| # taz.de -- Carola Rackete zu Klimaprotesten: „Mehr Beteiligung generieren“ | |
| > Fridays For Future und Letzte Generation erreichen zu wenig für die | |
| > Klimapolitik, sagt Carola Rackete. Sie plädiert für einen breiteren | |
| > Protest. | |
| Bild: Will auch ÖPNV-Beschäftigte oder VW-Mitarbeiter in den Klimastreik einb… | |
| taz: Frau Rackete, das [1][Jahr 2022 war klimapolitisch für die Tonne]. | |
| Kann 2023 das Jahr sein, in dem wir zu einer ernsthaften Klimapolitik | |
| übergehen? | |
| Carola Rackete: Dafür sehe ich momentan keine Anzeichen. Olaf Scholz reist | |
| gerade um die Welt, um neue Abhängigkeiten von Gas zu schaffen. Vielerorts | |
| wird neue fossile Infrastruktur gebaut. In Deutschland und Europa ist eine | |
| völlige Überversorgung mit LNG-Terminals geplant. | |
| Was müsste passieren, damit es anders kommt? | |
| Wir bräuchten mindestens einen Gas-Ausstiegsplan, der | |
| Bundesverkehrswegeplan müsste überarbeitet werden. Leider ist da von der | |
| Bundesregierung nichts zu erwarten. Das ist absolut skandalös. Wenn es | |
| Veränderung geben soll, muss sie von den Menschen auf der Straße kommen. | |
| Was kann die Klimabewegung tun? | |
| Wir müssten es schaffen, wieder mehr Beteiligung zu generieren. Dafür | |
| brauchen wir aber eine breitere gesellschaftliche Verankerung. | |
| Wie kann das gelingen? | |
| Indem wir Schnittstellen finden, wo Klimaschutz und soziale Themen zusammen | |
| passen. Wenn wir konkrete sozial-ökologische Projekte unterstützen, können | |
| wir mehr Menschen motivieren, mitzumachen. Die Erfolge sehe ich dann eher | |
| auf lokaler oder regionaler Ebene. | |
| Wie könnte so ein Projekt aussehen? | |
| In Wolfsburg ist zum Beispiel eine Kooperation zwischen Klimagruppen und | |
| der Belegschaft von VW geplant, wo es um die Transformation der | |
| Automobilindustrie geht. [2][Oder wenn sich Gruppen wie Fridays for Future | |
| mit Beschäftigten des ÖPNV zusammen organisieren und streiken.] Das | |
| passiert ja gerade. Oder in Regionen, wo man sagt: Hier werden Hunderte von | |
| Menschen arbeitslos – was kann da hergestellt werden, was wir für eine | |
| sozialökologische Transformation brauchen? | |
| [3][An diesem Freitag startet Fridays for Future seinen 12. globalen | |
| Klimastreik] – viele Schüler*innen und Student*innen, die draußen | |
| protestieren. Warum hat sich die Klimabewegung bislang nur selten mit | |
| Arbeiter*innen auf lokaler Ebene zusammengetan? | |
| Ich glaube, wir haben uns zu sehr auf Waldbesetzungen oder Aktionen zivilen | |
| Ungehorsams fokussiert und uns zu wenig mit Basisarbeit und Konzepten | |
| auseinandergesetzt, die aus der klassischen Linken kommen. | |
| Derzeit ist die Letzte Generation in der Öffentlichkeit dominierend in | |
| Sachen Protest. Ist das gut fürs Klima? | |
| An sich ist es richtig, in den Medien Aufmerksamkeit für den Klimaschutz zu | |
| schaffen. Aber das Problem ist ja, dass sonst fast gar nicht über | |
| Klimaschutz gesprochen wird. Die Aufmerksamkeit, die durch Straßenblockaden | |
| für das Thema generiert wird, ist begrenzt. Die Aktionen der Letzten | |
| Generation bleiben nur kurz in den Köpfen der Leute hängen. Ich glaube, | |
| wenn wir wirklich etwas verändern wollen, müssen wir mit konkreten Anliegen | |
| in die Gesellschaft rein und Gerechtigkeitsthemen finden. | |
| Dann ist eine Radikalisierung der Bewegung hin zu Sabotageaktionen der | |
| falsche Weg? | |
| Ich glaube nicht, dass eine kleine Gruppe ultraradikaler Menschen | |
| gesamtgesellschaftliche Veränderungen anstoßen kann, wenn sie keine breite | |
| Basis hat. Ich kann und will jetzt nicht einzelne Aktionen pauschal | |
| beurteilen. Sabotageaktionen können Sinn machen an bestimmten Stellen, aber | |
| es kann nicht die einzige Taktik sein. Natürlich haben solche Aktionen eine | |
| hohe Sichtbarkeit. Aber ohne eine breite gesellschaftliche Verankerung des | |
| Gedankens von Klimagerechtigkeit wird es nicht reichen. | |
| Was soll dann passieren? | |
| Wir müssten stärker auf Organizing setzen, also dass Menschen, die etwa am | |
| selben Ort wohnen oder arbeiten, zu bestimmten Themen zusammenkommen. Wie | |
| bei Deutsche Wohnen & Co enteignen oder der Krankenhausbewegung. Damit will | |
| ich aber auch nicht sagen, dass ziviler Ungehorsam und Demos am Freitag | |
| nicht weiterhin wichtig sind. | |
| Auf Augenhöhe mit Leuten zu arbeiten, die vielleicht keine Erfahrung im | |
| Aktivismus haben und Szenecodes wie diskriminierungssensible Sprache nicht | |
| benutzen, kann mühsam sein. Ist die Bewegung bereit dazu? | |
| Ich habe den Eindruck, dass aus den vereinzelten Momenten, wo es so etwas | |
| bereits gab, mittlerweile mehr geworden ist. Die Krankenhausbewegung war | |
| wahnsinnig motivierend für Leute, genau wie der große Streik der | |
| Beschäftigten im Hafen von Hamburg. Der war vergangenes Jahr zum gleichen | |
| Zeitpunkt wie das Aktionswochenende von Ende Gelände, das ebenfalls den | |
| Hafen lahmlegen wollte. Da kann man nur sagen: Die | |
| Hafenarbeiter*innen waren wesentlich besser darin. | |
| Rührt die Klimaszene zu sehr in ihrer eigenen Suppe und scheut sich, | |
| Menschen außerhalb ihrer Bubble anzusprechen? | |
| Ja, auf jeden Fall. Die Fortsetzung des 9-Euro-Tickets ist ein Beispiel für | |
| ein gutes sozial-ökologisches Anliegen, das wir versäumt haben zu nutzen. | |
| Das 9-Euro-Ticket hatte eine extrem breite Unterstützung in der | |
| Gesellschaft, eine Mehrheit der Bevölkerung war für die Fortsetzung. Denn | |
| was könnte es Besseres geben als einen einfachen und günstigen Zugang zu | |
| Mobilität und die Chance, Stau, Luftverschmutzung und Emissionen zu | |
| reduzieren? | |
| Woran lag es, dass die Klimabewegung diese Chance nicht genutzt hat? | |
| Einerseits waren wir da nicht organisiert genug. Andererseits ist auch der | |
| Widerstand aus dem Verkehrsministerium extrem stark. | |
| Lässt sich die Bewegung davon abschrecken? | |
| Das Verkehrsministerium ist sicher einer der Hauptgegner des Klimaschutzes | |
| in Deutschland im Moment. Die Bewegung muss dieses Thema in diesem Jahr | |
| gezielt angehen. Außerdem müssen wir neue fossile Abhängigkeiten | |
| verhindern, auch wegen der Menschen an den Orten der Ausbeutung. Ich war | |
| vor wenigen Wochen in Argentinien, in einem Gebiet, wo gefrackt wird. | |
| In Vaca Muerta, einer der weltgrößten Ölschiefer-Reserven. | |
| Ja. Es ist katastrophal. Einige Gegenden sind vergleichbar mit dem Alten | |
| Land in Deutschland, das heißt: es gibt Obstanbau und sonst nichts. Aber | |
| das Grundwasser dort ist komplett verseucht. In der Stadt Allen in der | |
| Provinz Río Negro haben uns die Menschen erzählt, sie hatten mal 35 | |
| Lagerhäuser, in denen gepackt, sortiert und exportiert wurde. Von denen | |
| sind noch vier offen. 5.000 Leute haben dort ihre Jobs im Obstanbau | |
| verloren. | |
| Wegen des Frackings? | |
| Ja, weil das Wasser eben verseucht ist. Die Leute, die es sich leisten | |
| können, kaufen nur noch Flaschenwasser. Die Krebsraten sind in den | |
| vergangenen Jahren extrem hochgegangen. Viele haben auch Silikose, eine | |
| Krankheit, die du sonst nur kriegst, wenn du im Bergbau arbeitest. | |
| Was passiert da? | |
| Wenn du an einem sehr staubigen Ort arbeitest wie zum Beispiel im Berg, | |
| setzen sich diese Giftstoffe über die Zeit in deiner Lunge fest und | |
| zerstören sie. Silikose ist eine anerkannte Berufskrankheit. Aber die | |
| Menschen in Vaca Muerta kriegen das einfach so, egal was sie arbeiten, weil | |
| sie dort leben. Und das Frackinggebiet soll noch ausgebaut werden. Deshalb | |
| war Olaf Scholz ja dort mit dem Wintershall-Chef unterwegs. Argentinien ist | |
| einer der Märkte, die Russland ersetzen sollen. | |
| Wie sinnvoll ist es, die Hauptfeinde des Klimaschutzes, seien es Kanzler, | |
| Minister, CEOs oder Konzerne, in den Fokus der Kritik zu stellen? | |
| Aufzuzeigen, wer die Profiteur*innen der Klimakrise sind, ist | |
| fundamental, um von dem Gedanken wegzukommen, dass wir alle gleichermaßen | |
| zur Klimakrise beitragen. Eine durchschnittliche Person in Deutschland | |
| trägt bei Weitem nicht das Gleiche bei wie der Chef von Wintershall, der | |
| den fossilen Ausbau vorantreibt. Man muss sich das mal vorstellen: Im Jahr | |
| 2023 eine Firma zu leiten, die immer noch plant, mehr Gas und Öl | |
| auszubeuten. Das ist kriminell! | |
| Unternehmen agieren meistens innerhalb gesetzlicher Grenzen. Entlastet man | |
| nicht die Politik, indem man Firmen und einzelne Akteur*innen zu | |
| Schuldigen erklärt? | |
| Beide Seiten sind schuld. Aber der Lobby-Einfluss der | |
| Unternehmer*innen auf Politiker*innen ist massiv. Die | |
| Lobbyist*innen sind sich der Folgen ihres Handelns für das Klima | |
| völlig bewusst. Seit den 70er Jahren sind die Folgen des Klimawandels | |
| bekannt! Aber vielerorts sind die wirtschaftlichen Abhängigkeiten sehr | |
| stark. Wir müssen weg von jedem Lobby-Einfluss in der Politik. Den Fokus | |
| auf die Unternehmen zu legen, ist wichtig – was hingegen falsch ist, ist | |
| hauptsächlich den einzelnen Verbraucher anzugehen. | |
| Das heißt: Nach Thailand zu fliegen ist okay? | |
| Moralisch und ethisch muss jeder selbst verantworten, was er macht. Aber | |
| man hat natürlich auch eine Vorbildfunktion. Wenn wir schauen, welche Flüge | |
| am meisten Emissionen verursachen und wer am häufigsten fliegt, sehen wir: | |
| Es sind Privatjets und Leute, die beruflich viel fliegen. | |
| Darüber hält sich die öffentliche Aufregung aber in Grenzen. | |
| Ich glaube, das Potenzial der Menschen, sich für Gerechtigkeit einzusetzen, | |
| steigt. Viele sehen ja einen Mangel an Demokratie, sie sehen die schlechte | |
| Verteilung von Geld, dass Gerechtigkeitsprobleme überall aktuell sind. | |
| Manchmal muss es erst sehr schlecht werden, bis Menschen bereit sind, sich | |
| für ihre Rechte einzusetzen. | |
| 2 Mar 2023 | |
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| Katharina Schipkowski | |
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