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# taz.de -- Die Kunst der Woche in Berlin: Der Krieg verändert das Kunstwerk
> Die Schau „Früchte des Zorns“ kommentiert die Ereignisse in der Ukraine.
> Wie es derzeit um ein Museum in Odessa steht, erzählt Ekatetrina
> Mikheitrva.
Bild: Blick in die Ausstellung mit Arbeiten von Lesia Khomenko, Steve Schepens …
Wie das ausschaute, als wirklich deutsche Panzer im Gebiet Donezk zugange
waren, das ist zur Zeit in der Ausstellung „Früchte des Zorns – Versuch
einer Annäherung: Ukraine“ im [1][Haus am Lützowplatz] zu sehen. Die
Gruppenausstellung mit 13 Teilnehmer:innen aus der Ukraine, Deutschland
und Belgien setzt sich mit der komplexen Vergangenheit, Gegenwart und
Zukunft der Ukraine auseinander und dem aktuellen „neokolonialen russischen
Krieg“ wie Kateryna Rietz-Rakul schreibt, die mit Eleonora Folov Kuratorin
der Schau ist.
Die gezeigten Arbeiten stammen aus den späten 1960er Jahren bis heute,
wobei die jüngste Arbeit, eben das 2023 fertiggestellte elfminütige Video
„Bakhmut“ von Clemens von Wedemeyer, darüber informiert, dass es das Jahr
1943 und nicht das Jahr 2023 war, als letztmals deutsche Panzer in Bakhmut
rollten.
Wedemeyer konnte auf die 16mm Filmaufnahmen zugreifen, die sein Großvater,
der Wehrmachtsoffizier Arnold Freiherr von Vietinghoff-Riesch im Winter
1941/42 in Artemovsk gemachte hatte, wie Bakhmut damals hieß, die er dann
analysierte und kommentiere. Als Kommentar sollten auch seine eigenen
Aufnahmen dienen, die er dank einer Einladung nach Bakhmut im Oktober 2021
machen konnte.
Mehr war nicht geplant. 2023 freilich zeigt das Video nun wie es ausschaut
nachdem hier russische Panzer zugange waren. Die aktuellen Zerstörungen,
über die seine Freunde in Bakhmut kurze Videos an Wedemeyer schickten,
sollten es definitiv verbieten, Schuldgefühle wegen der Wehrmachtsgreuel
wie Erschießungen in der Bevölkerung und der Mord an den 3000 jüdischen
Einwohnern der Stadt, die bei lebendigem Leib eingemauert wurden, als
Argument gegen den Wunsch der Ukraine nach besserer Bewaffnung zu
instrumentalisieren.
Der Krieg verändert das Kunstwerk, er lässt Konzepte zusammenbrechen, und
erweitert sie tragischerweise auch. Davon berichtet die Ausstellung mehr
noch als vom Kriegsgeschehen selbst. Das zu dokumentieren ist eine Aufgabe,
der die Gruppe Shilo in Zusammenarbeit mit dem inzwischen 80jährigen
ukrainischen Fotografen Boris Mikhailov in einer ganz eigenen Ästhetik der
Anti-Reportage nachkommt, indem sie die analogen Schwarzweiß-Aufnahmen so
auf dem weißem Papier abzieht, dass man wie durch viele kleine Fenster auf
das Geschehen mit seinen grausamen wie auch irritierend poetischen Momente
schaut.
Zwischen Arbeiten wie dem Video „Ohne Titel“ von Hito Steyerl über einen
Software Designer in Charkiw, dessen Computerspiel-Invasion von der
Realität überholt wird, zwischen den Aufnahmen „Novoselitisia I“ und
„Chernivtsi I“ von Johanna Diehl, die die ehemaligen Synagogen in den
Städten der Bukowina zeigen, wie zwischen der „Untitled“ genannten
Drucker-Installation der Open Group, die – weil der Tod jederzeit nahe ist
– jede neue Bekanntschaft der Mitglieder mit allen notwenigen Daten
vermerkt und für immer festhält, oder zwischen dem Memento mori von
Alevtina Kakhidzes Textilcollage „Portraits of My Mother“, sind immer
wieder kleine Skulpturen des im Januar 2022 verstorbenen belgischen
Künstlers Steve Schepens gesetzt, der teils auch in der Ukraine arbeitete.
„Chez Wolf“ zeigt exemplarisch seinen vielschichtigen Ansatz. Die
Holzskulptur ist aus Originalteilen von Adolf Hitlers einstiger Loge im
Admiralspalast gefertigt. In der Form der konstruktivistischen Avantgarde
wäre sie freilich zu Hitlers Zeiten als „entartet“, weil als
bolschewistische Kunst, bezeichnet worden. Tatsächlich war Charkiw ein
Zentrum und letztes Refugium der sowjetischen Avantgarde. Sie wird heute
gerne als russisch gelabelt, trotzdem wesentliche Protagonisten wie Kasimir
Malewitsch, Wladimir Tatlin oder Alexandra Exter und Alexander Archipenko
aus der Ukraine stammen.
Der Ausstellungstitel verdankt sich einer Serie von Skulpturen, der
Schepens den Titel „Früchte des Zorns“ gab, nach dem Roman von John
Steinbeck über die große Depression in den USA. Schepens von Stahl
durchbohrter Granatapfel, „Gala-Morgenstern“ genannt, referiert unter
anderem auch auf den Einsatz von Lebensmitteln als Waffe wie im Fall des
Holodomors 1932/33, der von Stalin bewusst herbei geführten Hungersnot in
der Ukraine, die Millionen von Menschenleben forderte.
## Nach einer Anleitung aus dem Zweiten Weltkrieg
Bei der Eröffnung von „Früchte des Zorns“ war auch Ekatetrina Mikheitrva,
stellvertretende Direktorin des Odessa Museum of Western and Eastern Art
anwesend. Als in der Berliner Presse zum letzten Mal über das Museum
berichtet wurde, ging es um den Caravaggio zugeschriebenen „Judaskuss“, der
2008 aus der Sammlung in Odessa gestohlen wurde. 2010 konnten die Diebe und
das Gemälde [2][in Berlin dingfest gemacht werden]. Die Einladung der
Hilfsorganisation [3][Be an Angel e.V.] an Ekatetrina Mikheitrva, Berlin zu
besuchen, bot die Gelegenheit sie nach dem Caravaggio zu fragen.
Caravaggio kam wieder zurück in Odessa?
Ja, das Bild kam vor dreizehn Jahren zurück. Aber weil es stark beschädigt
war, kam es in das nationale Zentrum für Restauration nach Kiew. Natürlich
fragen wir uns in Odessa schon lange, warum es so viel Zeit braucht das
Gemälde zu restaurieren.
Vielleicht wollen sie es in Kiew behalten? Aber jetzt muss es längst
anderen Orts in Sicherheit gebracht worden sein. Wie sieht es in Ihrem
Museum in Odessa aus?
Unsere Ausstellungsräume sind leer geräumt. Am 24. Februar versammelten wir
uns alle im Museum, um darüber zu sprechen wie wir vorgehen können, um die
Kunst zu schützen. Es gab dann eine Konferenz über die Aufgaben, die nun
anstanden. Wir arbeiteten nach einer Anleitung aus dem Zweiten Weltkrieg.
Ihre Sammlung ist also in Sicherheit?
Ja, wir denken schon. Wir erhalten viel Unterstützung von internationalen
Museen und Sammlungen. Zum Beispiel durch Material, um unserer Schätze gut
zu verpacken. Nur mit den Skulpturen und den Antiken, da ist es immer noch
schwierig.
Wie stelle ich mir die Sammlung Ihres Museum of Western and Eastern Art
vor?
Wir besitzen neben dem Caravaggio Werke von Gerard David, Jan van Scorel,
Rubens, Abraham Bloemaert oder Frans Hals. Es geht vom 16. bis ins 20.
Jahrhundert. Die östliche Kunst stammt aus Persien, China, Japan und
Indien, es handelt sich um Seidenmalereien, Porzellan, erstaunliche
Stickereien, antike Waffen oder auch Statuetten aus dem XVI. bis XVII.
Jahrhundert. Jedes Jahr machen wir eine große Sonderausstellung aus unseren
Beständen.
Und das geht jetzt natürlich nicht mehr?
Nun ja, im April öffnen wir unseren Palast aus dem 19. Jahrhundert wieder
und starten im geschützten Untergeschoss eine Vortragsreihe und ein
spezielles Kinderprogramm. Im Juni möchten wir dann eine Gruppenausstellung
mit zeitgenössischer ukrainischer Kunst eröffnen. Ich möchte das Publikum
mit neuen Namen bekannt machen und jungen Künstlern ein Forum geben. Es
braucht diesen Impuls, denn unseres Publikum pflegt ein sehr traditionelles
Kunstverständnis.
Sie sind mit Ihrem Haus unter den sehr schwierigen Umständen ziemlich
produktiv?
Ja, aber in gewisser Weise helfen die Umstände auch, wir bekommen neue
Technologie und neue Kontakte zu internationalen Spezialisten. Wir haben
schon lange vor dem Krieg mit der Digitalisierung unserer Bestände
angefangen, aber jetzt kamen beispielsweise Leute aus dem Google Büro in
Berlin nach Odessa, um einen virtuellen Rundgang durch das Museum zu
konzipieren.
Und jetzt sind Sie in Berlin, um weitere Kontakte zu knüpfen?
Erst einmal, um Andreas Tölke und seine Hilfsorganisation Be an Angel zu
unterstützen, die großartige Hilfe in der Ukraine und für ukrainische
Flüchtlinge vor allem in Moldawien leistet. Wir planen eine
Kunstausstellung als Teil der Charity-Aktivitäten. Ich habe da ein Projekt,
das mir ganz besonders am Herzen liegt. Wie man weiß, sind viele Soldaten,
die gekämpft haben, traumatisiert und haben psychische Probleme. Ich möchte
ihnen Hilfe durch Veranstaltungen und Kurse mit klassischer und moderner
Kunst und Musik anbieten, die speziell für sie entwickelt sind, unter der
Mitarbeit von Künstlerinnen, Psychologen, Therapeutinnen und weiteren
Experten.
4 Feb 2023
## LINKS
[1] https://www.hal-berlin.de/
[2] /!413766/
[3] https://be-an-angel.org/
## AUTOREN
Brigitte Werneburg
## TAGS
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