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# taz.de -- US-Invasion im Irak: Auftrag nicht ausgeführt
> Vor 20 Jahren begann die „Operation Iraqi Freedom“. Sie beschädigte die
> Idee der Demokratie in der arabischen Welt für lange Zeit.
Bild: Im April 2003 bringen US-Truppen die Statue von Saddam Hussein zu Fall
Kairo taz | Es gibt historische Reden, die von der Geschichte widerlegt
werden. „Wir werden als Ergebnis nur den Sieg akzeptieren“, sagte
US-Präsident George W. Bush in der Nacht zum 20. März 2003, als er in einer
vierminütigen Fernsehansprache den Beginn der US-Invasion im Irak mit dem
Namen [1][„Operation Iraqi Freedom“] verkündete. Die Irakerinnen und Iraker
sollten „befreit“ und „Zeugen des ehrenwerten Geistes des US-Militärs
werden“, ließ er pathetisch verlauten. Bush sprach auch von einer
„anhaltenden Verpflichtung, den Irak zu einem geeinten, stabilen und freien
Land zu machen“.
Zwei Jahrzehnte später klingen diese Worte für Irakerinnen und Iraker, aber
auch für die Menschen in der weiteren arabischen Welt wie Hohn. Der Irak
wurde zwar mithilfe des US-Militärs von dem brutalen Autokraten Saddam
Hussein befreit. Doch heute ist er ein uneiniges, instabiles und unfreies
Land. Alle vermeintlichen Kriegsgründe erwiesen sich später als episches
Lügenkonstrukt – sei es die akute Bedrohung durch Saddams
Massenvernichtungswaffen, die niemals gefunden wurden, oder eine angebliche
Verbindung des irakischen Regimes zum Terrornetzwerk al-Qaida.
Doch niemand der Verantwortlichen in Bushs Entourage aus Neocons wurde
jemals zur Rechenschaft gezogen, weder Bush selbst noch Vizepräsident Dick
Cheney, die damalige US-Sicherheitsberaterin und spätere Außenministerin
Condoleezza Rice, Verteidigungsminister Donald Rumsfeld oder dessen
Vertreter Paul Wolfowitz. Und das, obwohl der Krieg mindestens 275.000
Todesopfer als unmittelbare Folge der Militäraktion forderte. Auf diese
Zahl kam das Projekt The Costs of War der US-Universität Brown, das sich
die Mühe machte, nachzuzählen.
## Konstruierte Rechtfertigung
Neben den toten Irakern und US-Soldaten ist es vor allem die
Glaubwürdigkeit des Westens in der arabischen Welt, die dem Krieg zum Opfer
gefallen ist. Und das hat auch zwei Jahrzehnte später noch Folgen. [2][Als
der russische Präsident Wladimir Putin im vergangenen Jahr seine Truppen in
die Ukraine schickte], verurteilte Europa zu Recht die russische Aggression
gegenüber einem anderen souveränen Staat, stellte diese aber in
grenzenlosem Eurozentrismus als einzigartig dar. So war es kein Wunder,
dass die arabische Welt mit dem Finger schnippte, um daran zu erinnern,
dass die USA mit Unterstützung ihrer „Koalition der Willigen“ bereits zwei
Jahrzehnte zuvor in einen anderen souveränen Staat einmarschiert waren.
Vielleicht ist es Bush selbst, der diese Parallele am besten in Worte
fasste. Im Rahmen eines Auftritts des Präsidenten a. D. im vergangenen Mai
in Dallas, bei dem es um den Ukrainekrieg ging, [3][sprach Bush] von Putin
und „der Entscheidung eines einzigen Mannes, eine vollkommen unrechtmäßige
und brutale Invasion im Irak zu beginnen“. Die Augen zusammenkneifend
korrigierte er sich: „Äh, ich meinte in der Ukraine.“
Was auch immer als Rechtfertigung für den Irakkrieg konstruiert wurde, es
ging nicht darum, den Irak zu demokratisieren. Es ging nicht um die
Brutalität Saddam Husseins gegenüber seinem eigenen Volk, denn jahrelang
hatte der Westen vor allem im Iran-Irak-Krieg der achtziger Jahre wunderbar
mit ebenjenem Saddam zusammengearbeitet und ihm Waffen geliefert. Es ging
nicht um den Giftgaseinsatz gegen die Kurden, die stets von allen Seiten
nur ausgenutzt wurden. Vermeintlich ging es um den Kampf gegen den Terror
und Massenvernichtungswaffen. Aber wäre es tatsächlich um eine Verbindung
zu den Anschlägen vom 11. September 2001 gegangen, wäre Saudi-Arabien, aus
dem 15 der 19 Attentäter stammten, ein logischeres Ziel gewesen.
Hier soll nicht der Irak- gegen den Ukrainekrieg aufgerechnet oder gar
behauptet werden, der eine rechtfertige den anderen. Aber die USA und
Europa besäßen in vielen Teilen der Welt mehr Glaubwürdigkeit, würde mit
gleichem Maß gemessen. In der arabischen Welt springen diese
Doppelstandards besonders ins Auge. Die sogenannten westlichen Werte wurden
vor dem Einmarsch in den Irak an der Garderobe abgegeben.
Spätestens mit der Veröffentlichung der entwürdigenden Fotos aus dem damals
von der US-Armee kontrollierten irakischen Gefängnis in Abu Ghraib von
nackten Gefangenen, die vom US-Personal vorgeführt wurden, waren die
westlichen Werte im Irak erledigt. Damals wurde so mancher Islam-Experte in
den Medien zitiert, welche verheerende Wirkung diese Bilder in der
arabischen Welt hätten, wo Nacktheit und Scham eine Einheit bildeten.
Derweil gibt es auf der ganzen Welt wohl kaum entwürdigendere Fotos, um die
Macht von Besatzern über Besetzte auszudrücken.
Es sind Bilder, die sich in die kollektive arabische Erinnerung eingebrannt
und die das Image der USA in der arabischen Welt endgültig ruiniert haben.
Dort führten auch diese Fotos zu einer weiteren Radikalisierung, waren sie
doch eine glänzende Werbeaktion für [4][al-Qaida]. Kein Bin-Laden-Video
konnte den Effekt der Bilder aus Abu Ghraib überbieten.
Dass in den US-Gefangenenlagern im Irak fast alle einsaßen, die später die
oberste Riege des sogenannten Islamischen Staats (IS) bilden sollten, ahnte
damals niemand. Aber auch hier erwies sich die US-Besatzung im Irak als
Geburtshelferin des IS. Gut ein Jahrzehnt später eroberte die Terrormiliz
die drittgrößte irakische Stadt Mossul und rückte zeitweise bis wenige
Kilometer vor Bagdad vor – bevor der IS dann mit internationaler
Unterstützung zurückgedrängt und am Ende zumindest territorial besiegt
werden konnte.
Eine ähnliche Entwicklung war gut zehn Jahre zuvor in Gang gesetzt worden,
als 1990 George W. Bushs Vater, US-Präsident George Bush senior, für seine
Operation Desert Storm Truppen gegen den Irak mobilisiert hatte. Die
damalige Stationierung von US-Truppen am Golf diente dem Terrornetzwerk
al-Qaida als Vorwand für seine Gründung. Ebenjene al-Qaida, die 2001 für
den größten Terroranschlag auf amerikanischem Boden verantwortlich
zeichnete.
George W. Bushs Irak-Invasion und die folgende Besatzung führten dazu, dass
mit dem IS eine militante, noch brutalere islamistische Organisation das
Licht der Welt erblickte, die in ihrer größten Ausdehnung im Irak und in
Syrien ein Gebiet größer als Österreich kontrollierte.
Zaghafte Pflänzchen
Doch die Auswirkungen der US-Invasion im Irak gehen über die Schaffung des
IS hinaus. An vielen Orten der arabischen Welt entstanden Anfang der 2000er
kleine Demokratie-Bewegungen. In den Salons von Damaskus wurde von der
Demokratisierung Syriens geträumt. In Ägypten forderte die Kifaya-Bewegung
(„Es Reicht“) ein Ende der Herrschaft des Diktators Hosni Mubarak. Es waren
zaghafte Pflänzchen, meist von linken und liberalen Gruppierungen getragen.
Als Gegenstrategie zeigten die arabischen Diktatoren nun mit dem Finger auf
den Irak, der im Chaos versank und sich in einem Bürgerkrieg zwischen
Sunniten und Schiiten selbst zerstörte. Das Argument der Autokraten war so
simpel wie effektiv: „Ist das die Art von Demokratie, die ihr euch
wünscht?“, fragten sie. Die USA hatten es geschafft, die Idee der
Demokratie in der arabischen Öffentlichkeit als unerwünschtes
US-Exportprodukt zu diskreditieren, das zu Chaos führt.
So vergingen weitere acht Jahre, bevor im sogenannten Arabischen Frühling
die Menschen erstmals in Massen gegen ihre Autokraten auf die Barrikaden
gingen. Ohne den für die Araber abschreckenden Irakkrieg, der von
Washington als Demokratisierungsmaßnahme vermarktet wurde, hätte der
Arabische Frühling von 2011 wahrscheinlich schon früher begonnen.
Die wichtigste Lektion für die USA und Europa aber ist, dass man auch mit
der stärksten Militärmacht der Welt am Ende die Kräfteverhältnisse in einem
anderen Land nicht in seinem Sinne verändern kann. Unvergesslich, als
George W. Bush im April 2003 zum Flugzeugträger „Abraham Lincoln“ geflogen
wurde, um dort hinter einem Banner mit dem Schriftzug „Mission
Accomplished“ aufs Podium zu steigen und seine Truppen mit dem Satz „Gute
Arbeit geleistet“ zu loben und dann zu erklären: „In der Schlacht um den
Irak haben die USA und ihre Alliierten gesiegt.“
Mit einem grünen Piloten-Overall und einem weißen Pilotenhelm unter dem Arm
salutierte er den Anwesenden. Zwei Jahrzehnte später sind die US-Truppen
weitgehend abgezogen – und zwar aufgrund des heftigen irakischen
Widerstands. Noch schlimmer ist, dass der Irak nun vom benachbarten Iran
kontrolliert wird, den Bush damals auch zum Schurkenstaat deklariert hatte.
Heute sind es schiitische Parteien und Milizen, unterstützt von der
iranischen Führung, die in der Politik in Bagdad den Ton angeben – so
ziemlich das Letzte, was sich George W. Bush damals als Triumph ausgemalt
haben dürfte. Insofern waren der Irakkrieg und seine Folgen auch der Beginn
vom Ende einer Weltordnung, in der die USA im Alleingang global den Lauf
der Dinge bestimmen.
Dass dann auch noch, wie vor einigen Tagen geschehen, der Iran und der
wichtigste US-Verbündete in der Region, Saudi-Arabien, unerwartet in Peking
ein Kooperationsabkommen unterzeichnen, das von China vermittelt wurde,
zeigt vor allem eins: wie schnell die Geschichte voranschreitet, nachdem
sie das vor zwei Jahrzehnten in Washington geschriebene Skript für den Irak
und die gesamte Region zerrissen hat.
20 Mar 2023
## LINKS
[1] /US-Kampftruppen-aus-Irak-abgezogen/!5137068
[2] /Ein-Jahr-Krieg-gegen-die-Ukraine/!5915507
[3] https://www.youtube.com/watch?v=eH3QqcUJnBY
[4] /Al-Qaida-Chef-Al-Sawahiri-getoetet/!5872234
## AUTOREN
Karim El-Gawhary
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