki/Op%C3%A9ration_Barkhane | |
## AUTOREN | |
Dominic Johnson | |
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