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# taz.de -- Die Wahrheit: Keine Plörre ist auch keine Lösung
> Schonungsloser Besuch in einem brandenburgischen Entwöhnungszentrum:
> Kaffeesuchtis droht ab sofort Ungemach.
Bild: Massive Unterversorgung mit Kaffeebohnen wegen EU-Vorschrift für „entw…
„Schön langsam trinken“, sagt Dr. Carola Hansen. Ein untersetzter
Mittfünfziger in Feinripp-Unterwäsche leert gierig einen dampfenden
Kaffeebecher. Es wird der letzte für eine sehr lange Zeit sein. Nach
ausgeführtem Abschiedsritual verlässt Hansens Patient, begleitet von einer
Krankenschwester, den Untersuchungsraum und bezieht sein Zimmer im
brandenburgischen „Koffein-Entwöhnungszentrum Bad Belzig“.
„Wenn die Kaffeebranche Recht behält“, prophezeit die Medizinerin, „dann
droht uns auf dem deutschen, ja dem gesamten europäischen Markt sehr bald
eine massive Unterversorgung mit Kaffee.“ Das liege, so Hansen, an der seit
Dezember letzten Jahres „geltenden ‚EU-Vorschrift für entwaldungsfreie
Lieferketten‘: Die 360 EU-Unternehmen, die mit den begehrten Bohnen
handeln, müssen nachweisen, dass für ihre Kaffeeprodukte seit dem 31. 12.
2021 keine Bäume im Herkunftsland gefällt wurden.“
Die Chefärztin des „Koffein-Entwöhnungszentrum Bad Belzig“ erschreckt uns
mit der Imitation einer kreischenden Motorsäge und lacht keckernd. „Da 90
Prozent des handelsüblichen Kaffees aus nichtökologischem Raubbau stammen,
bedeutet das natürlich, dass sämtliche Reserven sofort vernichtet werden
müssen. Den morgendlichen Griff zur Kaffeedose können Sie sich für etliche
Jahre abschminken!“ Wir folgen der 43-Jährigen in einen grell erleuchteten,
mit gerahmten Kaffeehausmotiven bebilderten Flur. „Kommen Sie! Damit
Deutschland als Nation aus Kaffeesuchtis nicht kollektiv dem Wahnsinn
anheimfällt, schickt man die Heavy User schon jetzt nach und nach zu uns.“
Dr. Hansen schließt die Tür zur klinikeigenen Turnhalle auf.
Wir staunen nicht schlecht. Ein gutes Dutzend Rekonvaleszenten in braunen
Retro-Trainingsanzügen hat sich hüpfend auf mehrere Trampolins verteilt.
Eine andere Patientin verausgabt sich gerade hechelnd in einem riesigen
Hamsterrad, zwei Männer rangeln auf dem Boden und ziehen sich gegenseitig
an den Haaren. „Die ersten 48 Stunden nach der letzten Koffeinzufuhr
verbringen unsere Patienten aus Sicherheitsgründen in unserem supersicheren
Ausnüchterungsbereich mit gepolstertem Boden und Gummiwänden“, kommentiert
Hansen die Szene.
Einen glatzköpfigen Hünen, der mit irrem Gesichtsausdruck schreiend auf uns
zurast, lässt die Ärztin durch ein schwungvolles Zuwerfen der Tür
auflaufen. Nach dem unvermeidlichen Rumpeln und einem dumpfen Geräusch
begleiten wir die Chefin in den nächsten Raum. Dort steht eine verschwitzte
und ausgezehrt wirkende Gruppe vor einem mannsgroßen Wassersprudler. „In
Stufe zwei möchten wir die Menschen, die ihren Flüssigkeitsbedarf bisher
ausschließlich mit Kaffee gedeckt haben, behutsam an alternative Getränke
heranführen“, erklärt Hansen. Die Bande beäugt misstrauisch einen Pfleger,
der am Glas mit dem frisch aufbereiteten „Urquell“ nippt. Nach jedem
Schluck gibt er demonstrativ schmatzende Laute des Wohlbefindens von sich,
die offenbar zur Nachahmung anregen sollen. Der Erfolg ist überschaubar.
„Machen wir uns nichts vor“, richtet Hansen das Wort an ihre Patienten.
„Wenn die letzte Röstbohne gemahlen ist und der letzte Kaffeesatz in Ihren
Zahnzwischenräumen klebt, werden auch Ersatzprodukte wie Cola und
Energydrinks schnell ausverkauft sein. Zu guter Letzt verschwinden auch die
Koffeinshampoos aus den Regalen. Damit Sie dann nicht verdursten, müssen
wir jetzt handeln!“ Um den Trinkdruck durch massive Dehydrierung weiter zu
erhöhen, schickt Therapeutin Hansen die sture Horde mit einem „und hopp!“
zurück in den Sportbereich.
Dann verschwindet sie kurz, kommt mit einer köstlich duftenden Latte
macchiato und einem verräterischen Milchschaum-Bärtchen zurück. Hansen
führt uns vor ein rechteckiges Glasfenster. Dahinter haben es sich zirka 30
Personen mit dem Rücken zu uns im Lotussitz „bequem“ gemacht. „Hier
steigern wir mit Meditationstechniken die Resilienz gegenüber dem
irrationalen Bedürfnis nach immer mehr und noch mehr Koffein. Dazu spielen
wir über die Lautsprecher gelegentlich eine Kaffeewerbung oder das Geräusch
eines gurgelnden Vollautomaten ein. Einmal pro Stunde wird der Raum zudem
mit dem Aroma von Wiener Melange geflutet.“
Hansen winkt uns näher zu sich heran. „Da drin sitzen übrigens auch zwei
Kabinettsmitglieder aus der Ampelregierung“, flüstert sie hinter
vorgehaltener Hand. „Wegen der ständigen Sitzungen, die oft bis tief in die
Nacht gehen, sind die kaffeemäßig total drauf und machen bei uns einen
kalten Entzug durch.“ Um wen es sich genau handelt, will sie uns vorerst
nicht verraten. Als Dr. Carola Hansen an ihr plötzlich klingelndes
Mobiltelefon geht und sich palavernd von uns wegdreht, nutzen wir die
Gelegenheit.
## Aromawolke enthemmt die Rotte
Wir öffnen die benachbarte Tür einen Spaltbreit, um vielleicht doch einen
Blick auf Habeck, Buschmann, Faeser oder wen auch immer zu erhaschen. Ein
schwerer Fehler. Wir können buchstäblich sehen, wie der Durchzug die
Aromawolke von Hansens Latte in den Meditationsraum saugt. Was folgt, lässt
Zombie-Filme wie „The Walking Dead“ und „28 Days later“ alt aussehen. E…
brüllende, geifernde und zu allem bereite Rotte hat es auf Hansens
Spezialität abgesehen. Quer durch das „Koffein-Entwöhnungszentrum Bad
Belzig“ verfolgt sie die kreischende Ärztin bis ins Zentrum des
Kurstädtchens.
Wir für unseren Teil brechen die Recherche erst mal ab und gehen gemütlich,
so lange es noch geht, einen Kaffee trinken.
18 Mar 2024
## AUTOREN
Patric Hemgesberg
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