| # taz.de -- Die Kunst der Woche: Wo die Liebe hinfällt | |
| > Eine Gruppenausstellung in der Galerie Molitor erkundet Kunst als Werk | |
| > der Liebe, Isabella Bortolozzi verkuppelt Chakaia Booker mit Carol Rama. | |
| Bild: Bei Bortolozzi geht es verschlungen zu | |
| Zufall war es vermutlich nicht, dass der Valentinstag in die Laufzeit der | |
| Gruppenschau „Love’s Work“ in der [1][Galerie Molitor] fiel. Kaum ein Dat… | |
| eignet sich schließlich besser, um über die Liebe nachzudenken, erst recht | |
| über die Zusammenhänge von Liebe und Kapitalismus, über die | |
| Kommerzialisierung von Intimität oder den Warencharakter von Emotionen | |
| romantischer Natur. | |
| All das legt der Titel der Ausstellung nahe, eigentlich zielt er aber in | |
| eine etwas andere Richtung. Entliehen ist dieser dem gleichnamigen Buch der | |
| britischen Philosophin Gillian Rose. Um ein kleines autobiografisches Werk | |
| handelt es sich dabei, veröffentlicht kurz bevor Rose 1995 an Krebs starb. | |
| Sie erzählt darin die Geschichte ihrer Familie, die ihres Lebens und ihrer | |
| Erkrankung und reflektiert auf mannigfaltige Art und Weise über die Liebe, | |
| die Verletzlichkeit, die diese mit sich bringt, und über deren Scheitern. | |
| Die Liebe und das Leben werden bei ihr mitunter synonym gebraucht. „Love’s | |
| work“ kann so äquivalent zu „Life’s work“ (Lebenswerk) verstanden werd… | |
| als Werk der Liebe also. | |
| Primär in diesem Sinne lassen sich die sieben Positionen mal mehr mal | |
| weniger direkt lesen, die sich auf den drei Stockwerken der schmalen | |
| Galerie verteilen. Ghislaine Leungs Wandbild „Hours“ etwa, ein schwarzes | |
| Raster auf weißem Grund, so groß wie die Wand in Leungs Atelier, | |
| untergliedert in Kästchen für die 24 mal 7 Stunden der Woche. Nur ein paar | |
| wenige von ihnen sind schwarz ausgemalt. Es sind diejenigen, die die | |
| Künstlerin im Atelier verbringen kann und die nicht für diverse andere Jobs | |
| oder Kinderbetreuung reserviert sind. | |
| Komplexe Geschichten von Objekten spielen eine elementare Rolle im Werk von | |
| Lydia Ourahmane. Ihren „Tear Catcher“, ein kleines gläsernes oben | |
| geöffnetes Gefäß ca. aus dem 4. Jahrhundert vor Christus, hat sie auf eBay | |
| erstanden. Längst wird nicht mehr davon ausgegangen, dass Gläser wie dieses | |
| je wirklich zum Sammeln von Tränen benutzt wurden, ein Sinnbild für Trauer | |
| und Mitgefühl bleibt es nichtsdestotrotz. Von der Fragilität menschlicher | |
| Psyche erzählen Dora Budors „Love Streams“, eine Serie von Frottagen, | |
| zerriebenes Escitalopram auf Sandpapier, das der Künstlerin gegen eine | |
| depressive Erkrankung und Angststörung verschrieben worden war. Mit der | |
| Liebe, auch der zu sich selbst, bleibt es leider kompliziert. | |
| ## Gib Gummi | |
| Die Vorliebe für ein bestimmtes Material ist es, was die beiden | |
| Künstlerinnen, deren Werke [2][Isabella Bortolozzi] derzeit | |
| gegenüberstellt, zu einem guten Paar macht: Gummireifen. Chakaia Booker, | |
| geboren 1953 in Newark, New Jersey, benutzt Autoreifen, um daraus teils | |
| raumgreifende Skulpturen zu bauen. Carola Rama, geboren 1918 im | |
| italienischen Turin, gestorben 2015 ebendort, verbaute vor allem in den | |
| 1970er Jahren Fahrradschläuche in ihren Bricolagen. | |
| Als Auseinandersetzung mit ökologischen, kulturellen und | |
| gesellschaftspolitischen Fragestellungen lassen sich die hierzulande noch | |
| wenig bekannten Skulpturen Bookers aus dem vermeintlich wertlosen, noch | |
| dazu ziemlich giftigen Material interpretieren. Auf einer Serie von | |
| Fotografien, die in der Ausstellung hängt, sieht man die Künstlerin, wie | |
| sie die achtlos in die Landschaft geworfenen Reifen einsammelt. Als wäre | |
| man Zeugin eines rätselhaften Rituals wirken die Bilder. | |
| Dass die Autoreifen auch als Metaphern für afroamerikanisches Leben | |
| fungieren, hat Booker selbst vielfach erklärt. Da ist deren schwarze Farbe | |
| und ihr Profil, in dem sich Muster traditioneller afrikanischer Stoffe oder | |
| auch Stammesnarben spiegelten, als industriell gefertigte Produkte | |
| manifestiere sich außerdem Schwarze Arbeitskraft in ihnen. In Bookers | |
| Händen verwandeln sich die profanen, ausgesonderten Objekte in kraftvolle | |
| Kunstwerke. Sie zerschneidet die Reifen und verwandelt sie in ornamentale | |
| Gebilde, zerwachsen, kompliziert in sich verwoben und von massivem Gewicht. | |
| Carola Ramas Materialwahl wiederum ließe sich leicht autobiografisch | |
| erklären: Ihr Vater besaß eine Fahrradfabrik, deren Bankrott ihn in den | |
| Selbstmord trieb. Allein das war es aber sicher nicht, was sie daran | |
| faszinierte. Die Schläuche fügen sich ein in Ramas Panoptikum der Dinge, | |
| darunter Puppenaugen, Nägel, Krallen, Glassplitter, die sie zu abstrakten | |
| dennoch oft sexuell aufgeladenen Bildern zusammensetzte. Zweifelsohne ging | |
| es ihr auch um die Eigenschaften der Objekte an sich, die phallische Form | |
| der Schläuche und ihre Haptik, die an Haut erinnert oder an Präservative. | |
| Booker und Rama stammen aus verschiedenen Generationen und kulturellen | |
| Hintergründen, sie unterscheiden sich in dem, was sie an- und umtreibt oder | |
| -trieb. Was sie jedoch eint – und das macht die Ausstellung so sehenswert – | |
| ist die Konsequenz, mit der sie ihre Ideen und jeweils eigenwillige | |
| Formsprache verfolgen bzw. verfolgten. | |
| 21 Feb 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.galeriemolitor.com/ | |
| [2] https://bortolozzi.com/ | |
| ## AUTOREN | |
| Beate Scheder | |
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