# taz.de -- Kulturelle Aneignung: Kultur als modisches Accessoires | |
> Auf TikTok wehren sich Schwarze User*innen gegen den Klau ihrer Ideen | |
> und Stile. Gleiches passiert im Alltag ständig, schon seit Jahrzehnten. | |
Bild: Die Jogginghose: Seit ein paar Jahren plötzlich salonfähig | |
Mit ihrem Streik unter dem Hashtag [1][#BlackTikTokStrike] fordern Schwarze | |
User*innen, für ihre künstlerische Arbeit gewürdigt zu werden. Schwarze | |
Tiktoker*innen denken sich Tänze aus, die dann von weißen Menschen | |
geklaut werden, um Aufmerksamkeit zu bekommen und damit Geld zu verdienen. | |
Der bekannteste Fall ist der von Charli D’Amelio. Sie ist die berühmteste | |
Tiktokerin der Welt, seit sie ein Video online stellte, auf dem sie den | |
[2][„Renegade“-Tanz ausführt], der eigentlich von der 15-jährigen | |
[3][Jalaiah Harmon] erfunden wurde. Obwohl Jalaiah den Tanz kreiert hat, | |
hat Charli Markenverträge und Ruhm bekommen. | |
[4][Tiktok-Tänze] stehen nur exemplarisch für Kulturtechniken, die Schwarze | |
Menschen, People of Color und Menschen mit Migrationsgeschichte schon lange | |
praktizieren, teilweise dafür geächtet wurden und erst, als sie weiße | |
Menschen ohne Migrationsgeschichte für sich entdeckten, cool wurden | |
(Yoga!!). | |
Mein persönlichstes Beispiel ist die Trainingshose. Ich habe bosnischen | |
Migrationshintergrund, die „trenerka“ gehört zu unserer Kultur. Während v… | |
allem auf „unsere“ Männer herabgeblickt wurde, sie als primitiv galten, | |
haben junge Hipster ohne Migrationshintergrund die Jogginghose vor ein paar | |
Jahren salonfähig gemacht. Mittlerweile tragen Models am Catwalk Jogger – | |
ein Trend, den jugoslawische Gastarbeiter und jene aus Osteuropa einst | |
mitgebracht haben und nicht Powi-Student Niels. | |
## Doppelmoral und Schulterklopfer | |
Dasselbe gilt für „ausländisches“ Essen. Während Kinder mit | |
Migrationshintergrund für jede Jause, die nicht aus Käsebrot bestand, | |
ausgelacht wurden, ist es mittlerweile die liebste Freizeitbeschäftigung | |
weißer autochthoner Menschen, sich in ihrer Stadt durch alle Küchen zu | |
kosten, für die sie ihren Mitschüler*innen früher „Igitt, das stinkt“ | |
zugerufen haben. Der Pandemie sei dank, ist Feiern im Park jetzt cool, | |
während bei türkischen Familien die Polizei gerufen wurde. | |
Meine Klassenkolleg*innen hatten Mitleid mit mir, weil ich jedes Jahr | |
in den Heimaturlaub nach Bosnien gefahren bin, während sie all-inclusive in | |
Fuerteventura waren – heute sind Individualreisen nach Bosnien ein | |
„Geheimtipp“, seit Anna und Lars einmal dort waren. Um beim Sommer zu | |
bleiben: Weiße Menschen, die Skin-Care für sich entdeckt haben, gehen jetzt | |
plötzlich im Burkini an den Strand, um ihre Haut zu schützen, während | |
Hijabis dafür verjagt werden. Und während [5][Muslim*innen im Ramadan] | |
vorgeworfen wird, es sei ungesund zu fasten, fliegen Weiße auf „Retreats“, | |
wo sie genau dasselbe machen, und alle klopfen ihnen dafür auf die | |
Schulter. Muslim*innen werden übrigens auch schief angeschaut, wenn sie | |
beten, aber wenn Influencer*innen plötzlich „manifesten“, trendet der | |
Hashtag dazu. | |
Ich warte ja nur auf den Moment, in dem sie fordern, wir sollen ihnen | |
dankbar dafür sein, diese Praktiken aufgewertet zu haben, anstatt die | |
Doppelmoral dahinter zu erkennen. | |
5 Jul 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://www.washingtonpost.com/gdpr-consent/?next_url=https%3a%2f%2fwww.was… | |
[2] https://www.nytimes.com/2020/02/13/style/the-original-renegade.html | |
[3] https://www.instagram.com/accounts/login/ | |
[4] /Polit-Aktivismus-auf-App-Tiktok/!5700164 | |
[5] /Theologin-ueber-den-Monat-Ramadan/!5760731 | |
## AUTOREN | |
Melisa Erkurt | |
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