# taz.de -- Übergangsregierung für Sudan: Nur ein Deal der Eliten? | |
> Sudans Demokratiebewegung, die gegen die Generäle demonstrierte, sieht | |
> das neue Abkommen mit dem Militär skeptisch. Andere hoffen nun auf | |
> Stabilität. | |
Bild: Khartum am 3. Dezember: Protest gegen das Rahmenabkommen für Sudan vor d… | |
BERLIN taz | Das neue Abkommen zwischen Sudans Oppositionskoalition | |
[1][„Kräfte für Freiheit und Wandel“ (FFC)] und dem herrschenden Militär | |
ist nicht das erste, das eine Machtteilung zwischen Militär und | |
Zivilist:innen in Sudan einzurichten versucht. 2019, nach dem Sturz des | |
[2][damaligen Diktators Omar al-Bashir] durch das Militär nach | |
Massenprotesten, wurde ein erstes solches Abkommen geschlossen. | |
2021 putschte das Militär erneut, kurz bevor es die Macht vollständig an | |
eine Zivilregierung hätte abgeben sollen, und stellte den 2019 berufenen | |
zivilen Premierminister Abdallah Hamdok unter Hausarrest. Wenig später gab | |
es eine neue Übereinkunft zwischen Hamdok und dem Militär, doch die | |
Ablehnung seitens der Protestbewegung auf der Straße war so stark, dass | |
Hamdok nach kurzer Zeit zurücktrat. | |
Seitdem hat sich die Lage in Sudan dramatisch verschlechtert: Seit über | |
einem Jahr gibt es keine Regierung. Die rasende Inflation hat viele | |
Menschen in Hunger und Armut gestürzt. Ethnisch-politische | |
Auseinandersetzungen in vielen Landesteilen forderten Hunderte Tote und | |
Tausende Geflüchtete. | |
Es fällt daher vielen Menschen schwer zu glauben, dass mit dem dritten | |
Abkommen diesmal alles anders wird. Im August hatte die | |
Oppositionskoalition FFC noch erklärt, Verhandlungen mit dem Militär | |
abzulehnen und sich mit den zivilen Widerstandskomitees, die regelmäßig | |
Demonstrationen in Sudans Hauptstadt Khartum und anderen Städten gegen die | |
Militärherrschaft organisieren, in Verbindung zu setzen. Nun änderten sie | |
ihre Position rasch. Die neue Einigung mit dem Militär entstand, ohne die | |
Zivilbevölkerung miteinzubeziehen oder Verhandlungsprozesse transparent zu | |
machen. | |
[3][Politikanalytikerin Kholood Khair] nennt das Abkommen daher „einen | |
weiteren Deal der Eliten“. Die jungen Menschen, die noch immer wöchentlich | |
auf die Straße gehen, fühlen sich betrogen. Noch immer erfahren sie täglich | |
Gewalt und Repression durch die Sicherheitskräfte. Insgesamt hat die Zahl | |
der Toten bei den Protesten zwar etwas abgenommen, die Brutalität der | |
Sicherheitskräfte jedoch nicht. Es kommt zu Verhaftungen, Festgenommene | |
werden geschlagen und gefoltert, Protestierende mit Geländewagen | |
überfahren. | |
Berichten von Ärzt:innen zufolge wird das Wasser der Wasserwerfer mit | |
Bakterien verseucht, die Durchfallerkrankungen auslösen. Die | |
Tränengaswerfer schießen auch Glassplitter und Nägel. Am 25. November erlag | |
der Demonstrant Mohamed Nader einer Kopfverletzung durch einen Stein, der | |
aus einem Gewehr abgefeuert wurde und ihm den Schädel durchbohrte. In | |
Anbetracht solcher Grausamkeiten fühlen die Protestierenden ihren Kampf um | |
Freiheit von der Politik verraten. Sie sind am Tag der Unterzeichnung | |
wieder auf die Straße gegangen. | |
Insgesamt folgen die lokalen Graswurzelorganisationen, die seit 2019 den | |
Widerstand gegen die Militärherrschaft in Sudan organisieren, nach wie vor | |
dem Slogan der „drei Neins“: keine Verhandlungen, keine Partnerschaft, | |
keine Legitimierung des Putschregimes. Sie folgen weiterhin ihrem | |
„Revolutionsplan“ mit regelmäßigen Demonstrationen. Ein Mitglied der | |
Komitees erklärt: „Die Politiker der FFC reden die ganze Zeit davon, dass | |
wir uns gegen das Militär vereinigen sollen. Aber wenn wir unsere Meinung | |
sagen, sagen sie, dass wir keine Ahnung haben, zu jung sind und Politik | |
nicht verstehen.“ | |
Viele junge Menschen haben das Gefühl, nicht gehört zu werden und nicht | |
ernst genommen zu werden. Dieses Gefühl ist nicht ganz unberechtigt. | |
Mitglieder der FFC beschreiben die Komitees häufig als „Wachhunde“, deren | |
Aufgabe es sei, politische Prozesse zu beobachten und Widerspruch durch | |
Straßenproteste auszudrücken. Von den politischen Verhandlungen sind sie | |
jedoch ausgeschlossen. | |
Im Oktober veröffentlichten die Komitees eine neue Charta, in der sie ihre | |
politischen Forderungen darlegten: Aufbau eines demokratischen Staates, | |
Gerechtigkeit für die Familien der Getöteten, Verantwortungsübernahme durch | |
den Sicherheitsapparat und damit keine Immunität für die Täter. Sie fordern | |
außerdem eine reine Zivilregierung, keine Machtteilung mit dem Militär. | |
Diese Haltung wird von Politiker:innen der FFC als „radikal“ | |
bezeichnet, als träumerische Forderung, die in der Realität nicht umgesetzt | |
werden kann. Auch sie sprechen von Gerechtigkeit, lassen aber offen, wie | |
diese aussehen soll, wenn die Gewalttäter erneut mit in der Regierung | |
sitzen. | |
Die Revolutionär:innen halten das Abkommen für ein „soft landing“ und | |
für nicht revolutionär. Fürsprecher:innen des Abkommens erhoffen sich | |
mehr Stabilität, Sicherheit und einen Ausweg aus der ökonomischen Krise. | |
„Ich muss meine Familie ernähren“, sagt ein Unternehmer aus Khartum. „Se… | |
einem Jahr sind wir ohne Regierung. Irgendwann muss das Leben auch | |
weitergehen.“ Eine junge Frau aus den Widerstandskomitees erklärt ihre | |
Zerrissenheit: „Manchmal denke ich, das Abkommen ist gut, damit das | |
Blutvergießen endlich aufhört. Aber gleichzeitig weiß ich, dass es dann | |
niemals Gerechtigkeit für das Blut unserer Märtyrer geben wird.“ | |
Die sogenannte internationale Gemeinschaft – auch Deutschland – drängte zu | |
dem Abkommen. Die politische UN-Sudan-Mission Unitams und ihr [4][deutscher | |
Leiter Volker Perthes] stehen deswegen bei vielen in der Kritik. „Dem | |
Westen ist es egal, was mit uns passiert. Der Sudan wird bloß ein weiterer | |
gescheiterter afrikanischer Staat. Hauptsache, die haben Stabilität für | |
ihre Geschäfte“, sagt ein Aktivist. | |
Während manche das Abkommen als Chance sehen, resignieren andere. „Dieses | |
Abkommen ist nicht für uns, für die Protestierenden, die seit Jahren Arbeit | |
und Zeit in den friedlichen Widerstand gesteckt haben. Es ist für die mit | |
Einfluss, aber nicht für uns, die diese Revolution gemacht haben“, sagt ein | |
junger Mann, der seit 2018 im Widerstand aktiv ist. Er ist verzweifelt: | |
„Was also sollen wir tun? Dann müssen wir uns also auch Waffen besorgen? | |
Dann hat friedlicher Widerstand nicht funktioniert.“ | |
Fakt ist, dass dieses Abkommen vom Wohlwollen des Militärs abhängt, wie | |
bereits 2019. Es gibt keine Garantie, dass das Militär nicht wieder | |
putschen würde, sobald es sich bedroht fühlt. Und die Befehlshaber | |
vergangener Morde, Massaker und Genozide in Sudan sind Teil dieses | |
Abkommens, was ihnen politische Immunität gewährt. Ein Militär, das nicht | |
nur den Staat, sondern auch weite Teile der Wirtschaft kontrolliert, ist | |
nicht so leicht zu rehabilitieren. | |
Es ist anzunehmen, dass das Abkommen zunächst tatsächlich Stabilität | |
schafft. Internationale Gelder können wieder fließen und es gibt Hoffnung | |
auf Wirtschaftsaufbau. Auch das Gesundheits-, Bildungs- und interne | |
Sicherheitssystem, die für ein Jahr komplett vernachlässigt wurden, könnten | |
wieder aufgebaut werden. Doch ob es tatsächlich zu freien Wahlen kommt, | |
bleibt ungewiss. Und die Hauptforderungen der Revolution, „Freiheit, | |
Frieden und Gerechtigkeit“, bleiben vorerst unerfüllt. | |
5 Dec 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Nach-Protesten-im-Sudan/!5866124 | |
[2] /Sudans-Ex-Diktator-Omar-al-Baschir/!5788399 | |
[3] https://twitter.com/KholoodKhair?ref_src=twsrc%5Egoogle%7Ctwcamp%5Eserp%7Ct… | |
[4] https://www.swp-berlin.org/wissenschaftler-in/volker-perthes | |
## AUTOREN | |
Saskia Jaschek | |
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