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# taz.de -- Gefangenenaustausch mit Russland: Freigelassene im Westen begrüßt
> Die am Donnerstag ausgetauschten Gefangenen sind in Deutschland und den
> USA gelandet. Politiker sprechen von einer schwierigen Entscheidung.
Bild: Präsidialer Empfang für den aus Russland freigelassenen Journalisten Ev…
Es ist kurz vor Mitternacht, als die drei freigelassenen US-Gefangenen nach
dem historischen Gefangenenaustausch zwischen Russland, Belarus und
mehreren westlichen Ländern erstmals wieder amerikanischen Boden betreten.
Strahlend begrüßen der „Wall Street Journal“-Korrespondent Evan
Gershkovich, der ehemaligen Soldat Paul Whelan und die Journalistin Alsu
Kurmasheva zunächst US-Präsident Joe Biden und Vizepräsidentin Kamala
Harris und fallen dann unter Jubel und Freudentränen ihren Familien in die
Arme.
Gershkovich, der wegen Spionage in Russland zu 16 Jahren Haft verurteilt
worden war, wirbelte seine Mutter durch die Luft, während Biden und Harris
lächelnd applaudierten. Er wurde auch von Kollegen des „Wall Street
Journal“ am Flughafen erwartet, darunter von der Chefredakteurin der
Zeitung, Emma Tucker. „Danke für alles, Emma, das war sehr viel“, sagte
Gershkovich nach Angaben der Zeitung.
Die im türkischen Ankara gestartete Maschine mit den freigelassenen
US-Bürgern war nach mehr als neun Stunden Flug auf dem Militärflughafen
Joint Base Andrews unweit der US-Hauptstadt Washington gelandet. „Es ist
ein wunderbares Gefühl“, sagte Biden vor Journalisten auf dem Rollfeld,
„ich war absolut überzeugt, dass wir das schaffen können.“
## „Harter Brocken“ für Verbündete der USA
Der Gefangenenaustausch sei ein „harter Brocken“ für die Verbündeten der
USA gewesen, sagte Biden. Besonders Deutschland und Slowenien hätten
Entscheidungen treffen müssen, die „gegen ihre unmittelbaren Interessen
waren“. Besonders Bundeskanzler Olaf Scholz sei „unglaublich“ gewesen. Auf
die Frage, was nun seine Botschaft an Russlands Präsident Wladimir Putin
sei, antwortete er nur: „Stopp.“
Vizepräsidentin Harris sprach von einem „unglaublichen Tag“. Der
Gefangenenaustausch sei ein „außerordentlicher Beweis dafür, wie wichtig es
ist, einen Präsidenten zu haben, der die Macht der Diplomatie versteht“.
## Freude und Erleichterung in Deutschland
In der Nacht hatte Bundeskanzler Olaf Scholz bereits 13 Freigelassene in
Deutschland empfangen. „Das war sehr bewegend“, sagte er am Flughafen
Köln/Bonn. „Viele haben um ihre Gesundheit und auch um ihr Leben
gefürchtet, das muss sehr klar gesagt werden und deshalb ist es auch
wichtig, dass wir ihnen diesen Schutz jetzt hier ermöglicht haben.“
Bei der beispiellosen Aktion unter Beteiligung des türkischen
Geheimdienstes MIT wurden insgesamt 26 Gefangene ausgetauscht. Im Gegenzug
für die Freilassung politischer Gefangener und Kremlkritiker ließen
Deutschland, die USA und Partnerländer einen verurteilten Mörder und unter
Spionageverdacht stehende Häftlinge aus Russland gehen. So überstellte
Deutschland bei der Übergabe auf dem Flughafen der türkischen Hauptstadt
Ankara Wadim Krassikow, den sogenannten Tiergartenmörder. Russland ließ
unter anderen prominente Oppositionelle wie [1][Wladimir Kara-Mursa] und
[2][Ilja Jaschin] frei.
## Herzlicher Empfang durch Putin auf dem Rollfeld
Der russische Präsident Wladimir Putin nahm die vom Westen freigelassenen
Russen persönlich in Empfang. Der Kremlchef umarmte mindestens einen der
Männer noch auf dem Rollfeld, wo die Präsidentengarde Spalier stand. „Ihr
seid zu Hause, Ihr seid in der Heimat“, begrüßte Putin die Freigelassenen
und kündigte an, dass sie für staatliche Auszeichnungen vorgeschlagen
würden.
## „Aus Menschlichkeit Deal mit dem Teufel machen“
Vor allem die Freilassung des „Tiergartenmörders“ Wadim Krassikow sorgte
bei aller Freude über die Freilassung der politischen Gefangenen für einen
bitteren Beigeschmack. „Niemand hat sich diese Entscheidung einfach
gemacht, einen zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilten Mörder nur nach
wenigen Jahren der Haft abzuschieben“, sagte Scholz. Die schwierige
Entscheidung sei von der Koalition nach sorgfältiger Beratung und Abwägung
gemeinsam getroffen worden, der Oppositionsführer – Unionsfraktionschef
Friedrich Merz (CDU) – frühzeitig informiert und nach eigenem Bekunden
einverstanden gewesen.
Nach dem Treffen mit den Freigelassenen bezeichnete Scholz den Austausch
als richtige Entscheidung. „Und wenn man da irgendwelche Zweifel hatte,
dann verliert man die nach dem Gespräch mit denjenigen, die jetzt in
Freiheit sind.“
Der SPD-Außenpolitiker Michael Roth schrieb auf X, manchmal müsse man „aus
Gründen der Menschlichkeit mit dem Teufel einen Deal machen“.
Justizminister Marco Buschmann räumte ein, für die Freiheit der Gefangenen
habe man schmerzhafte Zugeständnisse machen müssen. Mit Blick auf die
Ausweisung des verurteilten Mörders Wadim Krassikow sagte er: „Ein
besonders bitteres Zugeständnis verantworte ich als Justizminister.“
Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International begrüßte den
Gefangenenaustausch, warnte aber vor den Folgen solcher Deals. „Die
russische Regierung könnte sich so zu weiteren politischen Verhaftungen und
Menschenrechtsverletzungen ermutigt fühlen, ohne Konsequenzen befürchten zu
müssen“, sagte der stellvertretende Generalsekretär in Deutschland,
Christian Mihr.
Unter den deutschen Staatsbürgern, die frei kamen, war der [3][in Belarus
zunächst zum Tode verurteilte und später begnadigte Rico K.] Auch Patrick
S., der nach Behördenangaben wegen Cannabis-Gummibärchen im Gepäck am
Flughafen in Sankt Petersburg festgenommen worden war, wurde an Deutschland
übergeben.
## „Tiergartenmörder“ zu lebenslanger Haft verurteilt
Der nun an Russland überstellte Wadim Krassikow [4][hatte 2019 in der
Berliner Parkanlage Kleiner Tiergarten einen Georgier tschetschenischer
Abstammung ermordet], der in Deutschland Schutz gesucht hatte. Das Berliner
Kammergericht verurteilte ihn 2021 zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe.
Kremlchef Putin nahm den Mörder öffentlich in Schutz, weil er aus
russischer Sicht einen Staatsfeind beseitigt hatte. Russische Behörden
hatten den Georgier als tschetschenischen Terroristen eingestuft.
Das vorzeitige Ende der Haft für den „Tiergartenmörder“ wühlte auch die
Hinterbliebenen des Opfers auf. „Das war eine niederschmetternde Nachricht
für uns Angehörige“, teilten diese über ihre Anwältin Inga Schulz der
Deutschen Presse-Agentur mit. „Einerseits sind wir froh, dass jemandes
Leben gerettet wurde. Gleichzeitig sind wir sehr enttäuscht darüber, dass
es in der Welt anscheinend kein Gesetz gibt, selbst in Ländern, in denen
das Gesetz als oberste Instanz gilt.“
## Röttgen spricht von „schwieriger Abwägung“
CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen hat den Gefangenenaustausch zwischen
Russland, Belarus und mehreren westlichen Staaten als eine schwierige
Abwägung bezeichnet, die er im Ergebnis unterstützt. Deutschland habe einen
„gravierenden Nachteil“ in Kauf genommen. „Aber der wird gerechtfertigt
durch den menschlichen Gewinn, durch Freiheit und die Befreiung von Folter
für 16 Menschen“, sagte Röttgen im Deutschlandfunk.
Röttgen sagte dazu: „Das ist schon ein gewaltiger Verzicht, den der
deutsche Staat, der Rechtsstaat, hier akzeptiert für ein höheres Gut, das
der Menschlichkeit, der Freiheit, der Gesundheit, der Befreiung von Foltern
für 16 Menschen, also es ist ein Geben und Nehmen.“ Er verstehe jeden, der
sich damit sehr schwergetan habe. „Ich tue es auch, aber im Ergebnis
unterstütze ich die Entscheidung.“
Der Außenexperte der Union im Bundestag, Jürgen Hardt (CDU), sagte im
ARD-„Morgenmagazin“, es seien Personen, die in einem Unrechtsstaat unter
unrechtmäßigen Bedingungen als Geiseln in Haft genommen worden, gegen
Personen ausgetauscht worden, die in einem Rechtsstaat wegen Straftaten
rechtmäßig verurteilt worden seien. Er fürchte, der Propagandaeffekt für
Putin sei enorm. „Das Schlimmste wäre, wenn es jetzt zur Nachahmung kommt.
Also wenn jetzt quasi Putin jedem gedungenen Mörder, den er in den Westen
schickt, um irgendwelche Menschen auszuschalten (…), wenn er denen sagen
kann: Ihr seht ja am Fall des Tiergartenmörders: Ich hole Euch raus.“
Deutschland müsse sich darüber im Klaren sein, dass man damit auf eine
„schiefe Bahn“ gekommen sei. Alle Deutschen, die sich in Russland und
Belarus aufhielten, müssten jetzt gewarnt werden, dass sie Opfer werden
könnten, sagte Hardt. (dpa)
2 Aug 2024
## LINKS
[1] /Urteil-gegen-Putin-Gegner-Kara-Mursa/!5925993
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[4] /Mord-an-Georgier/!5647073
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