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# taz.de -- Lebensmittel aus Hausgrillen in der EU: Neue Heimchen am Herd
> Eine vietnamesische Firma darf in der EU künftig Insektenmehl verkaufen.
> Dass es VerbraucherInnen untergejubelt wird, ist nicht zu befürchten.
Bild: Zirpen war gestern: Die Europäische Union erlaubt nun auch Pulver aus Ha…
Berlin taz | Der rechtsradikale Internetmob jagt gerade eine neue Sau
durchs virtuelle Dorf: Auf Blogs der Szene wird in diesen Tagen mobilisiert
gegen „die EU“, die uns jetzt angeblich [1][Insekten] ins Essen mische.
Zufälligerweise oder gerade deshalb polemisierte am Samstag auch Bayerns
Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) bei Twitter gegen
Insektenessen („#[2][GenussStattEkel]“). Zuvor hatte die Bild-Zeitung auf
ihrer Titelseite mit der Schlagzeile aufgemacht: „Diese Insekten sind jetzt
im Essen erlaubt“. Darunter ein bei den meisten Menschen wahrscheinlich
Ekel erregendes Foto von einer Made. In sozialen Netzwerken schimpften
User: „Das könnt ihr und Frau von der Leyen gerne fressen. Wie Viecher“ und
„Pfui Teufel!“.
Wahr ist: Die Europäische Union erlaubt der vietnamesischen Firma Cricket
One ab Dienstag, teilweise entfettetes Pulver aus Hausgrillen – auch
Heimchen oder lateinisch Acheta domesticus genannt – als Lebensmittel zu
verkaufen. Insekten dieser Art darf das niederländische Unternehmen Fair
Insects laut einer Verordnung schon seit März 2022 gefroren, getrocknet und
pulverförmig zum menschlichen Verzehr in der EU auf den Markt bringen.
Diese Woche tritt auch noch eine Erlaubnis für Larven des
Getreideschimmelkäfers in Kraft. Bereits seit Mitte 2021 dürfen Larven des
[3][Mehlkäfers] (Tenebrio molitor, gelber Mehlwurm) seit Ende 2021 die
[4][Wanderheuschrecke] als Nahrungsmittel vertrieben werden.
„Niemand wird gezwungen, Insekten zu essen“, verteidigte [5][die Vertretung
der EU-Kommission in Deutschland] die Verordnungen. „Jede und jeder kann
selbst entscheiden, ob er oder sie Lebensmittel aus oder mit Insekten kauft
oder nicht.“ Entscheiden können die KonsumentInnen, weil die Insekten in
der Zutatenliste genannt werden müssen. Und zwar nicht nur mit den
lateinischen Namen, sondern auch mit den bekanntesten deutschen. Acheta
domesticus muss also auch als „Hausgrille, Heimchen“ in der Liste
auftauchen.
Vor der Zulassung mussten die Unternehmen nachweisen, dass diese in Europa
neuen Lebensmittel nicht der Gesundheit schaden. Wie viele andere
Nahrungsmittel könnte auch Insektenpulver in seltenen Fällen allergische
Reaktionen auslösen – etwa bei den Menschen, die gegen Krebstiere,
Weichtiere und Hausstaubmilben allergisch sind. Deshalb müssen
entsprechende Warnungen in unmittelbarer Nähe der Zutatenliste stehen.
## 200 Euro pro Kilogramm
„Der Vorteil dieser Lebensmittel ist der höhere Eiweißgehalt im Vergleich
zu konventionellem Mehl oder Nudeln, da Grillen sowie andere Speiseinsekten
auch generell gute Proteinlieferanten sind“, erläutert die
Branchenorganisation [6][Lebensmittelverband]. Man könnte mit dem
Grillenmehl also zum Beispiel Mehrkornbrötchen mit besonders hohem
Proteingehalt backen – vielleicht interessant für Bodybuilder? Auch für
Fleischersatzprodukte ist es zugelassen.
Obwohl einzelne Insektenarten schon seit Jahren als Lebensmittel erlaubt
sind, sind sie in der EU nicht weit verbreitet. „Das ist wirklich ein
Nischenmarkt. Die Skepsis in der Bevölkerung ist groß“, sagte Manon
Struck-Pacyna, Sprecherin des Lebensmittelverbands, der taz. Hierzulande
sind aktuell nur wenige Produkte mit geringen Mengen an Insekten erhältlich
– etwa Riegel oder Nudeln.
Dass die Industrie jetzt versuchen wird, den VerbraucherInnen Grillen-
statt Weizenmehl unterzujubeln, ist extrem unwahrscheinlich. Dafür sorgt
schon der Preis: Ein Kilogramm des Insektenmehls wird online zum Beispiel
[7][für knapp 200 Euro] angeboten. Die gleiche Menge Weizenmehl kostet im
Laden typischerweise [8][weniger als 1 Euro]. „Weizen ist ein
Massenprodukt. Grillenmehl ist eine Proteinquelle, die aus einer
nachhaltigen und qualitativ hochwertigen Erzeugung kommt“, schrieb
Cricket-One-Gründerin Bicky Nguyen der taz. „Grillenmehl kann Weizenmehl
nicht ersetzen.“
## Besser als Fleisch, aber schlechter als Pflanzen
Aus Umweltsicht wäre es wohl ein Fortschritt, wenn auch die EuropäerInnen
statt Fleisch mehr Insekten äßen. „Hausgrillen benötigen sechsmal weniger
Futter als Rinder, viermal weniger als Schafe und zweimal weniger als
Schweine sowie Masthähnchen, um die gleiche Menge Protein zu produzieren“,
schreibt die UN-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft ([9][FAO]).
„Außerdem stoßen sie weniger Treibhausgase und Ammoniak aus als
herkömmliches Vieh.“ Insekten könnten auch mit Bioabfällen gefüttert
werden. Mit diesem „Mini-Vieh“ ließen sich also Proteine entweder für den
direkten menschlichen Verzehr oder als Futtermittel erzeugen.
Eine günstigere Umweltbilanz dürfte aber weiterhin eine pflanzliche
(vegane) Ernährung haben. Denn auch Insekten verbrauchen Kalorien für den
Eigenbedarf, der so der menschlichen Ernährung verlorengeht.
Vegetarier müssen jedoch keine Angst haben, dass in als „vegetarisch“
deklarierten Lebensmitteln bald Insekten stecken. „Insekten gelten laut
EU-Recht als Produkte tierischen Ursprungs“, teilte die EU-Kommission mit.
„Entsprechend müssen sie auch gekennzeichnet sein.“
23 Jan 2023
## LINKS
[1] /Insekten/!t5012404
[2] https://twitter.com/HubertAiwanger/status/1616749878230814720
[3] https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/HTML/?uri=CELEX%3A32021R0882…
[4] https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/HTML/?uri=CELEX%3A32021R1975…
[5] https://twitter.com/EUinDE/status/1615680967280058369
[6] https://www.lebensmittelverband.de/de/aktuell/20220211-grille-speiseinsekt-…
[7] https://snackinsects.com/essbare-insekten-shop/insekten-mehl/insektenmehl-i…
[8] https://shop.rewe.de/p/ja-weizenmehl-type-405-1kg/6729550
[9] https://www.fao.org/edible-insects/en/
## AUTOREN
Jost Maurin
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