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# taz.de -- Verbrechen der Wehrmacht in der Ukraine: Opa erzählt vom Krieg
> Der Krieg in der Ukraine ist Anlass, über die Verbrechen der Wehrmacht
> dort zu sprechen. Die Frage ist, welche Gesprächspartner dazu geeignet
> sind.
Bild: Lieber darüber schweigen: deutscher Panzer im Zweiten Weltkrieg in der U…
Die Großeltern sitzen auf der Couch, um sie herum ihre Enkelkinder, die
rufen: „Großvater, Großmutter, erzählt uns von früher!“ Und die Großel…
lächeln milde und erzählen, offen und ehrlich, von einer längst vergangenen
Zeit. Schön wär’s! Bei meinen Großeltern war das anders. Die einen hatten
sich entschlossen zu schweigen und ihre Erinnerungen wegzuschließen, die
anderen erzählten gerne – am liebsten aber als Anekdoten verpackte düstere
Geschichten.
Meine deutschen Mitschüler hatten keinen blassen Schimmer, was (Ur)Oma und
(Ur)Opa im Krieg gemacht hatten – aber das hatte andere Gründe. In
deutschen Familien hatte man sich nach 1945 auf das Verschweigen der
eigenen Vergangenheit geeinigt. Und erzählte man doch, dann, wie schlimm
alles war – und dass man ja auch nur Opfer gewesen ist.
Erst vergangene Woche war eines dieser deutschen Exemplare [1][im
Deutschlandfunk zu hören.] DLF-Sachsenkorrespondent Alexander Moritz
befragte den ehemaligen Panzersoldaten Joachim Höppner, heute 96, zu seiner
Haltung in der Frage um Waffenlieferungen für die Ukraine. Höppner hatte
sich selbst beim DLF gemeldet und war so zu seinem Interview gekommen. Als
der Beitrag erscheint, ist die Entscheidung von Kanzler Scholz längst
gefallen: Deutschland liefert Kampfpanzer. Der Rahmen ist gesetzt: Hier
will ein ehemaliger Wehrmachtssoldat, der 1944 als Panzerschütze an der
Westfront gekämpft hat und deshalb heute Pazifist ist, einem von Russland
angegriffenen Staat Ratschläge erteilen. Mutig.
Die folgenden Minuten sind eine Aneinanderreihung von Aussagenschnipseln,
die mehr über die Auswirkungen von Ideologie und Propaganda auf einen
Menschen aussagen, als tatsächlich Aufschluss geben über eine auf
Argumenten aufgebaute pazifistische Haltung. Es entsteht der Eindruck, dass
sich da jemand bis ins späte Alter hinein nicht mit seiner Rolle im Zweiten
Weltkrieg auseinandergesetzt hat. Oder wie Höppner selbst sagt: Es gebe
Dinge, über die er bis heute nicht rede. Deutsche
Vergangenheitsbewältigung par excellence.
Das Nicht-Reden, diese lückenhafte Erinnerung und Verdrängung eigener
Verantwortung und Schuld, wird deutlich, wenn Höppner von seiner Zeit als
Kriegsgefangener in Kyiw berichtet, von der Zerstörung der Stadt. Warum
Kyiw zerstört war und durch wen, das lässt er weg.
„Mit Waffen löst man überhaupt kein Problem“, behauptet der Pazifist. Und
fordert stattdessen Gespräche: „Wenn ehrliche, kluge Leute sich an den
Verhandlungstisch setzen“, dann könne die Situation von vor zwei, drei
Jahren wieder hergestellt werden. Tolle Aussicht! Und dass das
nationalsozialistische Deutschland nicht mit Verhandlungen, sondern nur
durch Waffengewalt besiegt werden konnte, verschweigt er ebenfalls. Auch
Korrespondent Moritz verzichtet auf diese Korrektur.
Nur einmal ordnet der Journalist etwas kritisch ein: „Dass die Ukraine ein
Selbstbestimmungsrecht hat, dass Russland einen rechtswidrigen
Angriffskrieg führt: Diese Argumente überzeugen ihn nicht.“ Ob jemand, der
sich auf grundlegende Fakten nicht einigen kann, der richtige
Gesprächspartner für eine ernsthafte Diskussion ist, daran gibt es für ihn
und den DLF keinen Zweifel. Letzterer versuchte sich [2][damit zu retten],
dass Höppners Motiv ja eines sei, das hinter der in der deutschen
Öffentlichkeit diskutierten Ablehnung von Waffenlieferungen an die Ukraine
stehe. Zu glauben, dass gerade ein Wehrmachtsopa diesen Teil der Deutschen
repräsentieren soll, ist absurd.
Die Rolle der Wehrmacht wurde über Jahrzehnte ausgespart. Die [3][zweite
Wehrmachtsausstellung 2001] war ein Eisbrecher. Sie zerstörte endgültig die
Legende von der „sauberen Wehrmacht“; zeigte deutsche Soldaten in
Osteuropa, wie sie Verbrechen an der örtlichen Bevölkerung, an Jüdinnen und
Juden begingen. Wird Zeit, diese Ausstellung wieder auszupacken.
17 Feb 2023
## LINKS
[1] https://www.deutschlandfunk.de/keine-panzer-liefern-die-sicht-eines-ehemali…
[2] https://www.deutschlandfunk.de/beitrag-joachim-hoeppner-100.html
[3] /Legenden-ueber-die-Wehrmacht/!5237160
## AUTOREN
Erica Zingher
## TAGS
Kolumne Grauzone
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Schwerpunkt Zweiter Weltkrieg
Wehrmacht
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Essay
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NS-Forschung
Russland
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
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