# taz.de -- Gefangenenaustausch mit Russland: Ein gewagtes Spiel | |
> Der Geiseldeal hat einen hohen Preis – ist aber ein wichtiges Signal in | |
> Richtung Russland. Gesprächskanäle sind in Zeiten des Krieges notwendig. | |
Bild: Ein Moment des Glücks: die freigelassene Alsu Kurmasheva umarmt ihre Tö… | |
Die Inszenierung des Gefangenenaustauschs macht derzeit eine steile | |
Karriere auf der weltpolitischen Bühne. Die Humanität ist eine strahlende | |
Figur in diesem Stück. Ein wenig unscheinbarer tritt auf: das politische | |
Signal. Dabei ist es der eigentliche Star der Inszenierung. Der israelische | |
Premier Benjamin Netanjahu hat das gerade eindrucksvoll vorgeführt, | |
[1][indem er via Teheran die Verhandlungen mit der Hamas] über eine | |
Rückkehr der Geiseln des 7. Oktober torpedierte. | |
Beim [2][spektakulärsten Gefangenenaustausch] seit dem Ende des Kalten | |
Krieges zwischen Russland und dem Westen ist weniger das Signal des | |
russischen Potentaten interessant als das der deutschen Bundesregierung. | |
Ist die gezeigte Kompromissbereitschaft das richtige Signal? Ist der Preis, | |
den wegen Staatsterrorismus in Deutschland verurteilten Tiergartenmörder | |
[3][Wadim Krassikow] zu seinem Auftraggeber in Moskau ziehen zu lassen, | |
dafür zu hoch? | |
Die Liste der Personen, die die USA und Deutschland freibekommen haben, ist | |
lang – es ist wahrlich ein historischer Deal. [4][16 Personen insgesamt | |
saßen am 1. August im Kreml-Flieger]. Neben dem | |
Wall-Street-Journal-Journalisten [5][Evan Gershkovich] war eine Reihe | |
bekannter russischer Oppositioneller wie Wladimir Kara-Mursa darunter, Oleg | |
Orlow von der Menschenrechtsorganisation Memorial und einige Vertraute von | |
Alexei Nawalny. Aber auch deutsche Staatsbürger waren Teil des Deals. Dafür | |
holt Putin den Tiergartenmörder Krassikow, der für ihn persönlich eine | |
besondere Rolle spielen muss, und eine ganze Reihe anderer Agenten | |
Russlands [6][triumphierend nach Hause]. | |
Es ist ein gewagtes Spiel. Der Gefangenenaustausch bedeutet für Putin einen | |
hervorragenden Anreiz, weitere Menschen ohne jedes Recht wahllos | |
willkürlich zu inhaftieren und als Geiseln zu benutzen. Jeder erfolgreiche | |
Austausch versieht Deutsche, Amerikaner.innen und Bürger und Bürgerinnen | |
anderer nicht prorussischer Länder mit einem Preisschild. Mit Inflation | |
darf gerechnet werden. | |
Und was ist mit dem neuerlichen Anreiz, Anschläge und Morde auf deutschem | |
Staatsgebiet zu verüben? Es besteht ja mit einigem Recht die Aussicht, | |
ohnehin irgendwann ausgetauscht zu werden. Was ist mit denen in russischen | |
Knästen oder Straflagern, die nicht ausgetauscht wurden? Sind sie weniger | |
wert? Dieser Austausch ist auf vielen Ebenen ein äußerst heikles Manöver. | |
Ein Kniefall, sagen viele. | |
Deutschland und die USA können sich zwar anrechnen, dass sie mit diesem | |
Deal unschuldige Menschen gerettet haben. Doch die auffällige Asymmetrie | |
beim Austausch Unschuldiger gegen einen Mörder und echte Agenten wirkt erst | |
einmal mehr wie Not denn Stärke. | |
Es sind deshalb gute Gründe, wegen derer sich die deutsche Außenministerin | |
Annalena Baerbock seit vielen Monaten gegen den Deal gesperrt hatte. Jetzt | |
hat sich die Linie, für die Bundeskanzler Olaf Scholz stärker warb, | |
durchgesetzt. Er hatte schließlich US-Präsident Joe Biden versprochen, den | |
Weg für einen Deal frei zu machen, der Evan Gershkovich endlich nach Hause | |
bringt. Die Humanität bekommt ihren Applaus. | |
Es gibt keine magische Formel dafür, wann sich ein Staat durch Geiseln | |
erpressen lassen darf. Es gibt auch kein objektives Maß dafür, wann ein | |
Deal von Stärke und wann er von Schwäche zeugt. Immerhin ist in diesem Fall | |
die Bundesregierung wohl mit ihrer eigenen Forderungsliste an Putin hart | |
geblieben – do or die hieß es am Schluss. Wenn nun aber beide Seiten eines | |
Deals viel gegeben haben, ist der Deal vielleicht doch kein ganz | |
schlechter. | |
## Signal an die russische Opposition | |
Und neben der Botschaft der Humanität sendet die Bundesregierung hier doch | |
zwei wichtige Signale, die den hohen Preis wert sein könnten: Zum einen | |
lässt sie die russische Opposition nicht allein. Wie schon beim im | |
russischen Gefängnis gestorbenen Putin-Kritiker Alexei Nawalny, dessen | |
Austausch im Februar Tage vor seinem Tod schon vereinbarte Sache schien, | |
bietet sich Deutschland als sicherer Fluchtort an. Diejenigen, die vielen, | |
die weiter inhaftiert sind, sie sollen zudem hören: Wir vergessen euch | |
nicht. | |
Im Gegenzug bleibt die Bundesregierung, wenn auch durch Unterhändler, im | |
Gespräch. Und jede Form der Gesprächsbereitschaft hält diplomatische Kanäle | |
in Kriegs- und Krisenzeiten, wie wir sie derzeit haben, offen. Man | |
interpretiert zu viel hinein, wenn man Bundeskanzler Olaf Scholz hier | |
weniger Härte gegenüber Russland oder gar Verhandlungsbereitschaft unter | |
russischen Vorzeichen unterstellte. | |
Nur irgendwann, wenn auch schwer abzusehen wann, irgendwann wird irgendwer | |
mit Russland reden müssen, reden müssen über mehr als den Austausch von | |
Gefangenen. Aber nun, es geht ja erst einmal nur um Signale. | |
2 Aug 2024 | |
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## AUTOREN | |
Barbara Junge | |
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