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# taz.de -- Die Wahrheit: Die Jeanne D’Arc von Köln-Nippes
> Jetzt flippen auch noch die Katholiken aus. Am Rhein hat sich „von unge“
> eine neue Gegen-Gegenbewegung gebildet.
Bild: Holy Christ! OMG!
Köln taz | Vor der Kölner St.-Kunibert-Kirche ist der Teufel los. Weil das
Innere der Basilika schon bis auf den letzten Platz belegt ist, haben sich
mehrere Zehntausend Gottesdienstbesucher über den schmalen Vorplatz und die
angrenzenden Straßenzüge verteilt.
Während der abgehetzt wirkende Pfarrer inmitten des dicht
beieinanderstehenden Pulks mit hochrotem Kopf Hostien aus einem Stahleimer
greift und von „Alaaf“-Rufen begleitet in die Menge wirft, segnet und als
Antwort auf hingerufene Spontanbeichten Absolutionen im Schnellverfahren
erteilt, sieht er sich panisch nach einem Ausweg aus der
Sonntagsvormittagshölle um. Als ein prall gefüllter Bus mit bingoverrückten
Senioren aus dem Rechtsrheinischen hupend um die Ecke biegt, wittert der
Geistliche seine Chance. Er wirft Soutane und Hostieneimer im hohen Bogen
ins ketzerische Volk und nutzt die durch das Gefährt entstandene Lücke zur
Flucht.
Zehn Minuten später ist die Aktion der kölschen Rebellen beendet. Nachdem
sich die himmlische Heerschar aufgelöst hat, um im kleinen Café der
benachbarten St.-Ursula-Kirchengemeinde geschlossen das Waffelbuffet zu
verwüsten, bleiben wir wie verabredet mit Margarete Schmitz-Pannenbäcker
zurück.
Die pensionierte Religionspädagogin, die sich in den Grenzen des Erzbistums
als „Jeanne D’Arc von Köln-Nippes“ einen Namen gemacht hat, ist Herz und
Hirn der Protestbewegung „Rainer, jank!“, was auf Hochdeutsch wohl am
ehesten als Aufforderung an den [1][Erzbischof] zu verstehen ist, sein Amt
möglichst zeitnah und endgültig zur Verfügung zu stellen. „Wir glauben,
dass echte Veränderungen nur von innen kommen können“, erklärt die
66-Jährige uns das Credo der radikalkatholischen Revoluzzertruppe, die den
reformunwilligen Greisenverein nicht durch [2][Kirchenaustritte], sondern
über massenhafte Eintritte und einen erbarmungslosen Daueransturm auf das
liturgische Angebot in die Knie zwingen will.
## Rainer, jank!
Wie Schmitz-Pannenbäcker uns berichtet, ist seit der Gründung von „Rainer,
jank!“ die Anzahl der Katholiken in der Domstadt exponentiell gestiegen und
hat im vergangenen Jahr sogar ein neues Allzeithoch erreicht. „Versuche des
Klerus, der Lage mithilfe einer breit angelegten Exkommunikationsstrategie
Herr zu werden, haben wir durch den Import expressgetaufter Heiden aus
Ostdeutschland immer wieder zurückschlagen können“, gibt sich die Theologin
kämpferisch, als es aus dem nur einen Steinwurf entfernten Kölner Dom
plötzlich Sturm läutet.
Schmitz-Pannenbäcker blickt auf die Uhr und bejubelt mit gereckter Faust
und einem „YES!“-Ausruf das perfekte Timing ihrer Mitstreiter*innen.
Offenbar ist es einem christlichen Spezialkommando gelungen, sich im
Glockenstuhl zu verbarrikadieren und den „Decken Pitter“, dessen
machtvoller Gong, der, abgesehen von wenigen Hochämtern im Jahr, in der
Regel schweigt, im anarchistischen Dauerbetrieb dengeln zu lassen.
Wie uns die Ex-Lehrkraft erklärt, ist das für unzählige Aufständische
überall in der Stadt das Signal, unverzüglich für den synodalen Umsturz
aktiv zu werden. „Während unsere frommen Schwestern simultan und ohne
Voranmeldung ihre persönliche Bewerbung beim erzbischöflichen
Priesterseminar einreichen, werden die Männer mit multiplen Anfragen das
Büro der katholischen Beratungsstelle für Ehe- und Familienfragen fluten.
Den Anfang macht allerdings unser Bambinigeschwader, das gerade in diesem
Moment für eine spontane Kommunionsstunde die Tür zu den Privatgemächern
des Bischofs aufbrechen dürfte“, verkündet die Rheinländerin kichernd.
## Papamobil vom Jugendtag
Alles in allem sei an der von langer Hand geplanten Kampagne halb Köln
beteiligt. Die Chefrebellin selbst hat derweil in der Innenstadt einen
Termin in eigener Sache, zu dem wir sie freundlicherweise begleiten dürfen.
Auf dem Hinterhof der Kirchengemeinde wartet dafür das beim Weltjugendtag
2005 Benedikt dreist unterm Hintern weggeklaute Papamobil mit
vollverglaster Empore, um uns langsam, aber stetig durch die winkende und
Fähnchen wedelnde Protestmeute zum Zielpunkt zu bugsieren.
Nach einem zuvor klar festgelegten Prozessionsweg haben wir binnen weniger
Stunden das Karnevalsfachgeschäft „Jeck im Rähn“ auf dem Kölner Neumarkt
erreicht, in dem die Rentnerin heute eine sündhaft teure
Kostümspezialanfertigung anprobieren möchte. Als Schmitz-Pannenbäcker wenig
später auf der thronartigen Sitzgelegenheit Platz nimmt, staunen wir nicht
schlecht. In ihrem prachtvollen Messgewand, dem brokatbestickten Mantel und
der erhabenen Mitra wirkt sie buchstäblich zum Niederknien.
Noch etwas verlegen hält sie uns leicht errötend die Hand mit dem
Fischerring vors Gesicht, den wir augenblicklich demütig abbusseln. Er ist
ein wenig klobig und schmeckt nach Pfefferminz. Aber wenn sich der Erfolg
der kölschen Reformerin erst im fernen Rom herumgesprochen hat, könnte sich
das ziemlich bald ändern.
10 Jan 2023
## LINKS
[1] /Umstrittener-Koelner-Erzbischof/!5835519
[2] /Quereinsteiger-in-der-Kirche/!5900887
## AUTOREN
Patric Hemgesberg
## TAGS
Die Wahrheit
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