| # taz.de -- Opposition in Russland: Sieben Jahre Straflager | |
| > Russland geht immer öfter gegen Gegner von Putins Krieg gegen die Ukraine | |
| > vor. Der Straftatbestand lautet „Falschnachrichten über die russische | |
| > Armee“. | |
| Bild: Festnahme eines Demonstranten bei einer nicht genehmigten Protestaktion g… | |
| Das ganze Jahr 2022 über hat die russische Staatsmacht innerhalb des Landes | |
| Gegner der „militärischen Spezialoperation“ bekämpft. Seit Jahresbeginn | |
| wurden 180 Strafverfahren wegen der Verbreitung sogenannter | |
| Falschinformationen über das Vorgehen der russischen Armee in der Ukraine | |
| eingeleitet. Fast die Hälfte der Angeklagten hat das Land entweder | |
| verlassen oder befindet sich in Untersuchungshaft. Die aufsehenerregendsten | |
| „Fake“-Fälle wurden gegen Oppositionspolitiker und Aktivisten vorgebracht, | |
| aber mehr als die Hälfte der Angeklagten sind ganz gewöhnliche Menschen und | |
| nicht Personen des öffentlichen Lebens. | |
| Seit dem 4. März 2022 ist die Verbreitung „wissentlich falscher | |
| Informationen über den Einsatz der russischen Streitkräfte“ in der Ukraine | |
| ein Straftatbestand. Sofort begann das Untersuchungskomitee, den | |
| „Fake“-Artikel 207.3 des Strafgesetzbuchs der Russischen Föderation | |
| anzuwenden. | |
| Als Beweise dienen in der Regel Informationen des russischen | |
| Verteidigungsministeriums und sprachliche Expertisen, die die Aussage des | |
| Angeklagten und die offizielle Position der Behörden vergleichen. Die | |
| Rechtspraxis in „Fake“-Fällen nimmt allmählich Gestalt an – und das | |
| eindeutig mit anklagender Tendenz. Die härtesten Urteile werden von | |
| Moskauer Gerichten verhängt. | |
| Der lokale Abgeordnete Alexei Gorinow (sieben Jahre Haft) und der Politiker | |
| Ilja Jaschin (acht Jahre und sechs Monate Gefängnis) haben bereits hohe | |
| Strafen erhalten. In den Regionen fällten die Gerichte weniger blutrünstige | |
| Urteile. So wurde ein Einwohner von Transbaikalien mit einer Geldstrafe von | |
| 1 Million Rubel (umgerechnet 13.300 Euro) belegt. | |
| Auf der Krim erhielt ein ehemaliger Mitarbeiter des | |
| Katastrophenschutzministeriums (MTschS) eine Bewährungsstrafe. In Orenburg | |
| wurde ein 22-jähriger Mann zu acht Monaten Besserungsarbeit nebst Abgabe | |
| von 10 Prozent seines Gehalts an den Staat verurteilt. Genau dieselbe | |
| Strafe wurde einem Archäologen aus Omsk auferlegt. | |
| Zu den bekannten Personen, gegen die Verfahren eingeleitet wurden, gehören | |
| die Bloggerin Veronika Belotserkowskaja, der Medienmanager Ilja | |
| Krasiltschik, die Journalisten Ruslan Lewiew und Maikl Naki, der Politiker | |
| Wladimir Kara-Murza, der Journalist Alexander Newsorow, der Schriftsteller | |
| Dmitri Gluchowski, die Künstlerin Irina Bystrowa sowie mehrere regionale | |
| und kommunale Beamte und Abgeordnete. | |
| ## Der Polizist Semiel Wedel (Sergei Klokow) | |
| Mitte März wurden die ersten Festgenommenen aufgrund des „Fake“-Artikels | |
| namentlich bekannt. Einer von ihnen war der Moskauer Ex-Polizist Semiel | |
| Wedel (Sergei Klokow). Derzeit wird sein Fall vor dem Bezirksgericht | |
| Perowski in Moskau verhandelt. Wedel wird vorgeworfen, drei Telefonate | |
| geführt zu haben. In einem soll er „vorsätzlich falsche Informationen“ ü… | |
| das Vorgehen des russischen Militärs unter den Bewohnern der Krim und der | |
| Region Moskau verbreitet haben. | |
| Die Verteidigung hält seinen Fall für einzigartig, da erstmals eine Person | |
| für ein Telefonat zur Rechenschaft gezogen wird. Der Fall des Ex-Polizisten | |
| wurde bekannt, nachdem er am 22. März in U-Haft gebracht worden war. | |
| Zunächst trat er unter dem Namen Klokow auf, sein Pass ist aber auf den | |
| Namen Wedel ausgestellt. | |
| Was mit ihm nach seiner Festnahme geschah, erzählte er wenige Tage später | |
| seinem Anwalt Daniil Berman. Laut Wedel wurde ihm eine Tüte über den Kopf | |
| gestülpt, danach wurde er zum Dezernat gebracht, wo eine Haftbescheinigung | |
| ausgestellt wurde. Der Polizist wurde beschuldigt, militärische | |
| Falschmeldungen aus politischem Hass verbreitet zu haben (Artikel 207.3 | |
| Teil 2 Absatz e des Strafgesetzbuchs der Russischen Föderation). | |
| Die Tat wurde laut den Ermittlungen bei drei Telefonaten begangen. So habe | |
| Wedel am 9. März 2022 „nicht identifizierte Personen in der Republik Krim | |
| und der Region Moskau angerufen sowie öffentlich und vorsätzlich falsche | |
| Informationen als zuverlässige Nachrichten verbreitet“. | |
| Die Untersuchung geht davon aus, dass Wedel mit seinen Gesprächspartnern | |
| Nachrichten besprochen hat, die sie im Internet gelesen haben. Darunter war | |
| eine Nachricht über die Überführung getöteter russischer Soldaten von dem | |
| Territorium der Ukraine in die Republik Belarus zwecks Verbrennung in einem | |
| Krematorium, um deren Angehörigen keine Entschädigung zahlen zu müssen. | |
| Zudem diskutierte Wedel laut Ermittlungen mit nicht identifizierten | |
| Personen Nachrichten, wonach es auf dem Territorium der Ukraine keine Nazis | |
| gebe, und die Verbreitung gefälschter Informationen seitens Russlands über | |
| deren Anwesenheit. Ein weiteres Thema waren durch russische Soldaten | |
| ausgelöste Explosionen im Gebiet Rostow, um zu provozieren und die eigene | |
| Invasion in der Ukraine zu rechtfertigen. | |
| Die Abschriften von mindestens drei derartiger Gesprächen sind dem Fall | |
| beigefügt, aber aus den Unterlagen geht nicht hervor, von wem und auf | |
| welcher Grundlage das „Abhören“ durchgeführt wurde. | |
| Wie das Webportal „Anwaltsstraße“ herausfand, erzählte Wedel bei den | |
| Verhören, dass er 1984 in der ukrainischen Stadt Irpin geboren worden sei. | |
| Einige Zeit habe er auch in dem Ort Butscha gelebt, das während der | |
| Feindseligkeiten weltweit traurige Berühmtheit erlangte. Die Familie Wedel | |
| sei vor langer Zeit nach Moskau gezogen, aber Freunde und Verwandte seien | |
| in der Ukraine geblieben. | |
| Wedel selbst fuhr einmal im Jahr dorthin, um seine Großeltern zu besuchen. | |
| All diese Gespräche seien „emotionale politische Diskussionen“ gewesen, | |
| sagte Wedel im Verhör. Er räumte ein, aufgrund der Nachrichten „ein | |
| Durcheinander im Kopf“ gehabt und vielleicht „etwas verwechselt“ zu haben. | |
| Er bestätigte, er hätte Kontakt zu Bekannten aufgenommen, um etwas über das | |
| Schicksal von Freunden zu erfahren. Das alles bewahrte ihn jedoch nicht | |
| davor, in Haft genommen zu werden. Seit dem 18. März sitzt der ehemalige | |
| Polizist in Untersuchungshaft. Sein Fall kommt jetzt zum zweiten Mal vor | |
| Gericht. Am 10. August gab das Gericht von Perowsky die Dokumente an die | |
| Staatsanwaltschaft zurück, um Ungenauigkeiten in der Anklageschrift | |
| beseitigen zu lassen. Wedels Urteil ergeht 2023. | |
| ## Der lokale Abgeordnete Alexei Gorinow | |
| Ein weiteres hochkarätiges Verfahren wurde gegen den Stadtabgeordneten des | |
| Moskauer Bezirks Krasnoselski, Alexei Gorinow, eingeleitet. Die hohe | |
| Haftstrafe, zu der ihn das Gericht verurteilte, schockierte alle. Er bekam | |
| sieben Jahren Gefängnis, weil er sich während einer Sitzung der | |
| Abgeordneten gegen die Durchführung eines Malwettbewerbs für Kinder | |
| ausgesprochen hatte, da er dies zu einem solchen Zeitpunkt für unangemessen | |
| hielt. Gorinow wurde am 26. April festgenommen und kam per | |
| Gerichtsbeschluss am nächsten Tag in Untersuchungshaft. | |
| Der Untersuchungsausschuss brauchte für die Ermittlung in der Strafsache | |
| nur fünf Tage, das Meschanski-Gericht der Hauptstadt begnügte sich mit drei | |
| Prozesssitzungen und die Staatsanwaltschaft erledigte die Vorlage von | |
| Beweisen in ein paar Stunden. Gorinow wurde beschuldigt, „Fälschungen“ | |
| einer Gruppe von Personen verbreitet zu haben, dabei habe er seine Position | |
| aus Gründen des politischen Hasses missbraucht. | |
| Gorinow und die Leiterin des Stadtbezirks Krasnoselski, Elena | |
| Kotjonotschkina, so die Version der Ermittlungsbehörden, hätten am 15. März | |
| während einer Sitzung des Abgeordnetenrats „nach vorheriger Absprache“ eine | |
| Reihe von Erklärungen abgegeben. Diese hätten „unwahre Daten über die | |
| Streitkräfte der Russischen Föderation“ enthalten. Insbesondere habe | |
| Gorinow die „Sonderoperation“ in der Ukraine als Krieg bezeichnet und vom | |
| Tod ukrainischer Kinder gesprochen. | |
| Diese Angaben widersprächen laut Staatsanwaltschaft den offiziellen Angaben | |
| des Verteidigungsministeriums der Russischen Föderation. So hätten Gorinow | |
| und Kotjonotschkina „eine unbegrenzte Anzahl von Menschen in die Irre | |
| geführt“. Die Videoaufzeichnung der Sitzung wurde auf der Website und dem | |
| YouTube-Kanal des Abgeordnetenrats veröffentlicht. Außer gegen Gorinow | |
| wurde ein ähnliches Verfahren auch gegen Kotjonotschkina eröffnet, aber es | |
| gelang ihr, Russland zu verlassen. Sie wurde auf die internationale | |
| Fahndungsliste gesetzt und in Abwesenheit festgenommen. | |
| „Von welcher Art von Freizeit und Unterhaltung ist die Rede, wenn wir jetzt | |
| zu einer qualitativ anderen Lebensweise übergegangen sind? Wenn | |
| Kriegshandlungen auf dem Territorium eines benachbarten souveränen Staates | |
| stattfinden, eine Aggression unseres Landes. Können Sie uns bitte sagen: | |
| Von welcher Art von Malwettbewerb für Kinder aus Anlass des Kindertags und | |
| der Organisation von Tanzprogrammen aus Anlass des Tags des Sieges reden | |
| wir, wenn jeden Tag Kinder sterben? […] Ich glaube, dass alle Bemühungen | |
| der Zivilgesellschaft darauf gerichtet sein sollten, den Krieg zu beenden | |
| und die russischen Truppen aus der Ukraine abzuziehen. Wenn einzelne Punkte | |
| der Pläne diesen Themen gewidmet gewesen wären, hätte ich gerne abgestimmt. | |
| Aber so werde ich persönlich nicht abstimmen, alles Weitere liegt in ihrem | |
| Ermessen “, sagte Gorinow. | |
| Für diese Äußerungen verurteilte Richterin Oksana Mendelejewa den | |
| Abgeordneten zu sieben Jahren Strafkolonie. Im September reduzierte das | |
| Moskauer Stadtgericht Gorinows Haftstrafe um einen Monat und entfernte den | |
| Punkt „vorherige Absprache“ aus der Anklage. | |
| ## Der Rechtsanwalt Dmitri Talantow | |
| Im Juni wurde ein „Fake“-Verfahren gegen Dmitri Talantow, den Präsidenten | |
| der Anwaltskammer der Republik Udmurtien, eröffnet. Talantow wurde in | |
| Ischewsk festgenommen, Sicherheitskräfte führten Durchsuchungen an mehreren | |
| Adressen durch, verhörten den Anwalt und brachten ihn am nächsten Tag nach | |
| Moskau. Dort schickte ihn ein Gericht in Untersuchungshaft. | |
| Mehrfach hatte Talantow in sozialen Netzwerken seine Antikriegsposition zum | |
| Ausdruck gebracht. Einen Streik in einem Einkaufszentrum in Krementschuk | |
| kommentierte er wie folgt: „Der heutige Horror in Krementschuk ist auch | |
| Teil der Entnazifizierung? Oder ist es Faschismus?“ Bereits im April gab es | |
| gegen den Anwalt erste Anzeigen wegen Veröffentlichungen in sozialen | |
| Netzwerken. Damals, berichtete Talantow, habe die Polizei Überprüfungen | |
| durchgeführt und von ihm Erklärungen gefordert. | |
| Im Sommer wurde jedoch ein ernsteres Verfahren eröffnet – nach der Anzeige | |
| des Mitarbeiters der Military Review, Roman Skomorochow. | |
| Am 3. April veröffentlichte Talantow einen Post auf seiner Facebook-Seite, | |
| in dem er die Aktionen der russischen Armee in Mariupol, Irpin und Butscha | |
| als „Nazipraktiken“ bezeichnete. Auf diesen Post und andere Aussagen von | |
| Talantow wurden die Strafverfolgungsbehörden durch die Anzeige aufmerksam. | |
| Zunächst wurde Talantow angeklagt, bei drei Anlässen militärische | |
| Fälschungen aus politischem Hass verbreitet zu haben. Bis September wurden | |
| die Anklagen verschärft und zwei weitere Anlässe hinzugefügt. Der Vorwurf | |
| lautete auf Anstiftung zum Hass unter Ausnutzung der offiziellen Position. | |
| Im Oktober wurde die Untersuchung des Falls abgeschlossen und die | |
| Unterlagen wurden dem Tscheremuschkinski-Gericht in Moskau übergeben. Es | |
| stellte sich jedoch heraus, dass die örtliche Zuständigkeit falsch | |
| festgelegt worden war. Das Gericht entschied, den Fall nach Udmurtien, an | |
| den Ort des „Verbrechens“, zu überweisen. | |
| ## Die Journalistin Marina Owsjannikowa | |
| Im August wurde die ehemalige Redakteurin des Ersten Kanals, [1][Marina | |
| Owsjannikowa], zur Angeklagten in dem „Fake News“-Fall für einen | |
| Antikriegsstreikposten in der Nähe des Kremls. Das Gericht stellte sie | |
| unter Hausarrest, aber die Journalistin wartete nicht auf das Urteil, | |
| sondern floh aus Russland. | |
| Die ehemalige Mitarbeiterin des föderalen Fernsehsenders wurde berühmt, | |
| nachdem sie am 14. März in den Live-Nachrichten des Ersten Kanals hinter | |
| die Fernsehmoderatorin Jekaterina Andreewa getreten und ein Plakat gegen | |
| die Militäroperation auf dem Territorium der Ukraine und die Lügen der | |
| russischen Propaganda entrollt hatte. | |
| Gegen Owsjannikowa wurde eine Rechtsverletzung wegen eines Videos zu | |
| Protokoll genommen, das sie aufgenommen hatte, bevor sie mit dem Plakat in | |
| die Live-Sendung ging. Am nächsten Tag verhängte das Ostankinski-Gericht in | |
| Moskau eine Geldstrafe in Höhe von 30.000 Rubel (umgerechnet rund 400 | |
| Euro). Zusätzlich zu diesem Fall wurde eine weitere Ordnungswidrigkeit zu | |
| Protokoll genommen – wegen Diskreditierung des russischen Militärs, was | |
| sich auf die Plakataktion im Fernsehen bezog. Doch zu einer Prüfung dieser | |
| Verwaltungsakte kam es nicht. Das Gericht überwies die Angelegenheit zurück | |
| an die Polizei. Nach ihrem Auftritt mit dem Plakat feuerte der Erste Kanal | |
| Owsjannikowa. | |
| Daraufhin ging die Journalistin für einige Zeit nach Deutschland, wo sie | |
| sich bereit erklärte, für die Welt zu arbeiten. Anfang Juli kehrte | |
| Owsjannikowa nach Russland zurück und begründete dies mit familiären | |
| Umständen und dem Auslaufen des Vertrags. In der Folgezeit begann sie ihre | |
| Antikriegsposition aktiver zu vertreten. Sie kam zum Basmanni-Gericht, als | |
| gegen den Politiker Ilja Jaschin Zwangsmaßnahmen wegen „Fakes“ verhängt | |
| wurden. Owsjannikowa war gekommen, um den Oppositionellen zu unterstützen, | |
| und gab gegenüber einem Korrespondenten eine Erklärung ab. Dafür wurde sie | |
| zu einer weiteren Geldstrafe verurteilt. | |
| Am 15. Juli demonstrierte Owsjannikowa mit einem Antikriegsplakat auf der | |
| Sofijski-Uferstraße gegenüber dem Kreml. Dabei wurde sie nicht | |
| festgenommen. Ein paar Tage später jedoch statteten Polizisten ihr einen | |
| Besuch zu Hause ab und erstellten ein weiteres Protokoll wegen | |
| Diskreditierung der Armee. Das Moskauer Meschanski-Gericht verhängte erneut | |
| eine Geldstrafe in Höhe von 50.000 Rubel (umgerechnet 660 Euro). | |
| Am 10. August führten Sicherheitskräfte bei Owsjannikowa wegen des | |
| Straftatbestands militärischer „Falschmeldungen“ eine Hausdurchsuchung | |
| durch. Dabei ging es wieder um die Protestaktion am Kreml. Nach der | |
| Durchsuchung wurde die Journalistin zum Verhör gebracht und der | |
| „öffentlichen Verbreitung vorsätzlich falscher Informationen über den | |
| Einsatz der Streitkräfte der Russischen Föderation aus Gründen politischen | |
| Hasses“ beschuldigt. | |
| Am nächsten Tag stellte das Basmanni-Gericht Owsjannikowa unter Hausarrest. | |
| Im Oktober nahm sie eine Videobotschaft für den Föderalen | |
| Strafvollzugsdienst (FSIN) auf. Darin schlug sie vor, Präsident Putin für | |
| die Teilmobilmachung eine Fußfessel anzulegen. Owsjannikowa gelang es, dem | |
| Hausarrest zu entkommen und Russland zu verlassen. Sie wurde auf die | |
| Fahndungsliste gesetzt und in Abwesenheit festgenommen. | |
| ## Der Politiker Ilja Jaschin | |
| Nach dem Ausbruch des Kriegs in der Ukraine war der ehemalige kommunale | |
| Abgeordnete Ilja Jaschin einer der wenigen russischen Oppositionspolitiker, | |
| die im Land blieben und eine klare Antikriegsposition einnahmen. Das rief | |
| die Behörden auf den Plan: Gegen den Oppositionellen wurde ein Verfahren | |
| wegen Verbreitung von „Falschnachrichten“ über die russische Armee aufgrund | |
| von „politischem Hass“ eingeleitet. Grund war der April-Stream von Jaschin, | |
| in dem er Kommentare von Vertretern der russischen und ukrainischen Seite | |
| verlas. | |
| Bereits vor der Einleitung des Verfahrens gegen den 39-jährigen | |
| Oppositionellen wurden Rechtsverstöße wegen Diskreditierung der | |
| Streitkräfte der Russischen Föderation (Artikel 20.3.3 des Gesetzbuchs für | |
| Ordnungswidrigkeiten) zu Protokoll genommen, für drei davon wurde eine | |
| Geldstrafe in Höhe von 90.000 Rubel (umgerechnet 1.200 Euro) Geldstrafe | |
| verhängt. | |
| Schon damals war klar, dass ein Strafverfahren vorbereitet wurde. Aber | |
| Jaschin erklärte in zahlreichen Interviews, dass er nirgendwo hingehen und | |
| sich verstecken werde. Dies war seine prinzipielle Position. | |
| Die Ermittlungen in dem „Fake“-Fall dauerten fast fünf Monate. Jaschin | |
| wurde am 12. Juli festgenommen, als er eine spezielle Haftanstalt verließ, | |
| in der er 15 Tage lang festgehalten worden war – angeblich wegen | |
| Ungehorsams gegenüber der Polizei. Am nächsten Tag kam er in | |
| Untersuchungshaft. Laut der konstruierten Anklage habe Jaschin in einem | |
| Stream auf YouTube, „indem er den Beginn sozial gefährlicher Folgen | |
| vorhersagte, falsche Informationen über die angeblichen Verbrechen, die in | |
| Butscha begangen wurden, verbreitet“. | |
| Laut Staatsanwaltschaft habe sich Jaschin gleichzeitig abschätzig über die | |
| derzeitige Regierung geäußert und angeblich gewusst, dass „die von ihm | |
| verbreiteten Falschinformationen“ das Interesse einer Vielzahl von Menschen | |
| wecken würden, da er eine Persönlichkeit des öffentlichen Lebens sei. | |
| Anfang November wurde Jaschins Fall vor dem Meschanski-Gericht in Moskau | |
| verhandelt. Laut den von der Staatsanwaltschaft verlesenen schriftlichen | |
| Materialien war das Verfahren nach dem Bericht eines Detektivs vom Zentrum | |
| E (einer Antiextremismuseinheit des Geheimdienstes FSB; d. Red.) | |
| eingeleitet worden. | |
| Ein Video Jaschins mit mehr als 1 Million Aufrufen war den | |
| Strafverfolgungsbeamten im Juli aufgefallen. Ein Ermittler meinte, darin | |
| Anzeichen eines Verbrechens zu erkennen, und ein Linguistikexperte kam zu | |
| dem Schluss, dass die Worte des Oppositionellen über die Ermordung von | |
| Ukrainern durch russische Truppen eindeutig Aussagen des | |
| Verteidigungsministeriums widersprochen hätten. In der Tat wurden der | |
| operative Mitarbeiter und der Sprachexperte seitens der | |
| Staatsanwaltschaft Kronzeugen vor Gericht. | |
| Jaschin selbst widersprach dem Vorwurf kategorisch und gab an, wegen seiner | |
| oppositionellen Aktivitäten verfolgt zu werden. Er erklärte, dass er sich | |
| bei der Schilderung der Ereignisse an die klassischen Standards des | |
| Journalismus halte und dem Publikum nicht nur sein eigenes Werturteil | |
| anbiete, sondern es auch mit unterschiedlichen Sichtweisen vertraut mache. | |
| Die Richterin Oksana Gorjunowa benötigte nur vier Sitzungen, um beide | |
| Seiten anzuhören und ein Urteil zu fällen. Sie verurteilte Jaschin zu acht | |
| Jahren und sechs Monaten Gefängnis. Gegen das Urteil hat die Verteidigung | |
| Berufung eingelegt. | |
| ## Die Künstlerin Alexandra Skotschilenko | |
| Vor Kurzem hat das Wasileostrowski-Gericht in Sankt Petersburg begonnen, | |
| den „Fake“-Fall der Künstlerin Alexandra Skotschilenko zu prüfen. Ihr wird | |
| vorgeworfen, öffentlich „wissentlich falsche Informationen aus politischem | |
| Hass“ verbreitet zu haben. Nachdem Preisschilder in dem Geschäft | |
| Perekrestok durch Aufkleber mit Informationen über die Aktionen der | |
| russischen Streitkräfte in der Ukraine ersetzt worden waren, wurde | |
| Skotschilenko festgenommen und in ein Untersuchungsgefängnis gebracht. | |
| In der Haft verschlechterte sich der Gesundheitszustand der Künstlerin. | |
| Ihre Anwältin Jana Nepovinnowa sagte, dass die Künstlerin unmittelbar nach | |
| ihrer Verhaftung in eine Zelle für 18 Personen gebracht worden sei, in der | |
| Skotschilenko trotz einer Glutenunverträglichkeit keine spezielle Diät | |
| erhalten habe. | |
| Die Insassinnen verboten der Künstlerin, den Kühlschrank selbst zu | |
| öffnen. „Sascha wurde ständig gesagt, dass sie schlecht rieche. Die | |
| Insassen zwangen sie, jeden Tag ihre gesamte Kleidung zu waschen, | |
| einschließlich dicker Pullover und eines warmen Bademantels. Sie braucht | |
| dafür einen halben Tag“, sagte Sonja Subbotina, Skotschilenkos Freundin. | |
| Später wurde die Künstlerin in eine Doppelzelle verlegt, wo sie mit warmen, | |
| glutenfreien Mahlzeiten versorgt wurde. Nachdem ihr ein Zahn gezogen worden | |
| war, bekam Skotschilenko gesundheitliche Probleme: Eine Komplikation trat | |
| auf, die Wunde war nicht genäht worden. Als Folge entzündete sich ein | |
| Lymphknoten, die in Untersuchungshaft verabreichten Antibiotika und | |
| Schmerzmittel reichten nicht aus. | |
| Bei der ersten Sitzung des Wasileostrowski-Gerichts verlas der Staatsanwalt | |
| die Anklage und die Anwälte legten ihre Ansichten zu dem Fall ausführlich | |
| dar. Skotschilenko bestreitet ihre Schuld. Sie befindet sich seit dem 13. | |
| April in U-Haft. | |
| Während all dieser Monate verlängerte das Gericht wiederholt die Haft von | |
| Skotschilenko, obwohl die Verteidigung mildere Maßnahmen forderte, zum | |
| Beispiel Hausarrest. Sitzungen, in den es um einzelne Maßnahmen ging, | |
| fanden soweit möglich ohne Zuhörer und Presse statt. Aber die eigentliche | |
| Prüfung des Falles führt der Richter in öffentlicher Sitzung durch. Die | |
| nächste Verhandlung war für den 20. Januar 2023 angesetzt. | |
| ## Der Heizer Wladimir Rumjanzew | |
| Das letzte „Fake“-Urteil im Jahr 2022 wurde gegen Wladimir Rumjanzew, einen | |
| Heizer aus Wologda, verhängt. Für seine Antikriegshaltung erhielt er drei | |
| Jahre Gefängnis. Das Verfahren wurde eröffnet, weil der 61-Jährige mit | |
| seinem Untergrundfunk Falschinformationen verbreitet haben soll. Der | |
| Staatsanwalt hatte sechs Jahre Haft beantragt. | |
| Über den Angeklagten ist wenig bekannt. Wie der Fernsehsender Doschd | |
| berichtete, arbeitete er 20 Jahre lang als Heizer in der örtlichen | |
| Werkzeugmaschinenfabrik und nach deren Schließung als Schaffner in einem | |
| städtischen Trolleybus. Er nahm an einigen Protesten in seiner Heimatstadt | |
| teil. Und er betrieb eine eigene Amateurfunkstation, die mit bei der | |
| Onlineplattform AliExpress gekauften Sendern funktionierte. | |
| In den vergangenen acht Jahren war Rumjanzew regelmäßig auf Sendung und | |
| legte hauptsächlich sowjetische Hits auf. Das Signal seines Radiosenders | |
| ermöglichte es ihm, etwa zwei benachbarte Stadtteile abzudecken. | |
| Nach dem 24. Februar begann er, politischen Themen mehr Aufmerksamkeit zu | |
| schenken. Rumjanzew beschloss, seinen Nachbarn YouTube-Videos mit | |
| Oppositionellen, wie der Politikwissenschaftlerin Ekaterina Schulman, zu | |
| zeigen. Vermutlich zeigte ein Nachbar den Heizer bei der Polizei an. | |
| Im Sommer war er der Erste in der Stadt, der wegen „militärischer | |
| Falschmeldungen“ angeklagt wurde. Rumjanzew wurde beschuldigt, aus | |
| politischem Hass „wissentlich falsche Informationen“ über Aktionen der | |
| russischen Armee veröffentlicht und verbreitet zu haben. Am 15. Juli wurde | |
| er in Untersuchungshaft genommen. | |
| Grund für das Strafverfahren waren nicht nur Rumjanzews Radiosendungen, | |
| sondern auch seine Posts in sozialen Netzwerken. Nach dem 24. Februar | |
| veröffentlichte er fast täglich Nachrichten über den Krieg. Rumjanzew | |
| erklärte sich für nicht schuldig. | |
| Sein Anwalt Sergei Tichonow erklärte, dass das Gericht mit dem Strafmaß für | |
| seinen Mandaten wegen dessen Alter und Gesundheitszustand unter der | |
| Mindeststrafe von fünf Jahren geblieben sei. | |
| Aus dem Russischen [2][Barbara Oertel] | |
| 22 Jan 2023 | |
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