# taz.de -- Xi Jinping in Russland: Xis Drahtseilakt in Moskau | |
> Bei seinem Russland-Besuch wird Chinas Staatschef Xi Jinping auch das | |
> Thema Ukrainekrieg anpacken – aber mit Samthandschuhen. | |
Bild: Die Auslage eines Souvenirgeschäfts in Moskau am 20. März | |
PEKING taz | Fast pünktlich zur Mittagsstunde wurde für Xi Jinping am | |
Moskauer Regierungsflughafen der rote Teppich ausgerollt. In einer ersten | |
Ansprache ließ der 69-jährige Staatschef zunächst die russisch-chinesischen | |
Beziehungen der letzten Dekade Revue passieren, was sich wie ein einziger | |
Lobgesang anhörte: Xi pries das „vertiefte politische Vertrauen“, „die | |
praktische Zusammenarbeit“ und die Völkerfreundschaft, die sich „in den | |
Herzen der Menschen verwurzelt“ hat. | |
Doch gleichzeitig machte der Parteivorsitzende auch deutlich, dass es bei | |
seinem ersten Staatsbesuch in diesem Jahr auch um den Ukrainekrieg gehen | |
würde: Von einem „ausführlichen Meinungsaustausch“ mit Putin über „wic… | |
internationale Fragen“ sprach Xi – und zeigte sich zuversichtlich, dass | |
sein Besuch „zu fruchtbaren Ergebnissen führen“ werde. Aus europäischer | |
Sicht dürfte das durchaus Erwartungen wecken. | |
Die ganze Welt schaut derzeit auf das Treffen der zwei „alten Freunde“ Xi | |
und Putin, deren mittlerweile vierzigstes persönliches Treffen wohl das am | |
meisten erwartete von allen sein wird. Insbesondere für die Europäische | |
Union ist Chinas Umgang mit Russland die Gretchenfrage, wenn es darum geht, | |
die eigenen Beziehungen zur Volksrepublik neu auszurichten. [1][Und trotz | |
des enttäuschenden „Friedensplans“ der Chinesen von Mitte Februar] ist die | |
Hoffnung noch nicht erloschen, dass Xi endlich seinen Einfluss auf Putin | |
für eine Deeskalation des Krieges nützen könnte. | |
Die chinesische Innensicht ließ daran im Vorfeld wenig Hoffnung aufkommen. | |
Denn wer dieser Tage die Volkszeitung (Renmin Ribao) aufschlägt – das | |
offizielle Zentralorgan der Kommunistischen Partei –, wird ausschließlich | |
mit heroischen Fanfarenklängen auf diesen historischen Staatsbesuch | |
eingestimmt: Da werden die florierenden Handelsbeziehungen gelobt, neue | |
Kooperationsfelder ausgelotet und eine historische Freundschaft zelebriert, | |
die doch in der Realität überaus kompliziert war. | |
## Absurde Anspielungen | |
Dass nach wie vor in der Ukraine ein blutiger Krieg geführt wird, kommt im | |
Propagandakosmos der chinesischen Staatsmedien praktisch nicht vor. Nur in | |
absurd verklausulierten Anspielungen wird vage angedeutet, dass der | |
Konflikt auch in Moskau bei Xi und Putin auf der Gesprächsagenda landen | |
könnte: „Angesichts nie dagewesener Herausforderungen in der Welt | |
verpflichten sich Russland und China, eine konstruktive Rolle für den | |
Weltfrieden zu spielen.“ | |
Dennoch hätte Peking zumindest theoretisch das Potenzial, die | |
internationale Staatengemeinschaft mit einem diplomatischen Vorstoß zu | |
überraschen. Schließlich hatte es die Volksrepublik vor anderthalb Wochen | |
geschafft, scheinbar aus dem Nichts einen Deal zwischen Saudi-Arabien und | |
dem Iran einzufädeln. | |
Einiges würde für eine Initiative der Chinesen sprechen, argumentiert etwa | |
Bert Hofman, bis 2019 Weltbank-Länderdirektor für China: „Es ist schwer | |
vorstellbar, dass Xi jetzt nach Moskau fährt, nur um über die Vertiefung | |
des kulturellen Austauschs zu sprechen“, kommentiert der Ökonom auf | |
Twitter. Denn der Preis, den politischen Westen – den nach wie vor | |
wichtigsten Handelspartner – durch eine weitere Stärkung der Beziehungen zu | |
Russland zu verärgern, sei einfach zu hoch. Von daher wolle Xi sicherlich | |
einen diplomatischen Sieg mit nach Hause nehmen, um der Welt zu | |
demonstrieren, wie Chinas Friedensvermittlung in der Praxis aussehe. | |
Doch Fakt ist: Neutral ist die Volksrepublik in diesem Konflikt keineswegs. | |
Bislang hat Peking ausschließlich den USA und der Nato die Schuld | |
angelastet; direkte Kritik an Russland hingegen ließ sich bislang noch | |
nicht einmal zwischen den Zeilen vernehmen. Insbesondere Putin wird in | |
China weiterhin mit rhetorischen Samthandschuhen angefasst: [2][Dass der | |
Internationale Strafgerichtshof in Den Haag einen Haftbefehl gegen den | |
russischen Präsidenten erlassen hat], ließen Chinas Leitmedien galant unter | |
den Tisch fallen. Und das Pekinger Außenministerium ließ am Montag | |
ausrichten, das Haager Tribunal solle „umsichtig“ mit Putin umgehen und die | |
völkerrechtliche Immunität von Staatsoberhäuptern respektieren. | |
„Grenzenlos“ allerdings ist die Freundschaft Pekings und Moskaus auch | |
nicht, obgleich dies im offiziellen Diskurs so dargestellt wird. Denn | |
Chinas Außenpolitik ist ausschließlich von Eigeninteressen geleitet, eine | |
Allianz mit Russland würde man niemals eingehen. Wirtschaftlich jedoch | |
ergänzen sich die beiden Volkswirtschaften bestens: Das energiehungrige | |
China möchte zunehmend günstiges Öl und Gas aus Russland importieren und im | |
Gegenzug Elektronik, Autos und Tech-Produkte exportieren. Im letzten Jahr | |
ist das Handelsvolumen um über 30 Prozent gewachsen, Tendenz steigend. | |
Dass die Beziehungen zwischen Peking und Moskau allzu kuschelig werden, | |
verhindert das drohende Damoklesschwert westlicher Sanktionen. Xi Jinping | |
weiß ganz genau, dass er trotz seiner Nähe zu Putin gewisse rote Linien | |
nicht überschreiten darf. Insofern ist sein Besuch in Moskau vor allem | |
eins: ein delikater Drahtseilakt. | |
20 Mar 2023 | |
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## AUTOREN | |
Fabian Kretschmer | |
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