# taz.de -- Opposition in Russland: 25 Jahre für einen „Feind des Volkes“ | |
> Der Politiker Wladimir Kara-Mursa war unter anderem wegen Staatsverrats | |
> angeklagt. Am Montag ist das Urteil in Moskau gefallen: 25 Jahre Haft. | |
Bild: 25 Jahre Haft: der Oppositionelle Wladimir Kara-Mursa | |
BERLIN taz | „Ich habe mir nur eins vorzuwerfen: dass es mir in den Jahren | |
meiner politischen Tätigkeit nicht gelungen ist, meine Landsleute sowie die | |
Politiker demokratischer Länder von der Gefahr zu überzeugen, die das | |
gegenwärtige Regime des Kremls für Russland und die Welt darstellt. Heute | |
ist das für jeden offensichtlich, aber der Preis dafür ist schrecklich: Es | |
ist der Preis des Krieges“, sagte der russische Oppositionelle Wladimir | |
Kara-Mursa in der vergangenen Woche bei seinem letzten Auftritt vor dem | |
Moskauer Stadtgericht. | |
Dem 42-jährigen, der seit dem 22. April 2022 in einem | |
Untersuchungsgefängnis in Moskau einsitzt, wurden „[1][Falschaussagen über | |
die russische Armee]“, „Führung einer unerwünschten Organisation“ sowie | |
„Staatsverrat“ zur Last gelegt. An diesem Montag ist das Urteil ergangen. | |
Die Staatsanwaltschaft, die den Angeklagten in ihrem Schlussplädoyer als | |
„Feind“ bezeichnet hatte, hatte 25 Jahre Lagerhaft unter verschärften | |
Bedingungen gefordert. Und 25 Jahre Haft sind dann am Montag als Urteil | |
gefallen. | |
Kara-Mursa, der in Cambridge ein Studium in Kunstgeschichte abschloss und | |
neben der russischen auch die britische Staatsbürgerschaft hat, ging Anfang | |
der Nullerjahre in die Politik. Von 2003 bis 2006 war er Berater des | |
damaligen Duma-Abgeordneten und Putin-Kritikers Boris Nemzow, der am 27. | |
Februar 2015 im Zentrum von Moskau erschossen wurde. Ab 2011 engagierte | |
sich Kara-Mursa in der Protestbewegung, die faire und freie Wahlen in | |
Russland forderte. | |
Im selben Jahr war er als Repräsentant der russischen Opposition im | |
US-Kongress an Verhandlungen über ein Gesetzesprojekt beteiligt, um | |
russische Beamte wegen schwerster Menschenrechtsverletzungen mit | |
persönlichen Strafmaßnahmen wie Einreise- oder Kontensperren belegen zu | |
können. Der sogenannte Magnitsky Act, benannt nach dem 2009 in Haft zu Tode | |
gefolterten Rechtsanwalt Sergei Magnitzki, wurde 2012 von US-Präsident | |
Barack Obama unterzeichnet. | |
## Auf der Sanktionsliste | |
Einer der Ersten, die auf der Sanktionsliste landeten, war der Richter | |
Sergei Podoprigorow, der den Vorsitz im Gerichtsverfahren gegen Kara-Mursa | |
führt. Er soll sich 2017/18 persönlich an das US-Finanzministerium mit dem | |
Ersuchen gewandt haben, ihn von der Liste zu löschen. | |
2015 wurde Kara-Mursa infolge von Vergiftungen – Proben waren im Ausland | |
untersucht worden – in lebensbedrohlichem Zustand in ein Krankenhaus | |
eingeliefert, das Szenario wiederholte sich 2017. Im Februar 2021 | |
veröffentlichten Journalist*innen des investigativen | |
Recherchenetzwerkes Bellingcat einen Bericht. Demnach gehen sowohl die | |
Anschläge auf Kara-Mursa als auch der versuchte Giftmord an [2][dem | |
Oppositionellen Alexei Nawalny] im Jahr 2020 auf das Konto ein und | |
derselben Gruppe von Angehörigen des russischen Geheimdienstes FSB. | |
Nach jeweils monatelangen Reha-Maßnahmen leidlich wiederhergestellt, machte | |
Kara-Mursa weiter. 2019 übernahm er den Posten des Vize-Vorsitzenden der | |
Stiftung „Freies Russland“, die in Russland mittlerweile zu einer | |
unerwünschten Organisation erklärt worden ist. | |
Den Ausschlag für das aktuelle Gerichtsverfahren könnte sein Auftritt vor | |
der Abgeordnetenkammer des US-Bundesstaates Arizona am 15. März 2022 | |
gegeben haben. In einer Generalabrechnung mit dem Putin-Regime sprach er | |
von „Bombenabwürfen auf Wohngebiete, Krankenhäuser und Schulen in der | |
Ukraine“. | |
Auch jetzt ist Kara-Mursa gesundheitlich stark angeschlagen. Er leidet | |
unter einer Erkrankung des Nervensystems, die zu einer Lähmung der Beine | |
führen kann. Laut einer nahen Verwandten soll er während seiner Haft 22 | |
Kilogramm Gericht verloren haben. Hoffnung habe sie keine, das Urteil werde | |
hart ausfallen, so die Frau gegenüber der taz vor der Bekanntgabe des | |
Urteils. Sollten die Behörden Kara-Mursa nach seiner Verurteilung in eine | |
weit von Moskau entfernte Haftanstalt verlegen lassen, werde er das nicht | |
überleben. | |
17 Apr 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Hartes-Urteil-gegen-Kreml-Kritiker/!5902246 | |
[2] /Leonid-Wolkow-ueber-Russland-und-Nawalny/!5912361 | |
## AUTOREN | |
Barbara Oertel | |
## TAGS | |
Russland | |
Russische Opposition | |
russische Justiz | |
Russland | |
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
Schwerpunkt Pressefreiheit | |
Russland | |
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
Russische Opposition | |
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Michail Chodorkowski über den Krieg: „Der Westen tut sich schwer“ | |
Der Westen entscheide zu langsam und ziehe immer noch rote Linien, | |
kritisiert der russische Ex-Unternehmer Michail Chodorkowski. Mit Putin zu | |
verhandeln, sei sinnlos. | |
Repression gegen Dissidenten in Russland: Bestenfalls drei Jahre | |
In Russland sind Oppositionelle der Willkür von Justizbeamten ausgesetzt. | |
Sascha Skotschilenko und Dmitri Skurichin protestierten gegen den Krieg in | |
der Ukraine – und werden auf unbestimmte Zeit inhaftiert. | |
In Russland inhaftierter Journalist: „Evan, bleib stark!“ | |
Ein Moskauer Gericht bestätigte am Dienstag die Inhaftierung des | |
US-Journalisten Evan Gershkovich. Er will weiter für seine Freiheit | |
kämpfen. | |
Urteil gegen Putin-Gegner Kara-Mursa: Moralisch verrottet | |
In Russland ist ein Oppositionspolitiker zu 25 Jahren Lagerhaft verurteilt | |
worden. Präsident Putin ist im Kampf gegen das eigene Volk. | |
Leonid Wolkow über Russland und Nawalny: „Ich bin zur Hoffnung verpflichtet�… | |
Wie stark ist die russische Opposition? Dissident Leonid Wolkow über | |
Kriegsmüdigkeit und den in Isolationshaft sitzenden Kremlkritiker Alexei | |
Nawalny. | |
Opposition in Russland: Sieben Jahre Straflager | |
Russland geht immer öfter gegen Gegner von Putins Krieg gegen die Ukraine | |
vor. Der Straftatbestand lautet „Falschnachrichten über die russische | |
Armee“. | |
Hartes Urteil gegen Kreml-Kritiker: Achteinhalb Jahre für Ilja Jaschin | |
Weil er über die russischen Gräueltaten im ukrainischen Butscha berichtete, | |
verurteilt ein Moskauer Gericht den Oppositionellen Ilja Jaschin. |