# taz.de -- Konflikt im Sudan: Neue Zerreißprobe | |
> Sudans Demokratiebewegung fürchtet, dass die Militärregierung Gewalt | |
> provoziert. Konflikte im Bundesstaat Blue Nile weiten sich aus. | |
Bild: Demokratieprotest in Sudans Hauptstadt Khartum am Sonntag im Zeichen der … | |
Berlin taz | Die Konfrontation zwischen [1][ziviler Demokratiebewegung] und | |
Militärherrschern in Sudan ist dabei, sich um eine beunruhigende Dimension | |
zu erweitern: ein ethnischer Konflikt, der den Anfängen des | |
Darfur-Bürgerkriegs ähnelt. Brennpunkt ist der Bundesstaat Blue Nile an der | |
äthiopischen Grenze im Südosten des Landes, wo Gewaltakte zwischen den | |
Volksgruppen der Haussa und Berta in der vergangenen Woche mindestens 105 | |
Tote und Hunderte Verletzte forderten. | |
Wie sudanesische Medien berichten, entzündete sich der Konflikt an der | |
Forderung von Haussa-Politikern, dass ihre selbst gegründete | |
Verwaltungsstruktur vom Staat anerkannt wird und Gebiete unter bisheriger | |
Berta-Kontrolle übernehmen darf. Lokale Verwaltungsstrukturen sind im | |
ländlichen Sudan wichtig, weil sie Landnutzungsrechte zuweisen und damit | |
entscheiden, wer wo rechtmäßig seinem Lebensunterhalt nachgehen darf. | |
Sudans Haussa sind ein historisches Kuriosum. Es handelt sich um die | |
Nachkommen von Migranten aus dem heutigen Nigeria, die bei der britischen | |
Eroberung Ende des 19. Jahrhunderts Richtung Osten flüchteten, entlang | |
alter Karawanen- und Pilgerrouten durch die Wüste, und sich schließlich | |
[2][am Nil] niederließen. Im unabhängigen Sudan sind viele Haussa zu Macht | |
und Einfluss in Wirtschaft und Militär aufgestiegen. Aber sie haben nicht | |
den Status einer autochthonen Volksgruppe, die einen traditionellen | |
Anspruch auf eigene Territorien geltend machen könnte. | |
Im Bundesstaat Blue Nile, einem der wichtigsten Haussa-Siedlungsgebiete, | |
gibt es eine besondere Konstellation. Die Südsudan-Befreiungsbewegung SPLA | |
(Sudanesische Volksbefreiungsarmee) war auch in dieser an Südsudan | |
angrenzenden Region aktiv, ihr „Nordflügel“ SPLM-N (Sudanesische | |
Volksbefreiungsbewegung/Nord) kämpfte nach Südsudans Unabhängigkeit 2011 | |
weiter. | |
Als Sudans zivil-militärische Übergangsregierung, die auf den [3][Sturz des | |
Langzeitdiktators Omar Hassan al-Bashir] 2019 folgte, im Oktober 2020 | |
Frieden mit den Rebellenbewegungen des Landes schloss, wurde Blue Nile eine | |
autonome Region, die SPLM-N stellt mit Oberstleutnant Ahmed al-Omda Badi | |
den Regionalgouverneur. | |
## Flucht über den Nil | |
Daraufhin gründeten Haussa, die im Bürgerkrieg von Blue Nile eher Sudans | |
Militär nahestanden, ihr eigenes „Emirat“. Die Provinzregierung erklärte, | |
solche eigenmächtigen Gründungen seien in der laufenden Übergangsphase | |
Sudans nicht gestattet. Die Haussa-Aktivisten, so die SPLM-N in einer | |
Erklärung, stellten daraufhin „rassistische“ Forderungen wie „die | |
Ausweisung einer ethnischen Gruppe, ihre Ausbürgerung und die Beschlagnahme | |
ihres Landes. […] Dies lehnte die Regionalregierung ab.“ | |
Am 10. Juli gerieten bewaffnete Haussa und Berta in einem Distrikt von Blue | |
Nile aneinander. Fünf Tage später, als erste Tote und Verletzte bestätigt | |
waren, verhängte Gouverneur Al-Omda ein allgemeines Versammlungsverbot. | |
Daraufhin eskalierte die Gewalt: in der Stadt al-Roseires, die am Nil | |
direkt gegenüber der Provinzhauptstadt al-Damasin liegt, gingen öffentliche | |
Gebäude in Flammen auf, zahlreiche Menschen flohen über den Fluss. 17.000 | |
Vertriebene sind mittlerweile in al-Damasin in Schulen untergebracht. | |
Am Montag kündigte Al-Omda an, „mit eiserner Hand gegen diejenigen, die zu | |
Hass aufstacheln“, vorzugehen. Da hatte sich der Protest aber bereits | |
ausgeweitet. In mehreren Provinzhauptstädten Sudans zündeten radikale | |
Haussa Gebäude an, eine Fernstraße aus der Hauptstadt Khartum Richtung | |
Osten wurde von Demonstranten gesperrt. Am Dienstag gingen in Khartum | |
Tausende Haussa auf die Straße unter dem Motto „Die Haussa sind auch | |
Bürger“. | |
[4][Sudans jugendliche Protestbewegung], die seit dem jüngsten | |
Militärputsch im Oktober 2021 unermüdlich in Khartum für Demokratie | |
demonstriert und seitdem mittlerweile 114 Tote zu beklagen hat, wittert | |
hinter dem neuen Konflikt ein Machtspiel des herrschenden Militärs nach dem | |
alten Muster, Ethnien gegeneinander aufzuhetzen und aus der daraus | |
resultierenden Gewalt Legitimation für ihren Machtverbleib zu ziehen. | |
## Demonstranten fordern Sturz des Militärs | |
Die Gewalt in Blue Nile begann wenige Tage, nachdem Sudans Militärherrscher | |
General Abdelfattah al-Burhan, unter starkem internationalem Druck, einen | |
neuen Plan zum Übergang zur zivilen Herrschaft vorgelegt hatte, den die | |
Demokratiebewegung als ungenügend ablehnte. | |
„Nein zum Rassismus, nein zum Tribalismus“ riefen Demokratiedemonstranten | |
in Khartum am vergangenen Sonntag. In einer gemeinsamen Erklärung werfen | |
die beiden Dachverbände der Protestbewegung, die „Forces for Freedom and | |
Change“ und die „Widerstandskomitees“, Sudans Generälen vor, die Gewalt … | |
Blue Nile angeheizt zu haben. Der einzige Weg, die Unsicherheit im Sudan zu | |
beenden, sei der Sturz des Militärs, schrieben sie und sprachen von | |
„tribalen Fassaden, die künstlich geschaffen werden, um Konflikte | |
hervorzurufen“. | |
21 Jul 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Demonstrationen-im-Sudan/!5865223 | |
[2] /Blauer-Nil-in-Sudan/!5762230 | |
[3] /Umsturz-im-Sudan/!5584874 | |
[4] /Protestbewegung-im-Sudan/!5835001 | |
## AUTOREN | |
Dominic Johnson | |
## TAGS | |
Militär | |
Protest | |
Sudan | |
Sudan | |
Sudan | |
Protest | |
Protest | |
Militär | |
Schwerpunkt taz folgt dem Wasser | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Übergangsregierung für Sudan: Nur ein Deal der Eliten? | |
Sudans Demokratiebewegung, die gegen die Generäle demonstrierte, sieht das | |
neue Abkommen mit dem Militär skeptisch. Andere hoffen nun auf Stabilität. | |
Übergangsregierung für Sudan: Militär unterschreibt Machtverzicht | |
Ein Abkommen soll die tiefe politische Krise im Sudan beenden. Die | |
Machtteilung zwischen Militär und Zivilpolitikern soll wiederbelebt werden. | |
Konflikt im Sudan: Mindestens 220 Tote | |
Die tatsächliche Todeszahl könnte noch weit höher liegen. Die Zusammenstöße | |
zwischen zwei Volksgruppen entzündeten sich an einem Streit um Land. | |
Diplomat Perthes über Militärputsch: „Sudan steht am Abgrund“ | |
Der deutsche Diplomat Volker Perthes ist UN-Beauftragter für Sudan. Er | |
berichtet, wie schwierig das Militär den Übergang zur Demokratie macht. | |
Protestbewegung im Sudan: Die todesmutigen Frauen von Khartum | |
Sudans Protestbewegung macht weiter, trotz Erschießungen und | |
Vergewaltigungen. Eine neue „furchtlose Generation“ sagt der Diktatur den | |
Kampf an. | |
Blauer Nil in Sudan: „Mal Segen, mal Teufel“ | |
Der Nil ist Lebensgrundlage für Sudans Bauern. Doch der GERD-Staudamm in | |
Äthiopien könnte seine zerstörerische Kraft verstärken. |