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# taz.de -- Wissenschaftler über Hilfe nach Erdbeben: „Europa muss sehr vors…
> Syrien fordert Nothilfe nach dem Beben. Ginge der Westen darauf ein,
> würde er das mörderische Regime legitimieren, warnt Konfliktforscher
> André Bank.
Bild: Syriens Machthaber Assad könnte durch diese Krise seinen Status als Ausg…
wochentaz: Herr Bank, braucht das Assad-Regime in Syrien [1][nach dem
Erdbeben] unsere Hilfe?
André Bank: Assad hätte gern europäische und auch deutsche Hilfe, um sich
international zu rehabilitieren und auch um innerhalb Syriens seinen
Anspruch durchzusetzen, der über einen Großteil des Landes herrschende
Präsident zu sein. Europa muss aber sehr vorsichtig sein. In früheren
Krisen hat Assad Hilfsgelder und Hilfsgüter herrschaftspolitisch
instrumentalisiert. Ein Großteil ist nicht bei den Bedürftigen angekommen,
sondern ging an seine Klientel.
In Syrien gab es [2][mehrere tausend Tote], nicht nur in den
Rebellengebieten. Sie plädieren dafür, Bedürftige in Gebieten, die Assad
kontrolliert, bluten zu lassen, nur um ihn nicht zu unterstützen?
Das ist eine schwierige Position, ich weiß. Aber auch für das bisherige
„Bluten lassen“ in Regimegebieten ist fast ausschließlich Assad
verantwortlich. Die Gefahr, dass er durch diese Krise seinen Status als
internationaler Paria noch weiter verliert, ist sehr groß. Zudem ist es
nicht so, dass dort gar keine Hilfe ankommt. Es gibt Hilfe von Russland,
Iran, Algerien und anderen Ländern. Insofern ist die Versorgung dort zwar
nicht gut, aber ein Stück weit gegeben.
Sie befürchten, dass Assad im Windschatten des Bebens auf die
internationale Bühne zurückkehrt?
Nach [3][zwölf Jahren Krieg] gibt es heute ohnehin schon eine
Wiederannäherung an Syrien. Im Dezember kam es unter russischer Vermittlung
zu einem ersten [4][Treffen der Verteidigungsminister Syriens und der
Türkei], die der wichtigste Unterstützer der syrischen Opposition war. Auch
Jordanien, das als erstes arabisches Land 2011 für einen Regimewechsel in
Syrien plädierte, macht Schritte in diese Richtung. Selbst in Europa
bröckelt die Front gegen Assad. Trotz der Menschenrechtsverletzungen und
obwohl das syrische Regime sogar noch nach dem Erdbeben Stellungen im
Rebellengebiet im Nordwesten Syriens bombardiert hat, kommt Assad Schritt
für Schritt zurück.
Was ist über die jüngsten Angriffe bekannt?
Entgegen der Vorstellung, dass der Krieg vorbei ist, versucht die syrische
Luftwaffe, das vom Regime kontrollierte Gebiet nach Norden hin auszuweiten.
Es gab Berichte, dass es sogar Montag früh, kurz nach dem ersten großen
Beben, Bombardierungen gab. Das Regime mordet weiter und hält Tausende
Menschen in Foltergefängnissen. Deshalb sehe ich das größte Problem in
einer Legitimierung dieser Regierung, die für die schlimmsten
Menschenrechtsverletzungen des 21. Jahrhunderts verantwortlich ist.
Zurück zum Beben: Warum unterscheiden Sie zwischen westlicher Hilfe und
Hilfe aus anderen Ländern? Die Gefahr der Instrumentalisierung durch Assad
besteht doch generell.
Algerien und einige Golfstaaten, die Emirate zum Beispiel, haben Helfer
mitsamt medizinischem Material direkt nach Aleppo entsandt. Europäische
Hilfe würde stärker instrumentalisiert werden. Westlichen Helferinnen und
Helfern wäre es nach jetzigem Stand nicht erlaubt, sich in Syrien frei zu
bewegen. Es steht bislang gar nicht zur Debatte, dass westliche Ärzte vor
Ort arbeiten.
Was will Assad dann?
Das Regime hat verlangt, dass technische und medizinische Hilfsgüter an die
Regierung in Damaskus geliefert werden und diese sie dann verteilt. Da aber
die mit Abstand bedürftigste Region in Syrien, die schon vor dem Erdbeben
massiv unterversorgt war, der Nordwesten ist, sollte europäische Hilfe sich
auf [5][Idlib] und Umgebung konzentrieren sowie auf die mit der Türkei
alliierten Gebiete nördlich davon, rund um [6][Afrin].
Wie können Sie so sicher sein, dass Assad Hilfe instrumentalisieren würde?
Und was genau ist Ihre Befürchtung?
In der Coronapandemie hat Assad medizinisches Material, ab 2021 dann auch
Impfstoffe, gezielt in Gebiete weitergeleitet, die für sein Regime
besonders wichtig sind. Das sind die Hauptstadt Damaskus, Homs und Hama
sowie das Alawitengebiet an der Mittelmeerküste und deren Hinterland. Viel
weniger ist im Süden angekommen, wo 2011 der Aufstand begann, wie auch im
Nordosten, wo kurdische Akteure aktiv sind und auch arabische Großfamilien
leben, die für den Herrschaftserhalt Assads nicht so zentral sind.
Staatsnahe syrische Medien werfen dieser Tage dem Westen eine Politisierung
von Nothilfe vor.
Und verbunden wird der Vorwurf dann vonseiten der Regierung und auch vom
Vorsitzenden des Syrisch-Arabischen Halbmonds, der sehr eng mit dem Regime
kooperiert, mit der Forderung nach einer Aufhebung der Sanktionen. Die
Bitte um Hilfe wird also direkt gekoppelt mit dem Interesse, das gesamte
Sanktionsregime gegen das Land zu unterminieren.
Um was für Sanktionen geht es genau?
Syriens Außenminister Faisal Miqdad und der Chef des Syrisch-Arabischen
Halbmonds, Khaled Hbubati, haben gefordert, alle Sanktionen gegen Syrien
aufzuheben. Humanitäre Hilfsgüter sind aber ohnehin von den internationalen
Sanktionen ausgenommen. Die Versorgung mit Medizin, Decken, Wasser oder
Grundnahrungsmitteln ist eigentlich nicht sanktioniert.
Trotzdem, sagten Sie gerade, sollte Europa nichts Derartiges nach Damaskus
liefern. Aber sprechen wir über die Hilfe für den Nordwesten, die Sie
befürworten.
Über den Grenzübergang Bab al-Hawa an der türkisch-syrischen Grenze kommt
aktuell kaum Hilfe in den Nordwesten. Deswegen müssen dringend weitere
Übergänge geöffnet werden. Es gibt entlang der Grenze zwanzig, von denen
mindestens eine Handvoll in Betracht kommt, und zwar die, die direkt an das
Rebellengebiet angrenzen und auf syrischer Seite nicht von Hai’at Tahrir
al-Scham (HTS) kontrolliert werden. Das ist eine radikal-islamistische
Organisation, die auf der EU-Terrorliste steht. Sie kontrolliert große
Teile Idlibs.
Wer kontrolliert diese Grenzübergänge dann?
Man sollte sich auf jene fokussieren, die von Rebellen gehalten werden, die
der Syrischen Nationalarmee nahestehen, einer Organisation, die moderater
ist als HTS und sehr eng mit der Türkei kooperiert. Das hätte zwei
Vorteile: Die Europäer müssten nicht mit Terroristen kooperieren, und man
würde der Türkei Hilfsbereitschaft signalisieren. Denn um Hilfsgüter über
die Grenze zu bekommen, wird eine sehr enge Abstimmung mit der Türkei nötig
sein, zu der das Verhältnis der Europäer ja aktuell schwierig ist.
Damit wäre aber doch die Hilfe immer noch nicht in Idlib. Um den Menschen
dort zu helfen, wird man an HTS nicht vorbeikommen.
Nicht komplett. In den letzten Jahren aber hat HTS private
Hilfsorganisationen und die UN weitgehend machen lassen. Während der
Pandemie hat HTS nur ganz am Anfang im März und April 2020 versucht,
Hilfslieferungen an der Grenze zu kontrollieren und daraus ein Geschäft zu
machen. Die UN sagten, wenn ihr das tut, gibt es keine Versorgung. Seither
hat sich HTS zurückgehalten und einen pragmatischen Kurs verfolgt.
In Idlib haben sich schon vor Jahren Aufständische und Geflüchtete
gesammelt. Es gibt dort keinen Staat, der nach der Katastrophe anpacken
kann. Was ist die langfristige Perspektive für Nordwestsyrien?
Solange die militärische Konstellation im Syrienkrieg so bleibt, wird der
Nordwesten abhängig bleiben von internationaler Hilfe. Insofern muss für
die über 4 Millionen Menschen in dieser Region die Hilfe gewährleistet
bleiben. Es ist auch zu bedenken, dass es unter den aktuellen Gegebenheiten
– Stichwort Ukrainekrieg – sehr schwierig sein wird, weitere Flüchtlinge
aus Syrien in Europa aufzunehmen. Die Menschen brauchen also eine
Perspektive. Solange jedoch Assad an der Macht ist und die Tendenz hin zu
einer Normalisierung seines Regimes nicht umgekehrt wird, lässt sich nichts
Substanzielles ändern.
10 Feb 2023
## LINKS
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## AUTOREN
Jannis Hagmann
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