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# taz.de -- Neuer „Postpunk“ von Big Joanie: Wenn sie's können, kannst du'…
> Popmelodien, Spaß am Experiment, Riot-Grrrl-Ästhetik und DIY: Passgenau
> bringt das neue Album des Londoner Trios Big Joanie das zusammen.
Bild: Big Joanie, die Schwarze feministische Punkband, macht die Londoner Szene…
Dezidiert politischer Überbau im Pop ist wichtig. Im Falle der Londoner
Band Big Joanie: Diversität, Feminismus und Queerness. Das Erste, womit
sich die Musik des britischen Trios festhakt, ist aber nicht der
identitätspolitische Überbau, sondern das klare Schlagzeugspiel von
Chardine Taylor-Stone.
Nach den Maßstäben des Professionalismus nicht „gut gespielt“: eine
Stand-Tom, eine Snare und ein Becken, um dann mit den einfachsten Mitteln
Schönheit und Struktur zu produzieren. Big Joanie mögen The Jesus & Mary
Chain, und die wiederum haben sich die Spielweise von der
Velvet-Underground-Schlagzeugerin Moe Tucker abgeschaut.
Big Joanies 2018 erschienenes Debütalbum „Sistahs“ wurde als Postpunk
gelabelt. Das ist inzwischen ein weiter Begriff geworden, der alles
bezeichnet, was musikalisch über die Sex Pistols hinausgeht und vom
Selbstverständnis her weiter an Punk anschließt. An der Musik von Big
Joanie lässt sich sehr gut hören, wie das Wort ursprünglich einmal gemeint
war. The Pop Group und Public Image Ltd. haben es vorgemacht: Postpunk
bedeutet, ein eigenes musikalisches System zu bauen, das dann von anderen
erweitert werden kann.
Und Big Joanie können das auch, mit anderen Referenzen im Gepäck. Man muss
sein Instrument nicht virtuos beherrschen, um lebendige und Genregrenzen
neu überschreitende Musik zu machen.
## Radiohits und Klangexperimente
Im System von Big Joanie haben auch R’n’B und ein Cover von Solanges
„Cranes in the Sky“ Platz. Die Band selbst beschreibt ihre Musik als
Mischung aus dem Radiohits der Ronettes und den Klangexperimenten der
Raincoats. Es kommen Popmelodien, Spaß am kontrollierten Experiment,
Riot-Grrrl-Ästhetik [1][und DIY-Gestus] so passgenau zusammen wie seit Le
Tigre nicht mehr.
Auf dem neuen Album „Back Home“ kommen Synthies und Loops zum Sound des
Debüts dazu, der Spirit aber ist derselbe. „In My Arms“ zum Beispiel, einem
Song, der erst im Refrain mit Trio-Gesang die Konfetti regnen und die
Discokugel drehen lässt und trotz allem so klingt, als sei er aus einem
Londoner Kellerproberaum geborgen worden. Derartiges findet man auf „Back
Home“ zuhauf – das Synthiepop-Stück „Sainted“ zum Beispiel oder die
euphorischen, ozeanischen Gitarren von „Happier Still“.
Gegründet haben sich Big Joanie erklärtermaßen als Schwarze feministische
Punkband mit den Zielen, die männlich und weiß dominierte Londoner Szene
diverser werden zu lassen und an die Schwarzen Musiker:innen in der
Punkgeschichte zu erinnern. Und das waren gar nicht so wenige, von Pure
Hell und Death über die Bad Brains und Living Colour bis zum kürzlich
verstorbenen Dead-Kennendys-Drummer D. H. Peligro. Aktuell sind etwa
Pleasure Venom, Meet Me @ The Altar und Darksmith dabei, Blackness als
Zeichen gegen eine weiße Dominanz sichtbar zu machen.
„Alles muss man so machen, dass jeder, der es sieht, ausrufen kann, das
kann ich auch“, hat Klaus Theweleit einst geschrieben, und genau diese
Haltung verleiht dem Repräsentationsgedanken hier seine Kraft: Wenn Big
Joanie das können, kannst du das auch.
## Sanft verpeilt
Damit wären wir bei [2][Sleater-Kinney], die auf dem eigenen Label ein
Tribute-Album zu ihrem 1997 erschienenem Album „Dig Me Out“ veröffentlicht
haben. Big Joanie covern „Things You Say“, Soul im Breitwandformat, nur
eben mit spartanischen Mitteln fabriziert. Etwa die Hälfte der
Interpretationen sind gelungen. Besonders schön ist Courtney Barnetts sanft
verpeilte Version von „Words and Guitar“ und Margo Price, die „Turn It On…
über einem Banjo-Loop neu arrangiert hat. Und, Low haben „Dance Song ’97“
zu melancholischen Shoegaze verlangsamt.
„Abgesehen davon, dass sie feministisch sind, hatten Sleater-Kinney auch
großen Einfluss, wenn es darum ging, Wirkung zu entwickeln“, haben Big
Joanie über ihre Vorbilder erzählt. Wirkung heißt hier: Nach „Dig Me Out“
haben sich viele Frauen zum ersten Mal auf eine Bühne gestellt, trotz
männlicher Überzahl.
„Back Home“ schließt hier an. Ein Album, das Schwarzen Frauen, die
[3][Punk] und Postpunk hören, zeigen will, dass ihnen diese Szene
offensteht. Eine ergiebigere Definition von Postpunk: Alles muss man so
machen, dass sich Räume für Menschen und Ideen öffnen, die bislang kaum
oder gar nicht präsent waren.
22 Dec 2022
## LINKS
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## AUTOREN
Benjamin Moldenhauer
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