# taz.de -- Streit in der Linken: Punkte, bei denen ich falsch lag | |
> Die Autor*in hätte früher nie gestanden, dass gewisse linke Kritik an | |
> ihren* Positionen berechtigt sein kann. Jetzt begreift sie* Komplexität | |
> besser. | |
Bild: Sind diese Dreadlocks wirklich so schlimm? Kapitänin Carola Rackete | |
Vor ein paar Jahren wäre ich wahrscheinlich lieber gestorben, als | |
öffentlich zu gestehen, dass ich Kritik von linken Personen nicht | |
automatisch unberechtigt finde, nur weil ich die Person unsympathisch | |
finde. Unsympathisch deshalb, weil diese Personen ein politisches Lager | |
vertreten, das mir ideologisch zuwider ist. Etwa weil dieses Lager in | |
Punkten wie Queerness, Sexarbeit oder seinem Rassismusverständnis mehr mit | |
der CDU als mir gemeinsam hat. | |
Dazu kommt ihre schwer auszuhaltende, gehässige und gemeine Art des | |
Kritikäußerns. Allein weil diese Leute über mein Aussehen oder mein | |
Transsein so geschmacklose Witze gerissen haben, dass ich zu verletzt war, | |
um ihre Argumente ernst zu nehmen. Für mich waren das einfach ein paar | |
hängengebliebene Almans. | |
Die rassifizierten Bubble-Mitglieder dürsteten in meinen Augen nur nach der | |
Anerkennung dieser Gruppe. Irgendwelche Tokens halt. Und ja, vielleicht | |
fand ich diese Leute stylemäßig auch ein bisschen cringe, nach dem Motto: | |
In deiner North-Face-Jacke brauchst du mir nicht zu erklären, was Rassismus | |
ist. | |
In einigen Punkten werde ich mit diesem Lager wohl immer streiten. Das ist | |
auch gut so, vor einigen Wochen schrieb ich darüber, [1][wie wichtig | |
Reibung innerhalb politischer Kontexte ist.] Vielleicht ist derselbe Streit | |
beim achten Mal mühsam, aber manche Themen brauchen Zeit. Schließlich ist | |
weder die Linke, noch eine durch Betroffenheit zusammengehörige Gruppe | |
homogen. Damals war diese Tatsache für mich schwer zu schlucken, heute | |
denke ich: Na klar, was sonst? | |
## In manchen Punkten zurückrudern | |
Was sich außerdem geändert hat, ist mein Trotz. Ich war mir eigentlich | |
sicher, dass allein aufgrund ihrer Arschlochhaftigkeit niemaus aus diesen | |
Bubbles jemals über irgendetwas Recht haben könnte. Mittlerweile muss ich | |
in manchen Punkten zurückrudern und zugeben, dass ich in manchen Punkten | |
falsch lag und sie richtig lagen. Nicht, weil ihre ätzende Art, es mir | |
einzubläuen, so effektiv war, sondern, weil ich vor fünf oder sechs Jahren | |
die Komplexität mancher Dinge nicht so gut greifen konnte wie jetzt. | |
Zum Beispiel: Ich kann kulturelle Aneignung peinlich, kitschig oder | |
hässlich finden, und definitiv spielen rassistische Exotikfantasien bei | |
diesem Phänomen eine prominente Rolle, aber die Frisur oder die Klamotten | |
einer Person sollten nicht strenger bewertet werden als ihr Handeln. Als | |
die Sea-Watch-Kapitänin Carola Rackete für das Retten geflüchteter Menschen | |
in Italien verhaftet wurde, war für mich klar, dass ihre Dreadlocks in dem | |
Moment scheißegal sind. | |
Zum Glück wurde sie 2019 und nicht 2016 bekannt, als ich meinen [2][Rant | |
über kulturelle Aneignung auf dem Fusion-Festival veröffentlichte], der | |
viel, äh, Beachtung in der deutschen Linken fand. Hätte ich lieber über | |
ihre Frisur als über ihre Verhaftung getwittert, wär die Scham darüber noch | |
größer als die Einsicht, dass manche weißen Macker mir auf Twitter | |
argumentativ die Ehre genommen haben. | |
8 Apr 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Ein-Lob-der-Streitkultur/!5725598 | |
[2] https://missy-magazine.de/blog/2016/07/05/fusion-revisited-karneval-der-kul… | |
## AUTOREN | |
Hengameh Yaghoobifarah | |
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