# taz.de -- Raketen auf die Gedenkstätte Babyn Jar: Kiew ist den Russen fremd | |
> Bei einem Angriff wurde die Gedenkstätte Babyn Jar beschädigt. Präsident | |
> Selenskyi wirft den Angreifern vor, die Geschichte auslöschen zu wollen. | |
Bild: „Sie wissen nichts über unsere Hauptstadt. Über unsere Geschichte“,… | |
Putins Krieg macht auch vor Gedenkstätten an die Massenmorde der Nazis | |
nicht halt. Am Dienstag starben nach ukrainischen Angaben bei einem | |
[1][Raketenangriff auf den Fernsehturm von Kiew] mindestens fünf Menschen. | |
Der 1973 errichtete Turm grenzt direkt an das Gelände eines der | |
furchtbarsten Massaker im Zweiten Weltkrieg. | |
In der Schlucht von [2][Babyn Jar ermordeten SS-Einsatzgruppen] am 29. und | |
30. September 1941 mehr als 33.000 jüdische Frauen, Kinder und Männer. Auch | |
deutsche Soldaten hatten daran ihren Anteil: „Wehrmacht begrüßt Maßnahmen | |
und erbittet radikales Vorgehen“, heißt es in einem Bericht des | |
Generalfeldmarschalls Reichenau. Insgesamt wurden auf dem Gelände von Babyn | |
Jar bis zur Befreiung mehr als 100.000 Menschen ermordet. | |
Bei dem Angriff vom Dienstag geriet nach Angaben von Nathan Scharanskyi von | |
der Gedenkstätte Babyn Jar ein Gebäude in Brand, das als Standort für ein | |
künftiges Museum vorgesehen war. Darin habe man Versuche der früheren | |
Sowjetunion darstellen wollen, das Gedenken an der Holocaust zu | |
unterdrücken. | |
## Lange Zeit keine Erinnerung | |
Der [3][ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyi], der selbst jüdische | |
Vorfahren hat, fragte: „Was kommt da noch, wenn jetzt schon Babyn Jar | |
bombardiert wurde?“ Der Angriff zeuge davon, dass für die absolute Mehrheit | |
der Russen Kiew fremd sei. Nun versuche Russland, die ukrainische | |
Geschichte auszulöschen. Das Gelände von Babyn Jar befand sich im Zweiten | |
Weltkrieg außerhalb von Kiew. Nach der Befreiung durch die Rote Armee fand | |
zwar eine Untersuchung der Mordstätte statt, die sowjetische Führung verbot | |
aber ein Gedenken an die jüdischen Opfer. Wie überall im Land war nur von | |
getöteten „Sowjetbürgern“ die Rede. | |
Lange Zeit wurde keinerlei Erinnerung zugelassen, stattdessen entstand dort | |
eine Müllkippe. Die Schlucht wurde zugeschüttet. Der jüdische Friedhof, an | |
dem sich die Opfer 1941 sammeln mussten, musste eingeebnet werden, dort | |
entstand das Fernsehzentrum. Erst 1976 errichteten die Sowjets ein | |
gewaltiges Denkmal, das den ruhmreichen Sowjetsoldaten gewidmet ist. | |
Das Gelände, mittlerweile mitten in der Stadt gelegen, ist heute eine große | |
Parkanlage. Nach der Unabhängigkeit der Ukraine begann eine bis heute | |
andauernde Debatte um die Form des Gedenkens, auch weil in Babyn Jar | |
verschiedene Opfergruppen ums Leben kamen. | |
## Fragmentierung stieß in der Ukraine auf Kritik | |
Heute findet sich dort sowohl ein Mahnmal für die getöteten Juden in Form | |
einer Menorah als auch ein stilisierter Pferdewagen, der an den Mord an | |
Roma erinnern soll. Ein Kreuz steht für den Mord an Christen, ein anderes | |
Mahnmal gedenkt der verschleppten ukrainischen Zwangsarbeiter und ein | |
weiteres ukrainischer Nationalisten. | |
Diese Fragmentierung der Erinnerung stieß in der Ukraine auf Kritik. In den | |
letzten Jahren kam es zu intensiven Kontroversen um die Zukunft von Babyn | |
Jar, wie sie in Russland undenkbar wären. Dort hat sich Erinnerungspolitik | |
kaum gewandelt: Im Mittelpunkt steht seit fast 80 Jahren der glorreiche | |
Rotarmist. | |
Mehr als eine Million Opfer der Nazis liegen noch heute in Massengräbern | |
verscharrt in der Ukraine. Die deutsch-ukrainische Initiative „Erinnerung | |
bewahren“ hat sich in jüngster Zeit darum bemüht, diesen Menschen durch die | |
Gestaltung von Gedenkstätten auch in der Provinz ein würdiges Andenken zu | |
bewahren. Der Krieg hat eine Fortsetzung dieser Arbeit unmöglich gemacht. | |
2 Mar 2022 | |
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[1] /Krieg-in-der-Ukraine/!5838092 | |
[2] /Gedenken-an-die-Toten-von-Babyn-Jar/!5803898 | |
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## AUTOREN | |
Klaus Hillenbrand | |
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