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# taz.de -- Razzia gegen Reichsbürger: Irre und trotzdem gefährlich
> Dass die Sicherheitskräfte massiv gegen Reichsbürger vorgegangen sind,
> ist richtig und ein wichtiges Signal. Der Druck muss dennoch stärker
> werden.
Bild: Überstellung der verdächtigen Reichsbürger zum Bundesgerichtshof nach …
Es war im April, als im kleinen Boxberg in Baden-Württemberg die Polizei
bei einem Reichsbürger zur Waffenkontrolle anrückte. Der 54-Jährige
eröffnete sofort das Feuer, schoss dutzende Male auf die Beamten und
verletzte zwei von ihnen. Als er schließlich überwältigt wurde, erklärte
er, die Polizisten würden „auf der falschen Seite kämpfen“ und sollten
„endlich aufwachen“. In seinem Haus fanden sich haufenweise Waffen,
Munition, Reichsflaggen.
Es ist eine Meldung, die kaum für Aufsehen sorgte. Angesichts der Tatsache,
dass es leicht Tote hätte geben können, ist das bemerkenswert und
symptomatisch. Diese Woche kam es erneut zu [1][Reichsbürgerfestnahmen] –
diesmal mit großer Aufmerksamkeit. Die Polizei rückte bundesweit mit 3.000
Beamten aus und nahm 25 Leute fest. Frühere Soldaten waren darunter, ein
Polizist, eine ehemalige [2][Bundestagsabgeordnete der AfD].
[3][Planung eines Umsturzes], lautet der Vorwurf. Es war die größte
Terrorrazzia seit Jahrzehnten. Und es hätte niemanden überraschen dürfen.
Die Reichsbürgerszene kennzeichnet von jeher große Gewaltbereitschaft. Es
hat nur keiner hingeschaut. Zu verlockend ist es, das Milieu als spinnert
abzutun. Menschen, die an den Fortbestand des Deutschen Reichs glauben, an
eine BRD, die nur eine GmbH ist, die sich eigene Ausweise drucken und
Ordnungsämter nerven.
Doch daneben wähnte sich die Szene in einem Gewalt rechtfertigenden
Widerstand, hortete Waffen, drohte schon vor zehn Jahren mit
„Erschießungskommandos“ und warf Brandsätze auf den Bundestag.
Verfassungsschutz und Sicherheitsbehörden schauten dennoch lange zu – bis
ein Reichsbürger 2016 im bayrischen Georgensgmünd einen Polizisten
erschoss. Die Coronaproteste wirkten vier Jahre später wie ein Booster für
die Reichsbürgerszene.
## Denkbar unheilvolle Melange
Hier fand sie Gehör und ein neues Publikum, das wie sie den Staat ablehnt.
Auf 21.000 Reichsbürger:innen schätzen Sicherheitsbehörden inzwischen
die Szene. Ein Zehntel davon gilt als gewaltorientiert – keine kleine Zahl.
Im Fall der jetzt Festgenommenen kommen nun noch AfD-Anhänger:innen dazu
und radikalisierte frühere Sicherheitsbedienstete, auf deren
Gefährlichkeit die taz bereits seit Jahren hinweist. Eine denkbar
unheilvolle Melange.
Dennoch drängt auch jetzt wieder die Spinnerei in den Vordergrund. Ein
71-jähriger Adels-Nachfahre als Terroranführer, ein bundesweiter
Systemsturz – irre. Zugegeben. Und trotzdem gefährlich. Das beweisen die
Waffenfunde. Und die verhafteten Sicherheitsbediensteten, die offenbar zu
allem entschlossen waren. Es braucht keinen Umsturz, sondern nur wenige
Schüsse, um großes Unheil anzurichten.
Deshalb ist richtig, dass die Sicherheitsbehörden massiv auftraten und
damit ein Stoppsignal senden. Und wie hohl wirkt es, dass die Politik
zuletzt tagelang über einen möglichen [4][Terror der „Klimakleber“] redete
– währenddessen Reichsbürger Waffen für einen Bundestagssturm beschaffen.
Bei der jetzigen Großrazzia darf es jedoch nicht bleiben. Denn auch die
Sicherheitsbehörden ließen es an anderer Stelle zuletzt an Klarheit
vermissen.
Bis heute ordnen sie weite Teile der Reichsbürgerszene nicht als
rechtsextrem ein, auch den Coronaprotest nicht. Von gut 55.000 politischen
Straftaten im Jahr 2021, eine Vielzahl davon aus dem „Querdenken“-Spektrum,
waren für sie 21.000 ideologisch „nicht zuzuordnen“ – inklusive des Mord…
eines Coronaleugners in Idar-Oberstein, der zuvor in Chats beklagte, dass
Gaskammern „aus der Mode gekommen“ seien. Das ist nicht nachvollziehbar.
Gut, wenn [5][Innenministerin Nancy Faeser] jetzt eine Verschärfung des
Waffen- und Disziplinarrechts verspricht. Nur: Das hatte sie bereits vor
Monaten getan. Und die Behörden entzogen Reichsbürgern zwar in den
vergangenen sechs Jahren gut 1.000 waffenrechtliche Genehmigungen, doch
noch immer dürfen 500 von ihnen Waffen besitzen. Viel zu viele.
Der Druck auf die Szene muss schärfer werden. Erinnert sei daran, dass es
bereits im Frühjahr einen „großen Schlag“ gegen Rechtsextreme gab. Auch
damals rückten hunderte Beamte aus und durchsuchten die Räume von 50
Beschuldigten, von Combat18 bis zur Schlägerbande Knockout51. Letztere
trainierte in der Thüringer NPD-Zentrale in Eisenach. Nach den Razzien lief
dort jedoch der Betrieb ungestört weiter, jüngst mit einer Reihe
Rechtsrockkonzerten.
Diese Selbstsicherheit der Szene ist fatal und gefährlich und sie muss auch
den Reichsbürgern genommen werden. Denn die Gefahr zeigt sich eben nicht
nur bei der Putschtruppe, sondern auch in Boxberg und anderswo. Und sie ist
weiterhin viel zu groß.
10 Dec 2022
## LINKS
[1] /Razzia-bei-Reichsbuergern/!5901865
[2] /Umsturz-Verdaechtige-Malsack-Winkemann/!5901879
[3] /Razzia-gegen-Reichsbuerger/!5901832
[4] /Ex-RAFler-ueber-Letzte-Generation/!5891843
[5] /Umsturz-Plaene-von-Reichsbuergern/!5897099
## AUTOREN
Konrad Litschko
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