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# taz.de -- Ein Jahr Krieg in der Ukraine: Wendepunkte des Krieges
> Vom Sturm auf Kyjiw zum Stellungskrieg: Wie sich der Krieg immer wieder
> veränderte – und damit die Prognosen über den Verlauf.
Bild: Ukrainische Soldaten bei der Verteidigung Kyjiws am 25. Februar 2022
## Der Kriegsbeginn
Kurz vor 6 Uhr morgens überfällt Russland am 24. Februar 2022 die Ukraine.
Von Belarus, aus dem Osten und von der Krim rücken Bodentruppen vor. Mit
Raketen und Kampfjets werden militärische Einrichtungen beschossen.
Russlands Hauptziel in den ersten Tagen: die Hauptstadt Kyjiw erobern und
die ukrainische Regierung absetzen. Wolodimir Selenski soll nach
Geheimdienstberichten auf einer Todesliste russischer Spezialkräfte stehen.
Fallschirmjäger versuchen den Flughafen Kyjiw-Hostomel einzunehmen. Viele
Experten gehen davon aus, dass die Ukraine nicht lange Widerstand leisten
kann. Der Politologe Herfried Münkler sagt am Tag des Angriffs [1][im
Interview mit Zeit Online]: „Die Ukraine ist verloren.“ Und: „Militärisch
dürfte die Sache in ein paar Tagen gelaufen sein.“
Deutschland schickt am 25. Februar mit zwei Lastwagen 5.000 Helme in die
Ukraine. Die Lieferung war bereits vor Kriegsbeginn zugesagt worden. Bei
einer Sondersitzung im Bundestag spricht Olaf Scholz von einer
„Zeitenwende“ und kündigt an, die Bundeswehr mit 100 Milliarden Euro
Sondervermögen aufzurüsten.
## Der Kampf um Kyjiw
Die Kontrolle über den Flughafen Hostomel wechselt in den ersten Tagen
mehrmals hin und her. Obwohl sich die russischen Truppen Ende Februar auf
dem Gelände festsetzen können, ist [2][die Gefahr ukrainischer
Gegenangriffe zu groß, als dass Hostomel als russische Basis dienen
könnte]. Der schnelle Coup ist gescheitert. Die Russen müssen alle Truppen
über den Landweg heranführen. Sie versuchen Kyjiw einzukreisen, schaffen es
aber nie, den Ring um die Stadt zu schließen.
Auf dem Weg nach Kyjiw staut sich ein über 60 Kilometer langer
Fahrzeugkonvoi. Der ukrainischen Armee gelingt es, die Russen vom Nachschub
abzuschneiden. In den ersten zwei Monaten des Kriegs liefern die USA 5.500
Javelin-Panzerabwehrwaffen an die Ukraine. Hunderte russische Panzer werden
durch sie zerstört.
Am 29. März verkündet Russland, seine Truppen um Kyjiw zurückzuziehen. Man
werde die Angriffe auf den Osten und Süden der Ukraine konzentrieren. Am 2.
April erklären die ukrainischen Behörden, dass die Region Kyjiw wieder
unter ihrer Kontrolle ist. In Butscha werden nach dem Abzug über 300 tote
Zivilisten entdeckt, teils in Massengräbern, teils auf der Straße liegend,
in den Kopf geschossen. Die russische Armee hat hier Kriegsverbrechen
verübt.
Die Bilder aus Butscha sorgen weltweit für Entsetzen. Olaf Scholz kündigt
weitere Waffenlieferungen an und sagt: „Es muss unser Ziel sein, dass
Russland diesen Krieg nicht gewinnt.“
## Russische Offensive im Süden und Osten
Mit großer Feuerkraft und Brutalität auch gegenüber Zivilisten erzielt die
russische Armee langsame Fortschritte im Süden und Osten der Ukraine. Bei
einem russischen Raketenangriff auf einen Bahnhof in Kramatorsk sterben
über 50 Zivilisten, die dort auf Züge in den Westen gewartet hatten.
Am 21. Mai verkündet Russland nach wochenlanger Belagerung die Einnahme des
Asow-Stahlwerks mit seinem unterirdischen Tunnelsystem. Etwa 2.500
ukrainische Kämpfer kommen in Kriegsgefangenschaft. Die Hafenstadt Mariupol
ist damit in russischer Hand.
Anfang Juli erobern russische Soldaten die Städte Sewerodonezk und
Lyssytschansk. Damit bringen sie die Donbass-Region Luhansk komplett unter
ihre Kontrolle. In den eroberten Gebieten werden russische Pässe ausgegeben
und der Rubel als Zahlungsmittel eingeführt.
## Ukrainische Gegenoffensive
Die Ukraine beginnt eine Offensive in den Regionen Cherson und Charkiw. In
der Gegend um Charkiw befreit sie innerhalb weniger Tage große Gebiete, die
russischen Truppen ziehen sich fluchtartig zurück. Eine entscheidende Rolle
für die Offensive spielen die seit Juni gelieferten amerikanischen
Himars-Raketenwerfer, mit Raketen, die bis zu 80 Kilometer weit fliegen und
satellitengestützt ihr Ziel finden.
Die Ukraine hat damit die Offensive wochenlang vorbereitet, indem sie
russische Stützpunkte weit hinter der Front zerstörte. Im Sommer hatte die
russische Armee verkündet, mehr Himars-Laster zerstört zu haben, als die
Ukraine überhaupt geliefert bekommen hatte. Es stellte sich heraus, dass
die russischen Jets auf Holzattrappen des Raketenwerfers geschossen
hatten.
Als Reaktion auf die ukrainische Offensive verkündet Wladimir Putin eine
Teilmobilmachung, 300.000 neue Soldaten sollen rekrutiert werden. Tausende
junge Männer reisen aus, Flüge nach Istanbul sind ausgebucht. In Russland
sprechen erste hochrangige Politiker von einem „Krieg“ statt von einer
Spezialoperation. Bei einer Zeremonie im Kreml [3][am 30. September erklärt
Putin, dass die Regionen Luhansk, Donezk, Cherson und Saporischschja
fortan zu Russland gehörten].
Wiederholt droht er mit dem Einsatz von Atomwaffen. „Direkt, privat und auf
sehr hohen Stufen“ habe das Weiße Haus dem Kreml mitgeteilt, dass jeder
Einsatz von Atomwaffen katastrophale Folgen für Russland habe werde, sagt
der nationale Sicherheitsberater der USA, Jack Sullivan, daraufhin Anfang
Oktober. Auch der chinesische Präsident Xi Jinping betont Anfang November,
die internationale Gemeinschaft müsse die Drohung mit Atomwaffen ablehnen.
Am 11. November befreien ukrainische Truppen die Stadt Cherson, die einzige
Hauptstadt einer Region, die Russland nach dem 24. Februar erobern konnte.
Nun wird von internationalen Beobachtern ein Sieg der Ukraine in Betracht
gezogen.
Der Historiker und Ukraine-Experte Timothy Snyder [4][rechnet nun mit einer
„Niederlage Russlands in der Ukraine, die in einen russischen Machtkampf
übergeht, der einen russischen Rückzug aus der Ukraine erfordert“]. Grund
dafür sind die öffentliche Kritik am russischen Kurs in der Ukraine von
Tschetschenen-Führer Ramsan Kadyrow und dem Chef der Wagner-Truppe Jewgeni
Prigoschin.
## Der Winterkrieg
Der einbrechende Winter verändert den Krieg. Im Osten entwickelt sich ein
Stellungskrieg mit wenig Verschiebungen. Nun konzentriert Russland seine
Angriffe auf die Infrastruktur der Ukraine, besonders auf Heizkraftwerke
und Stromversorgung. Am 5. Dezember schießt die Armee 70 Raketen aus weiter
Entfernung, teils von Schiffen im Schwarzen Meer. In der Hafenstadt Odessa
fällt nach einem Stromausfall die Wasserversorgung aus, in der
Industriestadt Krywyj Rih die Fernheizung. In der Region Kyjiw sind 40
Prozent der Menschen ohne Strom. Elektrizität wird nun rationiert, die
UkrainerInnen müssen sich mit Generatoren versorgen und in Wärmestuben
aufwärmen.
Nach zähen Verhandlungen entscheidet Olaf Scholz Ende Januar, nun doch
Kampfpanzer vom Typ Leopard an die Ukraine zu senden.
## Wie geht es weiter?
Es mehren sich Anzeichen, dass Russland eine neue Offensive beginnt. Der
ehemalige Leiter der CIA, David Petraeus, sagt in einem Interview mit der
CNN, dass Russland diesen Krieg nicht gewinnen werde. Er rechnet mit einem
Sieg der Ukraine.
Für das Frühjahr wird auch eine ukrainische Offensive erwartet. Die
meisten Militäranalysten gehen davon aus, dass die Ukraine versuchen wird,
in einer Stoßbewegung zum Asowschen Meer vorzurücken. Wenn ihr das gelänge,
würde das russisch besetzte Gebiet in zwei Teile zerschnitten – und die
russische Armee hätte extreme Probleme, ihre Truppen weiter mit Nachschub
und Munition zu versorgen. Eine andere Möglichkeit könnte sein, dass die
Ukraine die Krim verstärkt ins Ziel nimmt. Das Kalkül: Wenn Wladimir Putin
klar werden würde, dass er die Krim verlieren könnte, wäre er eher zu
Verhandlungen und Zugeständnissen bereit.
22 Feb 2023
## LINKS
[1] https://www.zeit.de/kultur/2022-02/herfried-muenkler-ukraine-russland-geopo…
[2] https://www.nzz.ch/international/krieg-gegen-die-ukraine/warum-russland-im-…
[3] /Russland-annektiert-ukrainische-Gebiete/!5882841
[4] https://snyder.substack.com/p/how-does-the-russo-ukrainian-war?r=f9j4c&…
## AUTOREN
Kersten Augustin
Jan Pfaff
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