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# taz.de -- Stress mit Frisuren: Dreads und andere Krankheiten
> Mein Mann und meine Tochter finden meine Dreadlocks unmöglich. Ich selbst
> mag sie sehr und hoffe, dass sich niemand davon angegriffen fühlt.
Bild: Die Frisur der Autorin gefällt nicht allen
Während der letzten fünf Jahre habe ich fast ausschließlich über das Thema
Krankheit geschrieben. Erst, weil es mich interessiert hat, dann wegen
Corona und dann, [1][weil meine Tochter selbst schwer krank wurde].
Nun [2][geht es Olivia viel besser], und ich kann mich wieder unwichtigeren
Dingen zuwenden. Toll! Zum Beispiel dem Thema Frisuren. Bei mir zu Hause
würde jedoch niemand so weit gehen, meine Haare als Frisur zu bezeichnen.
Meine Tochter nennt meine Dreadlocks nur „deine Krankheit“ und mein Mann
bezeichnet sie als „das Gestrüpp“.
In letzter Zeit wurde ja reichlich über [3][die politische Korrektheit von
Dreadocks] gemutmaßt. Was gestern noch ein links-alternatives Statement
gegen Rassismus und für Weltfrieden und so war, ist heute schon Kulturklau.
Unklar bleibt allerdings, ob hier bei Afrikanern, Hindus, indigenen Völkern
Mittelamerikas, islamischen Derwischen oder bei den Höhlenmenschen direkt
geklaut wurde.
Für mich sind es einfach die Haare, die mir gefallen. Trotzdem hoffe ich
wirklich, dass sich niemand dadurch verletzt fühlt. Denn natürlich können
Dreadlocks auch ein Zeichen politischen Widerstandes sein. Oder aber auch
ein Zeichen für jahrelang ungeschnittenes und ungekämmtes Haar. Dann
entsteht allerdings meist eher ein dickes Filzknäuel am Hinterkopf und
nicht viele einzelne Dreads.
## Ja, man kann Dreads waschen
Wenn ich ein FAQ über mein Gestrüpp schreiben müsste, käme nach „Und die
hast du dann einfach nicht mehr gekämmt?“ die Frage „Kann man das
eigentlich waschen?“. Ja, man kann. Es ist ein bisschen, als würde man
einen dicken Wollpulli waschen, nur dass es zum Glück nicht nach nassem
Schaf riecht. Und das drittmeist Gefragte ist: „Weißt du, wo man hier Gras
kaufen kann?“ Nein, weiß ich nicht.
Wenn ich die Pros und Kontras meiner „Krankheit“ aufschreiben sollte, wären
die klaren Vorteile die Schönheit von Dreads, ihr mega Volumen und ihre
abschreckende Wirkung auf Rechte und Spießer. Zu den Nachteilen zählt, dass
lange Dreads ziemlich schwer sind, ewig zum Trocknen brauchen und wenn man
nachts auf ihnen liegt, ist es in etwa so gemütlich, als würde man auf
einer Fußmatte schlafen. Außerdem mag mein Mann sie nicht. Ich glaube, er
hat Haarneid. Seine Glatze ist nämlich nicht etwa eine von buddhistischen
Mönchen oder Neonazis geborgte Trendfrisur, sondern lediglich die Folge
mangelnden Haupthaars.
Und versteht mich nicht falsch: Ich fände es ganz und gar nicht in Ordnung,
wenn etwa H&M ohne Entlohnung oder Absprache zum Beispiel
Aborigines-Designs auf T-Shirts druckt und millionenfach verkloppt. Aber
von weißen, linken Spießern auf der Straße wegen meiner Dreads angepöbelt
zu werden, fände ich auch nicht so schön.
Meine aus Ghana stammende Freundin lacht übrigens laut auf und gibt mir
einen Klaps auf den Hintern, wenn ich sie nach Begriffen wie „Kulturelle
Aneignung“ frage. Der Rassismus, den sie täglich erlebt, ist ein ganz
anderer. „Entspannt euch mal“, sagt sie zu mir.
Recht hat sie. Wie kulturverkrampft wird das bitte, wenn es so richtig
losgeht mit Fragen wie: Wer darf welche Musik machen, wie tanzen oder
kochen, welche Heilmethoden anwenden oder sich welcher spirituellen
Richtung anschließen? Wer darf welche Kleidung tragen, welche Deko
aufhängen oder welche Sportart machen? Und was wird dann eigentlich aus den
vielen Menschen auf der Welt, die vom Kunsthandwerk leben und aus den
vielen Yogalehrerinnen bei uns?
Und während wir auf Social Media pseudointellektuell über Rassismus
herumlabern, statt wirklich mal mit unserem privilegierten Arsch
hochzukommen, um uns in einem der vielen sozialen Projekte zu engagieren,
wählt jeder Zehnte die AfD. Und wetten, dass keiner von denen Dreadlocks
trägt? Wir sollten echt mal unser Feindbild klarkriegen.
31 Aug 2022
## LINKS
[1] /Long-Covid-ist-nicht-schnell-vorbei/!5862345
[2] /Long-Covid-ueberstanden/!5867889
[3] /Ausladung-wegen-Dreadlocks/!5841132
## AUTOREN
Birte Müller
## TAGS
Kulturelle Aneignung
Critical Whiteness
Schwer mehrfach normal
Linke Szene
Political Correctness
Umweltpädagogik
Schwer mehrfach normal
Haare
Kolumne Red Flag
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