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# taz.de -- Landwirtschaft und Ernährungssicherheit: Gift aus dem Ausland
> Kleinbauern in Uganda verwenden Pestizide, die in Europa verboten sind.
> Nun will Deutschland auch deren Export untersagen. Welche Folgen hätte
> das?
Bild: Faustine Mugalula versprüht Insektizide, ohne Schutzkleidung. Aber sie s…
Kampala taz | Faustine Mugalula schraubt die kleine Plastikflasche auf und
schüttet vorsichtig etwas Flüssigkeit in einen Messbecher. „25 Milliliter
auf 20 Liter Wasser reichen aus, um meinen Garten zu sprühen“, sagt er und
kippt die Flüssigkeit in einen mit Wasser gefüllten Kanister, den er sich
auf den Rücken schnallt. Auf dem Etikett der Flasche steht: „giftig“.
Mugalula bindet sich ein rotes bereits löchriges Stofftuch um Mund und Nase
und nimmt das Spritzrohr in die Hand. In Gummistiefeln stapft er in seinen
Gemüsegarten, um Raupen und anderen Schädlingen auf seinen
Auberginenpflanzen den Garaus zu machen.
Mugalula ist 50 Jahre alt, ein hagerer Mann mit grauen Bartstoppeln im
Gesicht. Sein Acker liegt in einem kleinen Dorf im Süden Ugandas, rund 30
Kilometer von der Hauptstadt Kampala. Er ist einer von Millionen von
Kleinbauern im Land, der regelmäßig seine Tomaten, Auberginen und Bohnen
mit Pestiziden besprüht. „Das erhöht meine Erträge“, sagt er und zeigt a…
die sechs Kinder, die vor seinem Haus mit unverputzten Mauern
Mensch-Ärgere-Dich-Nicht spielen. „Ich verkaufe meine Ernte, um davon die
Schulgebühren zu bezahlen“, sagt Mugalula.
Seit sieben Jahren sprühe er, sagt er und erzählt, wie es dazu kam. Ein
Vertreter einer Firma kam ins Dorf und erklärte ihnen, dass die Pflanzen
mit Chemikalien besser wachsen. Einer von Mugalulus Nachbarn kaufte sich
spontan eine Flasche und seine Ernte war sehr gut. Das hat ihn überzeugt
und deshalb fährt Mugalulu regelmäßig nach Kampala, um dort das
Pflanzenschutzmittel zu besorgen.
Faustine Mugalula hilft das Gift aus dem Ausland dabei, seine Familie zu
ernähren. Aber in Zukunft muss er die Schädlinge womöglich anders
bekämpfen. Denn es gibt – nicht zuletzt in Deutschland – Bestrebungen,
giftige Insektenbekämpfungsmittel vom Markt zu verbannen. Das hätte
Auswirkungen nicht nur auf die Arbeit von Landwirten, sondern auch auf die
Geschäfte großer Chemiekonzerne.
Nachdem Faustine Mugalula fertig gesprüht hat, hängt feiner Sprühnebel
zwischen den Auberginensträuchern. Darunter picken Küken nach Insekten.
Eine junge Ziege grast nur wenige Meter entfernt. Die Chemikalie riecht
ätzend, kommt man dem Sprühnebel zu nahe, wird einem übel und man bekommt
einen Brechreiz.
„Rocket“ steht auf der Plastikflasche. Als Wirkstoffe sind Profenophos und
Cypermethrin ausgewiesen, die als Nervengifte nicht nur Raupen und
Kakerlaken, sondern auch alle Bienen im Umkreis töten. Das Produkt ist
hergestellt worden für Schädlinge auf Baumwoll- oder Tabaksträuchern –
nicht für essbare Gemüsepflanzen. So steht es in der Packungsbeilage. Die
Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit kam 2020 zum Schluss, dass
diese Wirkstoffe Schilddrüsenkrebs hervorrufen können, und stufte die
Substanz deshalb als „hormonschädlich für den Menschen“ und „wahrschein…
hormonschädlich für die Umwelt“ ein.
„Ich habe keine Probleme damit“, sagt Mugalula und wäscht sich in einer
Wanne die Hände mit Seife. Das Schmutzwasser kippt er danach ins Gras, das
die Ziege frisst. Dann bindet er sich das Stofftuch ab und stopft es
ungewaschen in seine Hosentasche. „Sie haben uns gesagt, dass wir
Handschuhe und professionelle Schutzmasken tragen sollen“, sagt Mugalula.
„Aber das Geld dafür spare ich mir.“
Die 100-Milliliter-Flasche, die Mugalula für umgerechnet rund 1,50 Euro
einkauft, ist in Uganda abgefüllt. Doch die Inhaltsstoffe darin stammen aus
dem Ausland und müssen importiert werden: aus Indien und China, aber auch
aus Deutschland.
Auf der Liste der in Uganda zugelassenen Pestizide stehen 109 Namen, die
legal eingeführt werden dürfen, zum Teil sind das giftige und gefährliche
Wirkstoffe. 39 davon stammen von deutschen Herstellern, darunter sind die
Chemie-Giganten Bayer und BASF, aber auch kleinere Unternehmen. Sie liefern
Pflanzenschutzmittel, die zum Teil in der EU nicht mehr zugelassen sind.
Darunter beispielsweise das Fungizid Mancozeb von Bayer oder der Wirkstoff
Friponil von BASF.
Der Export dieser Substanzen aus Europa ist immer noch erlaubt. Laut dem im
November [1][von der Heinrich-Böll-Stiftung publizierten Pestizid-Atlas]
genehmigten europäische und britische Behörden in den Jahren 2018 und 2019
die Ausfuhr von mehr als 140.000 Tonnen an Pestiziden, die innerhalb der EU
verboten sind. 10.000 Tonnen davon stammen von deutschen Herstellern.
## Afrika gilt als Absatzmarkt der Zukunft
Hauptabnehmer sind Länder im globalen Süden mit einem großen Agrarsektor
wie etwa Brasilien. Rund 13 Prozent gehen nach Afrika: nach Kenia,
Südafrika, Nigeria und auch Uganda. Hier werden sie nicht nur von großen
Baumwoll-, Mais- oder Schnittblumenbetrieben verwendet, sondern auch von
Kleinbauern wie Faustine Mugalula.
Der Absatzmarkt in Afrika ist im Vergleich zu anderen Kontinenten noch
klein, sagt die Ökotoxikologin Silke Bollmohr, die den Pestizid-Atlas mit
erarbeitet hat. „Afrika wird dementsprechend von der Industrie als großer
Absatzmarkt der Zukunft betrachtet.“
Doch daraus wird womöglich nichts werden. „Es geht nicht an, dass wir nach
wie vor Pestizide produzieren und exportieren, die wir bei uns mit Blick
auf die Gesundheit der Menschen zu recht verboten haben“, erklärte
[2][Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir von den Grünen] im September.
Mit einer neuen Verordnung wolle er das im [3][Koalitionsvertrag
vorgesehene Ausfuhrverbot] umsetzen. Auf taz-Nachfrage konkretisiert seine
Pressestelle, dass sie den Export von „bestimmten Pestiziden“ untersagen
wolle, „die in der EU aus Gründen des Schutzes der menschlichen Gesundheit
nicht zugelassen sind“. Gemeinsam mit Frankreich wolle sich die
Bundesregierung zudem für einen EU-weiten Exportstopp einsetzen. Welche
Pestizide das konkret sein werden, stehe jedoch noch nicht fest. Die
deutsche Verordnung soll im ersten Halbjahr 2023 kommen.
Ein Exportverbot sei lange überfällig, heißt es in einem [4][offenen
Brief], den 274 Menschenrechtsorganisationen aus 54 Ländern des globalen
Südens im November an Özdemir geschickt haben. Sie fordern, dass das Verbot
sowohl fertige Produkte als auch die Wirkstoffe umfasst. Ein Exportverbot
dürfe auch nur der erste Schritt sein auf dem Weg zu einem weltweiten
Verbot. Es bedürfe eines strukturellen Umdenkens hin zu biologischen
Anbaumethoden, damit die Menschenrechte gewahrt blieben.
Die Hersteller sehen das – wenig überraschend – anders. Bayer und BASF
betonen auf taz-Anfrage, dass ein Exportverbot nicht zielführend sei, wenn
man Ernährungssicherheit gewährleisten wolle. Landwirte im globalen Süden
seien auf wirksame Pflanzenschutzmittel angewiesen, „da der Schädlingsdruck
durch die klimatischen Bedingungen dort viel höher ist als beispielsweise
in Europa“, heißt es von Bayer. Ein Exportstopp würde den Landwirten gerade
den Zugang zu den nach höchsten Umweltstandards produzierten Mitteln
verwehren, argumentiert BASF.
Ugandas Bauern sind nicht unbedingt auf deutsche Produkte angewiesen. Der
Laden, in dem Bauer Mugalula sein Insektengift kauft, befindet sich in
einer geschäftigen Straße in der Altstadt von Kampala. „Container City“
wird der Straßenzug genannt, weil sich hier hunderte containergroße Buden
aneinander reihen: alle bis unter die Decke voll mit Chemikalien – vom
[5][Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat] bis hin zu Insektiziden, die keine
Biene überleben lassen.
In der Bude, wo Mugalula immer einkauft, sitzt die Verkäuferin mit ihrem
Baby auf dem Schoß. Hannah Balinda heißt sie, 26 Jahre alt, um sie herum
türmen sich bis unter die Decke Plastikflaschen mit dem Warnhinweis
„giftig“. Die meisten sind von indischen und chinesischen Herstellern, die
billige Generika anbieten. An der Wand hinter ihr hängen einige
Gummihandschuhe und Atemschutzmasken. Doch die verkaufe sie nur selten,
gibt Balinda zu: „Die Bauern sparen sich meist das Geld dafür.“ Einige der
Läden in der Nachbarschaft führen schon gar keine Schutzkleidung mehr, weil
sie sich nicht gut verkaufen, sagen die Verkäufer. Eine geeignete
Atemschutzmaske kostet drei Mal so viel wie die Plastikflasche, die Bauer
Mugalula einkauft.
## „Das wäre nicht gut für das Image“
In einem etwas größeren Laden sortiert der Verkäufer gerade seine neu
eingetroffene Ware in die Regale. Im vorderen Bereich präsentiert Oduor
Ambrose sichtbar die Dosen mit Samen, die er frisch aus Deutschland per
Luftfracht geliefert bekommen hat: Mais, Wassermelonen, Bohnen, Paprika und
Zwiebeln – hybride Samen aus den Laboren von Bayer Crop Science in
Leverkusen.
In den Regalen dahinter stehen Plastikflaschen mit Glyphosat und anderen
Pestiziden von Bayer, die in Kombination mit diesen Samen angewandt werden
sollen. „Der Mais wächst sonst nicht gut, wenn man nicht sprüht“, erklärt
er und zückt ein kleines Handbuch. Auf dem Titel eine aufgehende Sonne über
einem prallen Maisfeld kurz vor der Ernte. Rechts oben: das Bayer-Logo.
In Comic-artigen Bildern und Fotos ist in dem Handbuch erklärt, für was
welches Produkt wie angewendet werden soll – und welche Schutzkleidung
vorgesehen ist: Handschuhe, Ganzkörper-Schutzanzug, Schutzbrille,
Gummistiefel, Mütze; sowie der Hinweis, dass man sich nach der Anwendung
duschen und die Schutzkleidung waschen soll. „Wir wollen ja nicht, dass die
Bauern sterben, wenn sie unsere Produkte anwenden“, sagt Ambrose und lacht:
„Das wäre nicht gut für das Image.“
Landesweit führt seine Firma im Auftrag von Bayer Trainings zur sachgemäßen
Anwendung durch, sagt er. Auf seinem Handy zeigt er Fotos in einer
Whatsapp-Gruppe, die er für Kunden aufgesetzt hat. Darin tauschen sich die
Bauern aus, welches Mittel am besten wirkt, wie man sie am besten anwendet
– sie machen damit auch indirekt Werbung.
Unter seinen Kunden sind vor allem Farmbesitzer, die große Flächen als
Monokulturen mit Pestiziden besprühen und mehr Geld erwirtschaften, sich
also theoretisch die Schutzkleidung leisten können, erklärt er: „Unsere
Produkte sind viel teuer als die Generika aus Indien und China nebenan“,
sagt Ambrose und zeigt auf die 100-Milliliterflasche „Belt“ von Bayer.
Darin sind dieselben Wirkstoffe wie in Bauer Mugalulas Flasche, nur ist die
hier zehn mal so teuer.
## Die Bestimmungen sind unzuverlässig
Auf taz-Anfrage erklärt der Konzern, dass die Trainings, die Agronom
Ambrose für Bayer in Uganda durchführt, ein Teil des weltweiten
Verkaufskonzeptes seien: „In den vergangenen Jahren waren dies regelmäßig
mehr als eine Millionen Trainings durch Bayer pro Jahr“, schreibt die
Pressestelle in Leverkusen. In Ländern, in denen ein wie auf dem Label
vorgeschriebener sicherer Umgang mit Pflanzenschutzmitteln nicht
gewährleistet werden könne, würden diese Pflanzenschutzmittel nicht
vertrieben.
Sowohl Bayer als auch BASF argumentieren, dass allein die Tatsache, dass
ein Pflanzenschutzmittel nicht in der EU zugelassen sei, nichts über dessen
Sicherheit aussage. „Auch viele andere Zulassungsbehörden auf der ganzen
Welt verfügen über sehr robuste und hochentwickelte Regulierungssysteme zum
Schutz der menschlichen Gesundheit und der Umwelt“, so die
Bayer-Pressestelle.
Doch wie unzuverlässig die Bestimmungen der ugandischen Zulassungsbehörde
sind, zeigt sich bereits bei der Liste der zugelassenen Pestizide. Dort
sind drei Vertriebe gelistet, die deutsche Produkte importieren dürfen. Die
Firma Faith Agro Inputs, für die Ambrose arbeitet, steht nicht darauf.
Warum, darüber will er keine Auskunft geben, auch nicht, wie er ohne Lizenz
die Bayer-Produkte ins Land bekommt.
Und auch bei den gelisteten Firmen ergeben sich Fragezeichen. Zum Beispiel
bei Agrifarm, die laut Liste den Universaldünger Wuxal von Aglukon aus
Düsseldorf bezieht. Dort geht trotz mehrfacher Versuche niemand ans
Telefon. Die Firma Agafam importiert von DVA Agro aus Hamburg neben
Glyphosat auch das hormonschädliche Mancozeb sowie das
Schädlingsbekämpfungsmittel Fipronil von BASF, das in der EU nach einem
Skandal mit vergifteten Eiern seit 2018 verboten ist.
Agafam war bis 2019 in Uganda ein führendes Unternehmen, das vor allem in
den sozialen Netzwerken Werbung für die deutschen Produkte gemacht hat. Wer
heute die Telefonnummer aus der Werbung anruft, bekommt die Ansage: „Diese
Nummer ist nicht vergeben.“ Unter der genannten Adresse in einer Kleinstadt
außerhalb von Kampala gibt es keinerlei Hinweise auf die Firma, nicht
einmal ein Logo. Dort verkauft eine junge Frau Wasserhähne und Klobrillen.
Auf der Importliste findet sich eine weitere Telefonnummer von Agafam. Der
Ugander, der ran geht, will seinen Namen nicht nennen. „Ich habe nur meine
Kontaktdaten für die Lizenz hergegeben – mit Chemikalien habe ich selbst
nichts zu tun“, sagt er. Per SMS schickt er die Telefonnummer von der Bayer
East Africa, einer Tochterfirma mit Sitz im benachbarten Kenia, von wo aus
die ganze Region beliefert wird.
Auch die Firma Uganda Crop Care bezieht von Bayer aus Kenia. Sie ist
marktführend im Vertrieb deutscher Pestizide in Uganda und zählt zu den 100
führenden mittelständischen Unternehmen des Landes. Firmenchef Sharad Kumar
Singh ist geborener Inder. Wie so viele seiner Landleute hat er sich vor
zwölf Jahren in Uganda niedergelassen. Sein Warenhaus liegt im
Industrieviertel von Kampala. Darin türmen sich blaue 200-Liter-Fässer voll
mit Glyphosat aus Leverkusen. Davor stehen rund 20 neue Motorräder, mit
denen er seine Angestellten zu den abgelegenen Dörfer schickt, um die
Bauern frei Haus zu beliefern.
An den Wänden des kleinen Büros hängen Fotos des Firmenchefs mit Ugandas
Präsident Yoweri Museveni. Zu seinen Kunden zählen vor allem Blumenzüchter,
die ihre Tulpen und Rosen per Luftfracht in die Niederlande exportieren,
sowie Baumwoll- und Teefarmer, die fast ausschließlich für den Export
produzieren – ein wichtiger Sektor für Ugandas Wirtschaft. Singh will alle
Fragen beantworten.
Unter seinen Kunden seien nur wenige Lebensmittelproduzenten, sagt er. Doch
auch für diese sei die Anwendung deutscher Pestizide wesentlich: „Unsere
Mittel sind für die Ernährungssicherheit in Uganda von zentraler
Bedeutung“, sagt Singh. Bei der Frage, welche Folgen ein Exportverbot
bestimmter Wirkstoffe für sein Unternehmen habe, macht er große Augen.
Davon habe er noch nichts gehört. Und er findet ein solches Verbot falsch.
Zwar wisse er als promovierter Chemiker genau, dass einige Substanzen
krebserregend sind. Auf der anderen Seite: Die Bauern müssen auch etwas
ernten, damit sie genug zu essen haben. „Die Folgen muss man also abwägen.“
Singh zeigt auf den Stempel des Landwirtschaftsministeriums auf seinen
Importlizenzen mit dem Verweis auf Bayer, BASF und den Schweizer
Chemiekonzern Syngenta. „Ugandas Regierung macht hier einen guten Job“,
sagt er. Die Bevölkerung schützen und gleichzeitig Hungerkatastrophen
verhindern.
Ugandas Landwirtschaftministerium ist eine der wichtigsten Behörden im
Land, Anfragen beantwortet es aber nur ungern. Die Pressesprecherin erklärt
am Telefon, dass der Beauftragte für Pflanzenschutz für diese Fragen
zuständig sei. Als die taz ihn anruft, verlangt er, alle Fragen schriftlich
sehen zu wollen, bevor er sich zu einem Interview bereit erklärt. Beim
nächsten Telefonat wimmelt er ab: „Sie sollten mit dem Staatssekretär dazu
sprechen.“ Doch der ist nicht erreichbar.
Dafür ist man in Ugandas Umweltbehörde NEMA auskunftswillig. Dort ist der
promovierte Chemiker Jerome Lugumira zuständig für Probleme mit der
Bodenqualität, auch für die Langzeitfolgen durch Pestizideinsatz. Er
vertritt die Umweltbehörde in jenem Gremium des
Landwirtschaftsministeriums, das über die Importlizenzen entscheidet. „Es
ist ein riesiges Pro-blem“, sagt Lugumira, und seufzt.
Lugumira, 46, sitzt in einem dunklen vollgestellten Büro und zeigt auf ein
Ringbuch in seinem Regal, in welchem er die jüngsten internationalen
Studien zu Langzeitfolgen von Pestiziden abgeheftet hat. „Leider gibt es
bei uns absolut keine Dokumentation dazu, wie diese Produkte angewandt
werden und wie viel“, sagt er. „Wir können lediglich über die Importsteuer
nachvollziehen, wie viele dieser Produkte ins Land kommen, aber nicht, wie
viele verwendet werden und nach welchen Standards.“
Das größte Problem, so Lugumira, sei die falsche Anwendung der Chemikalien.
„Sie werden überdosiert oder falsch angewandt, zum Beispiel in der
Regenzeit, wenn der Regen sie einfach wegspült“, sagt er. Trainings wie die
von Bayer biete die Regierung nicht an, sagt er. Dafür fehle es an Geld.
„Wir überlassen das Problem der sicheren Anwendung also den Herstellern,
die ja keine neutralen Experten sind.“
Im Landwirtschaftsministerium gebe es kaum Expertise zu Pestiziden.
Diejenigen, die über die Einfuhrlizenzen entschieden, tagten maximal drei
Mal im Jahr, sagt er. Sie hätten gar keine Kapazitäten, sich mit all den
Studien zu beschäftigen. „Das ganze System der Zulassung ist absolut
korrupt“, sagt Jerome Lugumira. Ein Ausfuhrverbot Deutschlands und der EU
für extrem gesundheitsschädliche Stoffe würde er deswegen begrüßen.
Lugumira verweist auf einen Vorfall vor mehr als zehn Jahren. Damals wurden
hohe Werte des Insektengifts DDT, das zur Malaria-Bekämpfung eingesetzt
wird und bereits in den 1980ern weltweit in Verruf geraten war, in
[6][Fischen aus dem Victoriasee] festgestellt. Die EU verhängte 1999 einen
Importstopp auf den Victoriabarsch, eine teure Delikatesse in Europa und
ein lukratives Exportprodukt Ugandas. Das hat Ugandas Wirtschaft über Jahre
hinweg enorm geschadet: „Doch die Regierung hat nichts daraus gelernt“,
sagt Lugumira. Sie habe zwar den Import von DDT untersagt, doch bis heute
finde er immer wieder DDT-Produkte auf dem Markt. „Da fragt man sich, wie
die eigentlich ins Land kommen.“
8 Jan 2023
## LINKS
[1] https://www.boell.de/de/pestizidatlas
[2] /Landwirtschaftsminister-Cem-Oezdemir/!5897278
[3] /Ausfuhren-von-Pestiziden/!5881249
[4] https://panap.net/2022/11/274-global-south-civil-society-groups-yes-to-germ…
[5] /Schwerpunkt-Glyphosat/!t5008469
[6] /Victoriasee-in-Uganda/!5713745
## AUTOREN
Simone Schlindwein
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