| # taz.de -- Ausladung wegen „Dreadlocks“: Verkürzt und verspottet | |
| > „Fridays for Future“ lädt eine Musikerin wegen ihrer Dreadlocks aus und | |
| > Twitter läuft heiß. Dabei braucht es eine konstruktive | |
| > Auseinandersetzung. | |
| Bild: Stellt sich unaufgeregt der Debatte um „kulturelle Aneignung“: Die Mu… | |
| Fasching ist längst vorbei, doch Clowns empören sich immer noch über | |
| [1][das Thema kulturelle Aneignung]. Oder vielmehr über die Kritik daran. | |
| Während es in der Vergangenheit eher um die Verteidigung | |
| kolonialrassistischer Verkleidungen von ahnungslosen Kindern und ihren | |
| betrunkenen Eltern ging, steht diesmal eine Haarfrisur im Zentrum. | |
| „Dreadlocks“ an weißen Menschen. | |
| Konkret an Folk-Pop-Sängerin Ronja Maltzahn. Diese veröffentlichte am | |
| Dienstag auf [2][ihrem Instagram-Account] eine E-Mail, in der sie von | |
| Fridays for Future von einer Kundgebung in Hannover ausgeladen wurde, wo | |
| sie hätte performen sollen. Der Grund: Man wolle bei diesem „globalen | |
| Streik auf ein antikolonialistisches und antirassistisches Narrativ setzen“ | |
| und könne es daher nicht vertreten, eine weiße Person auf der Bühne zu | |
| haben, die sich Schwarze Kultur aneigne – ohne die systematische | |
| Unterdrückung dahinter erlebt zu haben. | |
| Neu ist diese Kritik höchstens für spöttische Boomer auf Twitter und für | |
| die Welt, die kommentiert: „Eine Logik, mit der sich auch Björn Höcke | |
| anfreunden könnte“. Interessant ist aber dennoch, dass [3][Fridays For | |
| Future] sich entschieden hat, das Thema anzusprechen. Die Protestbewegung | |
| stand in der Vergangenheit selbst immer wieder in der Kritik für ihre | |
| eurozentristische Herangehensweise an eine globale Katastrophe. Man kann | |
| diese Ausladung also durchaus als Bemühung begreifen, die Bewegung | |
| insgesamt inklusiver zu gestalten. Wie zielführend – das sei erstmal | |
| dahingestellt. | |
| Der Vergleich zur ebenfalls Locks-tragenden [4][Seenotretterin Carola | |
| Rackete], der in den Sozialen Medien parallel bemüht wird, hinkt. Zwar | |
| wurde auch Rackete kritisiert, aber ihr Fall ist ein ganz anderer. Ronja | |
| Maltzahn, die gerade nicht müde wird zu betonen, sie wolle auf der Bühne | |
| „kulturelle Vielfalt zelebrieren“, ist in erster Linie Performerin. Und | |
| damit profitiert sie von ihrem Look. Lady Gaga, Justin Bieber und Pink sind | |
| zwar wesentlich bekannter und reicher, aber auch sie eigneten sich den | |
| Haarstil phasenweise an, um Kapital daraus zu schlagen. | |
| Zur Verteidigung dieser wird oft angeführt, dass es „Filzlocken“ historisch | |
| auch in europäischen Kulturen, etwa bei germanischen Stämmen und Wikingern | |
| gegeben hätte. Kritiker_innen weisen dagegen darauf hin, dass es vor allem | |
| Schwarze Menschen sind, die aufgrund ihrer Locks jahrzehntelang abgewertet | |
| und aus Schulen wie von Arbeitsplätzen ausgeschlossen wurden. Schon allein | |
| die Bezeichnung „Dreadlock“ („dread“ wie grausam, furchteinflößend) g… | |
| auf kolonialrassistische Zuschreibungen zurück und wurde von den Rastafari | |
| reclaimed – seine Verwendung außerhalb dieses Kontextes ist also | |
| umstritten. | |
| Inzwischen sprach sich Maltzahn in einem Videostatement für eine | |
| konstruktive Diskussion und gegen einen Shitstorm aus. Während sich also | |
| Kommentator_innen in Grund und Boden spotten, führen die Beteilgten den | |
| Konflikt eigentlich auf recht progressive Weise fort. Maltzahn gab an, | |
| Fridays For Future habe sich für den unsensiblen Ton in der Mail | |
| entschuldigt und sie nehme das dankbar an. | |
| Konkret ging es um den Satz: „Solltest du dich entscheiden deine Dreadlocks | |
| abzuschneiden, würden wir dich natürlich auf der Demo begrüßen und spielen | |
| lassen.“ Und es ist eben dieser Satz, der die Ausladung tatsächlich auf | |
| eine symbolische Geste reduziert und dem Anliegen seine Glaubwürdigkeit | |
| nimmt. | |
| Wären die Verfasser_innen tatsächlich daran interessiert gewesen, Ronja | |
| Maltzahn zu einer ernsthaften Auseinandersetzung mit dem Thema kulturelle | |
| Aneignung zu bewegen, wüssten sie, dass so ein Prozess nicht in zwei Tagen | |
| abgeschlossen ist. Hätten sie sich selbst genügend damit befasst, wäre | |
| ihnen klar: Mit einem spontanen Friseurbesuch allein ist das Problem nicht | |
| gelöst. | |
| 24 Mar 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Fatma Aydemir | |
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