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# taz.de -- Erdbeben in Syrien und in der Türkei: Helfer unterbrechen Einsatz
> Rettungskräfte sprechen von „tumultartigen Szenen“. Grund sei die
> schwierige Versorgungslage. Bislang hat die Katastrophe mehr als 24.200
> Tote gefordert.
Bild: Helfer suchen mit Hunden nach Überlebenden
Istanbul/Damaskus dpa/ap/afp/taz | Die Such- und [1][Rettungsmannschaften
des Technischen Hilfswerks (THW)] und ISAR Germany haben am Samstag ihre
Suche nach Erdbebenopfern in der türkischen Provinz Hatay wegen
Sicherheitsbedenken unterbrochen. Die Teams blieben in ihrem Lager in der
Stadt Kırıkhan, nachdem es geheißen hatte, in der Region seien Schüsse
gefallen. „Sollte es jedoch noch Hinweise auf Überlebende geben, sind wir
sofort einsatzbereit“, sagte der Leiter von ISAR Germany, Steven Bayer, vor
Ort der taz.
Zu den Schüssen soll es in Zusammenhang mit Plünderungen gekommen sein,
hieß es. Näheres war zunächst nicht bekannt. Die Provinz Hatay gehört in
der Türkei zu den am stärksten von dem Erdbeben betroffenen Gebieten. In
der 120.000-Einwohner-Stadt Kırıkhan sind fast alle Gebäude vom Erdbeben
beschädigt, viele davon völlig zerstört. Fünf Tage nach dem Beben gibt es
hier kaum noch Hoffnung, Lebende zu retten.
„Es ist festzustellen, dass die Hoffnung langsam der Wut weicht“, sagte
ISAR-Teamleiter Bayer. Noch am Freitag hatten ISAR und THW eine 40-jährige
Frau lebendig aus den Trümmern befreit. Sie starb in der Nacht zu Samstag
im Krankenhaus Adana an den Folgen ihrer Verletzungen.
## Fast 1900 Nachbeben
Nach dem verheerenden Erdbeben in der Türkei und in Syrien hat es bis
Samstagmorgen 1891 Nachbeben in der Region gegeben. Das teilte die
türkischen Katastrophenschutzbehörde Afad mit.
Bislang hat die Katastrophe mehr als 24.200 Menschenleben gefordert. Allein
in der Türkei sind mindestens 20.665 Tote zu beklagen, [2][in Syrien mehr
als 3553]. Fast 85.000 Menschen wurden zudem in beiden Ländern verletzt.
Millionen sind obdachlos.
## Retter finden in der Türkei weitere Überlebende
Retter haben in der Türkei mehr als fünf Tage nach dem Erdbeben fünf
Menschen aus den Trümmern gerettet. Das Team befreite am Samstag in Nurda
zunächst eine Mutter und ihre Tochter, wie der Sender Habertürk berichtete.
Später erreichten sie den Vater, der aber darauf bestand, zuerst müssten
eine weitere Tochter und sein Sohn in Sicherheit gebracht werden. Als
schließlich auch der Vater 129 Stunden nach dem Beben gerettet war,
jubelten die Rettungskräfte „Gott ist groß“ und brachten den Mann in einen
Krankenwagen.
Am Morgen waren bereits vier weitere Überlebende gerettet worden, unter
ihnen ein 16-Jähriger. Er wurde 119 Stunden nach dem Beben im türkischen
Kahramanmaras aus den Überresten eines Hauses befreit, wie der
Fernsehsender NTV berichtete. Mitglieder des türkisch-kirgisischen
Rettungstruppe fielen sich ebenso wie Verwandte des Jugendlichen in die
Arme. „Er ist raus Bruder, er ist raus. Er ist hier“, rief einer von ihnen.
Drei Stunden zuvor war eine 70-Jährige lebend befreit worden. In Antakya
wurde ein 36 Jahre alter Mann aus einem eingestürzten Gebäude gezogen.
Doch die Rettungseinsätze endeten nicht überall glücklich. In der Provinz
Hatay fanden Retter am frühen Morgen zwar eine 13-Jährige, wie die Zeitung
Hürriyet berichtete. Sie intubierten sie, doch das Mädchen starb, bevor
Mediziner ihr ein Körperteil amputieren konnten, das noch zwischen den
Trümmern feststeckte.
Eine Frau, die ein deutsches Rettungsteam nach Tagen im türkischen
Erdbebengebiet aus den Trümmern bergen konnte, ist in der Nacht zum Samstag
in einem Krankenhaus gestorben. Wie die Hilfsorganisation ISAR Germany
mitteilte, berichteten die Angehörigen der 40-Jährigen namens Zeynep den
Rettungskräften über ihren Tod.
## Türkei öffnet Grenzübergang zu Armenien trotz Konflikts
Zur besseren Versorgung der Überlebenden nach der Erdbebenkatastrophe
öffnet die Türkei einen Grenzübergang zu Armenien – trotz einer tiefen
Feindschaft zum Nachbarland. Wie die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu
am Samstag berichtete, passierten fünf Lastwagen mit humanitärer Hilfe
einen Grenzposten in der türkischen Provinz Igdir. Zuletzt sei das 1988
nach einem Beben in der Ex-Sowjetrepublik Armenien möglich gewesen. „Lassen
Sie uns etwas Gutes aus dieser großen Katastrophe herausholen. Solidarität
rettet Leben!“, twitterte der türkisch-armenische Politiker Garo Paylan.
Die Landgrenze zwischen der Türkei und Armenien ist seit 1993 geschlossen.
Das Verhältnis zwischen Ankara und Eriwan ist sowohl aus historischen
Gründen als auch wegen des [3][Konflikts um die Gebirgsregion
Berg-Karabach] schwer belastet. Die beiden Nachbarn unterhalten aber seit
Ende 2021 wieder diplomatische Kontakte.
## Sicherheitsrisiken: Österreichs Militär unterbricht Erdbebenhilfe
Das österreichische Militär hat seine Rettungsarbeiten in der Türkei wegen
Sicherheitsrisiken vorerst eingestellt. „Es gibt zunehmend Aggressionen
zwischen Gruppierungen in der Türkei. Es sollen Schüsse gefallen sein“,
sagte Oberstleutnant Pierre Kugelweis vom österreichischen Bundesheer der
Nachrichtenagentur APA am Samstag. „Der erwartbare Erfolg einer
Lebendrettung steht in keinem vertretbaren Verhältnis zu dem
Sicherheitsrisiko.“
Die 82 Soldatinnen und Soldaten der Katastrophenhilfseinheit seien seit
Dienstag in der türkischen Provinz Hatay. Sie blieben auch vor Ort und
stünden für weitere Einsätze bereit. „Es gab keinen Angriff auf uns
Österreicher. Es geht uns allen gut“, sagte Kugelweis. „Wir würden gerne
weiterhelfen, aber die Umstände sind, wie sie sind.“
## WHO: Syrien-Erdbebenhilfe muss dringend ausgeweitet werden
Die Hilfe für Erdbebenopfer in Syrien muss deutlich ausgeweitet werden,
fordert die Weltgesundheitsorganisation (WHO). „Wir müssen mit größerer
Dringlichkeit und in größerem Umfang handeln und uns besser organisieren“,
sagte Richard Brennan, WHO-Nothilfekoordinator für die Region Östliches
Mittelmeer am Samstag in Aleppo. Die Toten- und Verletztenzahlen seien
immens, was aber oft vernachlässigt werde, seien die vielen Obdachlosen.
Allein in Aleppo im von der Regierung kontrollierten Teil Nordwestsyriens
haben nach ersten Schätzungen rund 200.000 Menschen das Dach über dem Kopf
verloren, in der Hafenstadt Latakia weitere 140.000, sagte die
WHO-Vertreterin in Syrien, Iman Shankiti.
„Wenn wir die Mittel bekommen, können wir die Hilfe schnell ausweiten“,
sagte Brennan. „Offen gesagt ist Syrien seit vielen Jahren grob
vernachlässigt worden.“ Der Bedarf für humanitäre Hilfe in Syrien sei im
vergangenen Jahr noch nicht einmal zur Hälfte gedeckt worden. Das Land
erlebt seit zwölf Jahren einen Bürgerkrieg und die Regierung von Präsident
Baschar al-Assad ist unter anderem wegen Menschenrechtsverletzungen mit
Sanktionen belegt.
Auch der Chef der Weltgesundheitsorganisation (WHO), Tedros Adhanom
Ghebreyesus, ist am Samstag in Aleppo eingetroffen. Er will zusammen mit
dem syrischen Gesundheitsminister und dem Gouverneur von Aleppo mehrere
Krankenhäuser und Unterkünfte besichtigen, berichtete die staatliche
syrische Nachrichtenagentur Sana.
## In Aleppo kämpfen die Menschen mit Trauer und Kälte
In der syrischen Stadt Aleppo suchen die Menschen nach den zerstörerischen
Erdbeben Schutz vor der Kälte. „Wir bleiben über Nacht auf diesem
Bürgersteig und zünden Feuerholz an“, sagte Abdu al-Sus der Deutschen
Presse-Agentur. Er hat aus Stoff ein improvisiertes Zelt für seine Frau und
fünf Kinder gebaut. Auch etliche andere Familien übernachten bei eisigen
Temperaturen auf der Straße oder in Autos im besonders betroffenen Osten
der Stadt. Etliche warten darauf, dass die Behörden untersuchen, ob
[4][ihre beschädigten Häuser] noch zu bewohnen sind.
Al-Sus berichtete: „Wir und mehrere Bewohner haben unser Haus nach dem
ersten Erdbeben verlassen, einige andere sind nicht gegangen. Nach ein paar
Minuten ist das Gebäude vor unseren Augen eingestürzt.“ Auch Ahmed Muharram
hat Ähnliches erlebt. Lediglich seine eigene Familie habe sich vor dem
Einsturz aus ihrem Wohnhaus retten können. 63 seiner Nachbarn seien getötet
worden, darunter auch Kinder. Sieben hätten gerettet werden können. „Ich
habe 15 Jahre in diesem Gebäude gewohnt, und wir waren alle wie eine
Familie.“ Nun habe er die meisten von ihnen verloren, sagte er den Tränen
nahe.
Viele Menschen in Aleppo sind nach den schweren Beben auch in Moscheen und
Schulen untergekommen. Behörden zufolge mussten in der Stadt Zehntausende
ihre Häuser verlassen. Laut UN wurde in der Stadt jedes dritte Haus durch
die Erdbeben zerstört. Aleppo steht unter Kontrolle der Regierungstruppen
von Machthaber Baschar al-Assad. Das UN-Flüchtlingshilfswerk schätzt, dass
bis zu 5,3 Millionen Menschen durch das Beben in Syrien obdachlos geworden
sind.
## 🐾 Wissenschaftler über Hilfe nach Erdbeben: „Europa muss sehr vorsicht…
sein“
Syrien fordert Nothilfe nach dem Beben. Ginge der Westen darauf ein, würde
er das mörderische Regime legitimieren, warnt der Konfliktforscher André
Bank [5][im Interview mit taz-Redakteur Jannis Hagmann.]
11 Feb 2023
## LINKS
[1] /Hilfe-nach-Erdbeben-in-Tuerkei-und-Syrien/!5914408
[2] /Nach-dem-Erdbeben-in-Syrien/!5910954
[3] /Konflikt-um-Bergkarabach/!5907715
[4] /Nach-den-Erdbeben-in-Syrien/!5911015
[5] /Wissenschaftler-ueber-Hilfe-nach-Erdbeben/!5912240
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