# taz.de -- Spenden gegen schlechtes Gewissen: Das White Guilt Stipendium | |
> Früher haben Linksliberale an Unicef gespendet, heute fragen sie | |
> nicht-weiße Personen nach ihrem PayPal-Link. Das fördert aber nur | |
> Diskriminierung. | |
Bild: Schuldgefühle durch Spenden kompensieren – kein ganz so neues Phänomen | |
Sie stehen vor einem Laden, und bevor Sie merken, was abgeht, wirft Ihnen | |
jemaus eine Münze zu. Sie wundern sich, ob Sie im richtigen Film sind. | |
Haben Sie an der Ampel jongliert? Nö. Vor einem aufgeklappten | |
Gitarrenkoffer einen Sting-Song performt? Irgendwie auch nicht. Ihre bloße | |
Existenz gab Passant_innen den Eindruck, Sie stünden hier mit der Bitte | |
nach Almosen. | |
In den letzten Jahren hat sich das Social-Media-Äquivalent etabliert: Sie | |
veröffentlichen [1][einen Beitrag über gesellschaftliche Missstände], | |
vielleicht auf Ihrer Biografie basierend. Eventuell mit Infos, die nicht | |
allen geläufig sind. Sie ernten Lob und auch Hass. Und manche wollen das | |
White Guilt Stipendium an Sie vergeben. Letztere bedanken sich bei Ihnen | |
für Ihre „wichtige Arbeit“ und fragen, ob Sie sich finanziell revanchieren | |
können, über einen PayPal-Link etwa oder über Patreon. | |
Doch Sie haben sich auf dieses Stipendium nie beworben. Nirgendwo haben Sie | |
die Erwartung geäußert, für das Paraphrasieren von auf Wikipedia | |
nachlesbaren Sachverhalten entlohnt zu werden. Aber es könnte ja immer | |
sein, dass Sie sich nicht trauen, öffentlich nach Geld zu fragen, weil das | |
Thema ja recht schambehaftet ist und … Moment mal, wurden Sie [2][gerade | |
zur Subalternen gemacht]? Versucht da wer, die eigenen Schuldgefühle | |
aufgrund von Privilegien durch Charity zu kompensieren? | |
Natürlich sollte Arbeit bezahlt werden und es gibt viele | |
Bildungsarbeitende, die sich über Entlohnung freuen. [3][Vielleicht | |
verstehen Sie die steile These] in Ihrer Instagram-Story jedoch nicht | |
unbedingt als „wertvolle Analyse“ oder qualitativ hochwertige „politische | |
Bildungsarbeit“ – und finden es schräg, dass andere Ihnen aufgrund Ihrer | |
Identität wie bei einem Glückskeks-Orakel Geld zustecken wollen. | |
## Spiritual Leader oder verwahrlostes Opfer | |
Ob intendiert oder nicht, die Dynamik der gütigen Privilegierten versus die | |
vermeintlich marginalisierten „Weisen“ ist antiemanzipatorisch. Sie teilt | |
in zwei gleichermaßen unangenehme Rollen ein: entweder Sie werden zum | |
Spiritual Leader, sollen für andere das kritische Denken übernehmen und sie | |
von der Last der Verantwortung erlösen, indem Sie ihnen alles vorkauen. | |
Oder Sie sind ein verwahrlostes Opfer, das außer auf Erfahrungen basiertes | |
Wissen nichts besitzt. | |
Früher haben bürgerliche Linksliberale ihre Schuldgefühle in Form von | |
Spenden an Unicef oder esoterische Gurus entladen, heute gehen sie auf | |
Social-Media-Profile häufig nicht-weißer, meist studierter Menschen und | |
fragen sie nach ihrem PayPal-Link oder posten gerührte Emojis unter ihre | |
Beiträge, als sei dort ein abgemagertes Kind abgebildet, das sich über eine | |
geschenkte Apfelsine freut. | |
All das Gerede von Diversity, aber mit dem White Guilt Stipendium werden | |
sogenannte „Betroffene“ in die Rolle der Bedürftigen gedrängt oder wegen | |
essenzialisierender Zuschreibungen auf ein Podest gehoben. Wohltat und | |
solidarische Umverteilung sind nicht dasselbe. | |
10 Mar 2021 | |
## LINKS | |
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## AUTOREN | |
Hengameh Yaghoobifarah | |
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