Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Die Wahrheit: Das Sachsen des Weltalls
> Ein Weltraumbahnhof in Kötenwerda – das kann nur bestürzende Folgen für
> das Zeit-Raum-Kontinuum haben.
Bild: Hochmodernes sächsisches Equipment für eine Klingonin und einen Vulkani…
„Wir kommen in Frieden, Erdlinge!“, labert uns ein halbnackter älterer Herr
im erzgebirgischen Zungenschlag entgegen. Er sieht aus wie ein
fluoreszierend leuchtender Alien. Seine auf einen roten Plastikhaarreif
geschraubten Drahtfühler wackeln, während er sich mit ausgestreckten Händen
auf uns zubewegt, um uns zu umarmen. Wir weichen gekonnt aus.
Der erleuchtete Mann ist nicht der erste Irre, dem wir heute begegnen. Das
Gelände wimmelt dermaßen vor Vulkaniern, Jedis, Klingonen,
latschentragenden Apokalypse-Predigern und versprengten Elvis-Imitatoren,
dass wir in Turnschuhen und grauen Parkas als schrille Exoten aus der Masse
herausstechen. Seitdem vor wenigen Monaten im oberlausitzischen Kötenwerda
der erste deutsche Weltraumbahnhof in Betrieb genommen wurde, pilgern Tag
für Tag zehntausende von Menschen in die neue „Area 51“ Sachsens.
Um das eingezäunte und streng bewachte Hochsicherheitsgelände mit der 200
Meter hohen Raketen-Startrampe hat sich eine ständig bewohnte Zeltstadt
gebildet. Auf dem Weg durch den jahrmarktartigen Komplex mit zahllosen
UFO-Fahrgeschäften, Fressbuden, Toilettenhäuschen und Souvenirläden werden
wir bei unserem Rundgang von Kötenwerdas parteilosem Oberbürgermeister
Ronnie Huschke begleitet. Der 47-jährige Rathauschef hat das
Jahrtausendprojekt mit der Hoffnung in die deutschlandweit bekannte
AfD-Hochburg geholt, dass die Gemeinde durch den steten Zustrom aus
UFO-Gläubigen, Trekkies und anderen Exoten auf Dauer bunter und
vielfältiger wird. Da er nach anfangs vollumfänglicher Begeisterung für
seine Initiative, mittlerweile von einem kleinen Teil der Bürgerschaft
Gegenwind bekommt, geht er nur noch in Darth-Vader-Verkleidung und mit
griffbereiter Laserschwert-Attrappe aus dem Haus.
Trotzdem betrachtet Huschke sein Engagement für das galaktische Sprungbrett
im Freistaat offenbar als vollen Erfolg. „Der Umbau von Kötenwerda in eine
Mischung aus sächsischem Cape Canaveral und Phantasialand hat erreicht, was
unsere örtliche Antifa nie geschafft hat“, keucht der durch den Vader’schen
Stimmverzerrer schurkenhaft tief klingende Verwaltungswirt. „Die AfD hier
fühlt sich wegen des ganzen Rummels so heillos überfremdet, dass sie
Kötenwerda mit dem ersten bemannten Shuttle verlassen will. Die wollen auf
irgendeinen Exo-Planeten flüchten, um die Herrschaft über die dort
ansässigen Bakterien zu übernehmen.“
## Außersächsische Außerirdische
Die astronomisch hohen Kosten für die interstellare Reise in lichtjahrelang
versiegelten Kühlboxen hätten die künftigen „kleinen braunen Männchen“ …
eine anonyme Crowdfunding-Spendenkampagne atemberaubend schnell
zusammenbekommen. Für die meisten Menschen im Dunstkreis des
Weltraumbahnhofs stünde aber eher die minütlich erwartete Landung von
außersächsischen Außerirdischen im Vordergrund.
Huschke deutet im freien Feld vor uns auf ein gewaltiges
Monolithen-Ensemble, das dem Stonehenge-Monument in Süd-england zwar nur
rudimentär ähnelt, dafür aber dreimal so groß vor uns aufragt. „Das hat d…
Druidengruppe aus der Nachbargemeinde Schirgiswalde unter Leitung des
Chefschamanen Ernst Schabulke an ihren freien Wochenenden gebastelt, um
Ankunftszeit und Einflugwinkel der Aliens zu berechnen. Aus großer Höhe
könnten sie auch noch die Nazca-Linien sehen, die extraterrestrische
Invasoren direkt nach Berlin schicken sollen“, erzählt Huschke und wirkt
urplötzlich nervös. Offenbar erhält er gerade einen Funkspruch aus der
ESA-Zentrale direkt in den Helm.
Der OB drückt auf einen der seltsamen roten Knöpfe auf seinem Brustpanzer,
so dass wir über eine Freisprecheinrichtung mithören können. Wir trauen
unseren Ohren nicht. Ein unbekanntes Flugobjekt ist tatsächlich im Anflug
auf Kötenwerda. Die schwerfälligen Tornados der Bundesluftwaffe sind
bereits vom Fliegerhorst Holzdorf aufgestiegen, um das galaktische Gefährt
abzufangen. Mit schneller Hilfe ist in den nächsten Stunden also erst mal
nicht zu rechnen.
Bevor wir überhaupt daran denken können, wegzurennen, materialisiert sich
wie aus dem Nichts durch einen Riss im Zeit-Raum-Kontinuum ein silberner
DeLorean DMC 12 und kommt nach kurzem Bremsweg direkt vor unseren Füßen zum
Stehen. Aus den sich qualmend öffnenden Flügeltüren des
Achtziger-Jahre-Kultautos steigt aber nicht etwa Marty McFly aus „Zurück in
die Zukunft“, sondern der umstrittene Buchautor Erich von Däniken.
## Kohlenstoffbasierte Lebensform
Er sei aus dem Jahre 2657 angereist, um den interstellaren Exodus der
Kötenwerdaraner AfD zu verhindern. In der Verschmelzung mit einer
kohlenstoffbasierten Lebensform würden sich diese auf ihrem neuen
Heimatgestirn nämlich zu einer unlächerlichen und rhetorisch gewitzten
Spezies entwickeln. Eines Tages in nicht allzu ferner Zukunft, so der
braune Plan, würde diese extraterrestrisch gestählte AfD dann zurückkehren
auf die Erde und den ganzen Laden übernehmen. Heute gehört uns Kötenwerda,
morgen der ganze Weltraum.
„Glauben Sie mir, mit den Sackpfeifen von heute sind Sie hier unten besser
dran“, meint der Schweizer und weiht uns in seinen Plan ein, die Anlage mit
einem Ensemble aus Photonentorpedos und TNT in Schutt und Asche zu legen.
Bevor er sich mit seiner riesigen Sporttasche durch ein Loch im Zaun
Richtung Rampe verzieht, gibt er uns allerdings noch einen kleinen Ausblick
in die nahe Zukunft. Wie er aus sicherer Quelle wisse, würde der
Weltraumbahnhof nach seiner Zerstörung im bayerischen Rottenburg an der
Laaber wieder aufgebaut. Von dort würde nach Ablauf der nächsten
Landtags-Legislaturperiode Ministerpräsident Markus Söder zum Mond
geschossen. Und das sei nun aber wirklich dann der Beginn von Frohsinn und
immerwährender Glückseligkeit.
22 Feb 2023
## AUTOREN
Patric Hemgesberg
## TAGS
Schwerpunkt AfD
Sachsen
Weltraum
Kolumne Einfach gesagt
Die Wahrheit
Katholische Kirche
Die Wahrheit
Wohnungsnot
Gold
Die Wahrheit
Post
## ARTIKEL ZUM THEMA
Zeitreise zur Wurzel des Übels: Zurück auf Anfang
Mit einer Zeitreise in die Vergangenheit ließen sich die Übel der Gegenwart
ursächlich verhindern. Aber wo anfangen? Ein Gespräch beim Eisessen.
Die Wahrheit: Keine Plörre ist auch keine Lösung
Schonungsloser Besuch in einem brandenburgischen Entwöhnungszentrum:
Kaffeesuchtis droht ab sofort Ungemach.
Die Wahrheit: Im Klingelbeutel zu den Sternen
Die katholische Kirche will in den endlosen Weiten des Weltraums nach
taufbaren Lebensformen suchen und übt schon mal im Kölner Spacecenter.
Die Wahrheit: Ein Kurt für alle Fälle
Unterwegs mit Berlins Top-Kopfgeldjäger für Abgeordnete aller Art in freier
Wildbahn. Ein gefährliches Unterfangen, eine exklusive Wahrheit-Recherche.
Die Wahrheit: WG in schmucker Gruft
Berlin ist die Hauptstadt der Wohnungslosigkeit. Doch endlich geht sie das
Riesenproblem an: Schöner Wohnen im Totenreich.
Die Wahrheit: Nazigold im Garten
Abgrundtiefe Suche am Grabetag: Sensationeller Fund in den Potsdamer
Gefilden des AfD-Ehrenvorsitzenden Alexander Gauland.
Die Wahrheit: Die Jeanne D’Arc von Köln-Nippes
Jetzt flippen auch noch die Katholiken aus. Am Rhein hat sich „von unge“
eine neue Gegen-Gegenbewegung gebildet.
Die Wahrheit: Dämmerschlaf der Götterboten
Immer mit der Ruhe: Das Recht auf Langsamkeit hat mit Wucht die Deutsche
Post erfasst. Ein schläfriger Müdmannreport.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.