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# taz.de -- Politische Gefangene in Russland: Aus Strafkolonien verschwunden
> Mindestens sechs politische Gefangene sind nicht mehr in ihren bisherigen
> Haftanstalten – ohne jede Erklärung. Steht ein Gefangenenaustausch bevor?
Bild: Künstlerin Sascha Skotschilenko vor Gericht in St. Petersburg, 16. Novem…
Moskau taz | Als Almas Gatin in der Strafkolonie Nummer 28 der russischen
Kleinstadt Beresniki in der Region Perm ankommt, mehr als 1.000 Kilometer
nordöstlich von Moskau entfernt, weisen ihm die Mitarbeiter die Tür. Er
wolle für Lilia Tschanyschewa, seine Frau, ein Paket abgeben? „So eine
Gefangene ist aus der Einrichtung irgendwohin verschwunden“, teilen sie ihm
mit. Wohin, sagen sie nicht.
Die 42-jährige Lilia Tschanyschewa hatte in ihrer Heimatstadt Ufa einst den
regionalen Stab [1][des mittlerweile in Haft getöteten russischen
Oppositionspolitikers Alexei Nawalny] geleitet. Im November 2021 wurde sie
wegen der „Schaffung einer extremistischen Gemeinschaft“ – zu dem Zeitpun…
waren alle Nawalny-Organisationen für „extremistisch“ erklärt worden –
festgenommen und später zunächst zu 7,5 Jahren, dann zu 9,5 Jahren Haft
verurteilt worden.
Ihr Mann hatte seine Arbeit aufgegeben, war zu ihr in die Nähe gezogen. Er
kennt die Schikanen russischer Behörden. Alle Angehörigen von Verurteilten,
zumal politischen Gefangenen in Russland, kennen sie.
## 18-jähriger Schüler wegen Landesverrat verurteilt
Auch die Mutter des erst 18-jährigen Kevin Lick, eines wegen
„Landesverrats“ zu vier Jahren verurteilten deutsch-russischen
Staatsbürgers, hörte in diesen Tagen ähnliches wie Almas Gatin: „So einen
Gefangenen gibt es in dieser Einrichtung nicht.“
Lick soll in Maikop, der Heimatstadt seiner Mutter in der russischen
Republik Adygeja im Nordkaukasus, „militärische Objekte“ fotografiert und
diese einem „Vertreter eines ausländischen Staates geschickt“ haben,
lauteten die Anschuldigungen gegen den Jugendlichen. Erst mit zwölf war
Lick mit seiner Mutter aus Deutschland nach Russland gezogen. Diese hatte
hier eine bessere Zukunft für ihr Kind gesehen.
Wo ihr Sohn nun ist, weiß Viktoria Lick seit zwei Tagen nicht mehr. Wie es
auch die Angehörigen und Anwälte von [2][Ilja Jaschin] und [3][Oleg Orlow],
von [4][Sascha Skotschilenko] und [5][Xenia Fadejewa] nicht wissen.
Der oppositionelle Moskauer Lokalpolitiker Jaschin hatte in seiner
Youtube-Sendung über Butscha berichtet und wurde im Dezember 2022 zu 8,5
Jahren wegen „Verbreitung falscher Informationen über die russische Armee“
verurteilt. Der 71-jährige Menschenrechtler Orlow, Mitgründer der
mittlerweile liquidiertenMenschenrechtsorganisation „Memorial“, sitzt für
2,5 Jahre wegen „Diskreditierung der russischen Armee“ in Sysran in der
Region Samara ein.
Die Petersburger Künstlerin Skotschilenko hatte in einem Supermarkt die
Preisschilder gegen Informationen zu den Opfern in der Ukraine ausgetauscht
und wurde, ähnlich wie Jaschin, wegen „Falschinformationen zur russischen
Armee“ zu sieben Jahren Haft verurteilt. Die 32-jährige Fadejewa war,
ähnlich wie Tschanyschewa, Koordinatorin des Nawalny-Stabs in Tomsk in
Sibirien. Auch sie wurde wegen „Schaffung einer extremistischen
Gemeinschaft“ zu neun Jahren Haft verurteilt. Erst Anfang Juli war sie in
die Strafkolonie Nummer 9 nach Nowosibirsk verlegt worden.
## „Etappierung“ nennt man das Verschwinden aus dem Knast
Dass Häftlinge plötzlich aus ihren Haftanstalten verschwinden, ist in
Russland gar nicht so ungewöhnlich – wenn auch sehr alarmierend.
„Etappierung“ heißt die menschenentwürdigende Maßnahme im ohnehin brutal…
russischen Strafvollzug. Die Verschickung, die wie aus dem Nichts kommt und
Wochen oder gar Monate dauern kann, geht noch auf die Zarenzeit zurück, als
die Häftlinge etappenweise von Ort zu Ort gebracht wurden.
Dass nun mindestens sechs politische Gefangene, fast auf den Tag genau, aus
ihren Haftanstalten verschwinden, sei „kein Zufall“, sagt [6][Olga
Romanowa, die Gründerin der Stiftung „Russland hinter Gittern“], die
mittlerweile aus dem Exil arbeitet. Die Aktivistin hofft, das Verschwinden
könnte ein Zeichen für einen baldigen Gefangenenaustausch sein –
„vielleicht gegen Zivilgefangene in der Ukraine, die dort wegen Kooperation
mit dem russischen Regime einsitzen.
[7][Einen Austausch gegen den Tiergartenmörder Krassikow sehe ich nicht],
das ist noch eine Stufe höher.“ Doch vielmehr rechnet sie allerdings mit
einer „Verschlimmerung der Haftbedingungen für die sechs“. Die Behörden
könnten die Urteile „umqualifizieren“, sie könnten neue Verfahren anordne…
„Mir scheint, die Verantwortlichen in den Strafkolonien hätten einen Befehl
bekommen: Die Politischen kaltzumachen.“
31 Jul 2024
## LINKS
[1] /Beerdigung-von-Alexej-Nawalny/!5993312
[2] /Hartes-Urteil-gegen-Kreml-Kritiker/!5902246
[3] /Menschenrechtler-in-Russland-vor-Gericht/!5939461
[4] /Repression-gegen-Dissidenten-in-Russland/!5929256
[5] /Meduza-Auswahl-28-Dezember--3-Januar/!5983438
[6] /Meduza-Auswahl-11--17-April/!6004698
[7] /Urteil-im-Tiergartenmord-Prozess/!5822490
## AUTOREN
Inna Hartwich
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