| # taz.de -- Die Wahrheit: Nazigold im Garten | |
| > Abgrundtiefe Suche am Grabetag: Sensationeller Fund in den Potsdamer | |
| > Gefilden des AfD-Ehrenvorsitzenden Alexander Gauland. | |
| Bild: Davon träumen Schatzgräber: Stapel von Goldbarren | |
| „Machen Sie, dass Sie von meinem Grundstück kommen, aber pronto“, brüllt | |
| Alexander Gauland mit hochrotem Kopf durch das gekippte Küchenfenster. In | |
| dem mit urdeutscher Gründlichkeit getrimmten Vorgarten der Villa des | |
| AfD-Ehrenvorsitzenden sind am frühen Morgen Dutzende von Schatzsuchern aus | |
| den Niederlanden ausgeschwärmt und prüfen das Erdreich mit hochfrequent | |
| aufjaulenden Metalldetektoren und gelegentlichen Spatenstichen nach | |
| wertvollen Hinterlassenschaften. | |
| Das bei Probegrabungen entstandene Hauptloch ist schon so tief, dass der am | |
| Straßenrand parkende Reisebus mit gelbem Kennzeichen wohl senkrecht | |
| hineinpassen würde. „Zum letzten Mal! Hier gibt es kein Nazigold, verflucht | |
| noch eins!“, schmettert der AfD-Politiker einem behelmten Hobbyarchäologen | |
| mit drohender Faust entgegen, der gerade an einer Holzleiter aus dem Loch | |
| steigt. | |
| Während Gauland die Vorhänge zuzieht und sich aufgeregt telefonierend ins | |
| Hausinnere verzieht, sondiert Edwin Kanuffke die Lage. „Ordentlich wat los | |
| hier“, reibt sich der 47-Jährige energisch das Kinn. Seit mehr als zwei | |
| Stunden wartet der Mitarbeiter des Potsdamer Ordnungsamtes auf Verstärkung. | |
| Da Kanuffke sein Funkgerät ausgeschaltet hat, können seine angeblichen | |
| Hilferufe es gar nicht erst in den Äther schaffen, was der wutschnaubende | |
| Rechtsaußen in seinen vier Wänden offenbar nicht mitbekommen hat. Für den | |
| Beamten genießt die aufgewühlte Lage ohnehin nicht oberste Priorität. „Das | |
| bisschen Buddeln tut doch eigentlich keinem weh“, winkt der Ordnungshüter | |
| ab, während er mit einem Holzgäbelchen Gratis-Poffertjes aus einer | |
| Pappschale pickt und sich die typisch holländische Leckerei munden lässt. | |
| ## Sagenumwobene Nachlässe | |
| Ein herbeigeeilter niederländischer Freizeitschaufler füllt Kanuffke die | |
| erst halbleere Tasse aufmerksam mit frisch aufgebrühtem Bohnenkaffee nach. | |
| Wie uns der Staatsdiener erzählt, ist halb Holland hüben wie drüben auf der | |
| Suche nach sagenumwobenen Nachlässen aus der Nazizeit – Anlass ist der | |
| jährliche „Open-Access-Day“, der Tausende von historischen Karten und | |
| Dokumenten für die öffentliche Nutzung freigibt. Dass der größte Nazischatz | |
| von allen sich im Dunstkreis der ehemaligen Reichshauptstadt befinden muss, | |
| sei im Nachbarland ein offenes Geheimnis und mache Berlin wie Potsdam zur | |
| Topdestination für findige Trophäenjäger. | |
| „Nach unserem Kenntnisstand halten sich derzeit bis zu einer Million | |
| grabende Gäste aus den Niederlanden in Berlin und Potsdam auf“, bilanziert | |
| der Ordnungsprüfer. Da der Tourismuszustrom aus dem Westen auch einen | |
| äußerst warmen Geldregen mit sich bringe, seien Polizei und Verwaltung | |
| angewiesen, mit größtmöglicher Milde zu verfahren und nur im Notfall | |
| einzugreifen. | |
| Als die Gauland’sche Villa aufgrund der zahlreichen Krater in Fundamentnähe | |
| plötzlich mit einem gewaltigen Brummeln absackt und sich anschließend 45 | |
| Grad nach rechts neigt, sieht Kanuffke dann doch die Notwendigkeit zur | |
| Rücksprache mit der Zentrale gekommen. | |
| „Situation unter Kontrolle. Keine Besonderheiten. Kanuffke out und over“, | |
| flötet der Aufseher gutgelaunt ins Walkie-Talkie und lädt uns ein, ihn bei | |
| der Autofahrt zum nächsten Stopp auf seiner Inspektionsrunde zu begleiten. | |
| „Laut Königlich Niederländischer Gesellschaft für Geografie befinden sich | |
| an den Gestaden des Wannsees und in dessen Hinterland insgesamt 27 mögliche | |
| Standorte des berüchtigten Führerbunkers“, erklärt der Hilfspolizist. | |
| ## Intensive Grabungen | |
| Durch immer wieder nachgebende Abbruchkanten infolge intensiver Grabungen | |
| habe sich die Gewässerfläche und damit das gesamte Naherholungsgebiet | |
| innerhalb weniger Wochen um das Eineinhalbfache vergrößert. „Ein Segen für | |
| Mensch und Tier, den wir ausschließlich unseren holländischen Freunden zu | |
| verdanken haben“, findet Kanuffke, der sich wie viele andere Potsdamer und | |
| Berliner mittlerweile sein bescheidenes Gehalt mit dem Verleih von | |
| Schubkarren und Spitzhacken, Stirnlampen und Nachtsichtgeräten aufbessert. | |
| Auf verwunschenen Waldwegen fernab der brandenburgischen und berlinerischen | |
| Hauptstraßen erreichen wir schließlich das beliebte Badegewässer. Wir sind | |
| allerdings nicht erfreut, als das wandelnde Exekutivorgan den Kofferraum | |
| seines Dienstwagens öffnet, jedem einen Spaten in die Hand drückt und uns | |
| unverzüglich zum Schaufeln auffordert. Als wir bei Einbruch der Dunkelheit | |
| dem wurzelverseuchten Erdreich einen mannstiefen und fünf Meter breiten | |
| Trichter abgetrotzt haben, schüttet der von Kanuffke bestellte Kipplader | |
| tonnenweise Flohmarktklunker und anderen Plunder hinein. | |
| Auf dem Rückweg nach Potsdam schreckt uns kurz vor dem Einnicken eine | |
| Eilmeldung im Radio auf. Holländische Schatzsucher haben bei einer | |
| „Abendgrabung“ in der Nähe des Wannsees neben einem Nazigoldschatz auch | |
| noch die vermissten Ausstellungsstücke aus dem Grünen Gewölbe, das | |
| verschollene Bernsteinzimmer und einige jahrtausendealte Papyrusrollen mit | |
| neuen Bibelinterpretationen entdeckt. | |
| Komplizenhaft grinsend blickt Edwin Kanuffke vom Fahrersitz herüber. Uns | |
| wird schlecht. Wir sind von bloßen Beobachtern zu kriminellen Mittätern | |
| einer kommunal verordneten Verschwörung geworden. Hier geht es doch nur um | |
| Wirtschafts- und Tourismusförderung! Wird Berlin, wird Potsdam es uns | |
| jemals danken? | |
| 25 Jan 2023 | |
| ## AUTOREN | |
| Patric Hemgesberg | |
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