# taz.de -- Protestbewegung im Sudan: Die todesmutigen Frauen von Khartum | |
> Sudans Protestbewegung macht weiter, trotz Erschießungen und | |
> Vergewaltigungen. Eine neue „furchtlose Generation“ sagt der Diktatur den | |
> Kampf an. | |
Bild: Protest gegen die Militärdiktatur in Sudans Hauptstadt Khartum in der ve… | |
KHARTUM taz | Selbstbewusst öffnet Sagda El-Mubarak das Tor ihres Hauses in | |
Omdurman. Sie bittet in den Innenhof und geht voraus, bekleidet in Jeans | |
und schwarzer Bluse, das weiß-rosafarben geblümte Kopftuch locker über | |
Haare und Schulter geschwungen. Sie ist Anfang zwanzig, Medizinstudentin im | |
zweiten Jahr, und Sprecherin ihres lokalen „Widerstandskomitees“, wie sie | |
in Sudan seit Monaten die Massenproteste gegen das Militär organisieren. | |
„Ich bin tatsächlich stolz darauf, dass ich in meinem Viertel Kariri von | |
den anderen Mitgliedern als Sprecherin gewählt wurde“, sagt sie. Die | |
meisten Demonstrantinnen und Demonstranten sind in ihrem Alter. Kurz | |
umreißt Sagda die Forderung der Widerstandskomitees, die es inzwischen an | |
fast allen Orten des Landes gibt. „Keine Verhandlungen, keine Kooperation | |
mit den und keine Legitimität für die Militärs. Das Militär muss aus dem | |
gesamten politischen Prozess entfernt werden, bis die Zivilisten die Macht | |
völlig übernehmen und eine Verfassung geschrieben werden kann.“ | |
Dann bereitet sie sich auf die heutige Demonstration vor und malt ein paar | |
Plakate, bevor sie sich auf den Weg zum Treffpunkt macht, der bis in die | |
letzten Minuten nicht genau bekannt gegeben wird. Dort hüllt sie sich in | |
eine sudanesische Flagge und zieht mit Tausenden anderen zum | |
Parlamentsgebäude, wo sie mit Tränengas empfangen wird. | |
Ein Demonstrant wird an diesem Tag in Omdurman erschossen. „Jeden Tag, wenn | |
wir demonstrieren, habe ich Angst, dass wieder jemand erschossen wird, ganz | |
besonders, dass es jemanden erwischt, der mir nahesteht“, sagt sie am | |
nächsten Morgen am Telefon. Nicht unbegründet: Über 80 Menschen haben Armee | |
oder Milizen bisher [1][bei den Protesten getötet]. | |
## „15 Bewaffnete stürmten das Haus, um mich abzuholen“ | |
Auch Amira Osman ist in einem Widerstandskomitee aktiv. Die 42-Jährige ist | |
eine der bekanntesten Frauenrechtlerinnen Sudans. Unter Diktator [2][Omar | |
al-Bashir], der vor drei Jahren gestürzt wurde, wurde sie zweimal | |
festgenommen: 2013, weil sie sich geweigert hatte, ein Kopftuch zu tragen; | |
zehn Jahre zuvor für das Tragen von Hosen. | |
Langsam kommt Amira in den Empfangssalon ihres Hauses im Riyad-Viertel in | |
Khartum. Seit einem Unfall vor fünf Jahren geht sie auf Krücken. Vorsichtig | |
lässt sie sich in einem Sessel nieder und erzählt. Am 22. Januar wurde sie | |
wieder verhaftet. | |
„Ich war gerade aufgewacht und auf der Toilette, als 15 bewaffnete Männer | |
ins Haus stürmten, um mich abzuholen“, erinnert sie sich. Die Häscher | |
hämmerten gegen die Toilettentür. „Es war, als holten sie eine Terroristin | |
ab und nicht eine gehbehinderte Frau“, blickt Amira zurück. | |
Die maskierten Männer waren von der Nationalen Staatssicherheit, berüchtigt | |
zu Bashirs Zeiten, weil sie Oppositionelle verschwinden ließen. Nach | |
Bashirs Sturz wurde diese Agentur offiziell aufgelöst. Doch seit dem | |
Militärputsch im Oktober ist sie wieder da. | |
## Jedes Vertrauen in die Militärs verloren | |
Amira verschwand für eine Woche an einem unbekannten Ort, dann tauchte sie | |
im Frauengefängnis von Omdurman auf. Aufgrund internationalen Drucks wurde | |
sie Anfang Februar freigelassen. | |
Sie wirkt nach diesem Erlebnis wenig eingeschüchtert. „Die Regierung ist so | |
schwach wie nie. Militärchef [3][Burhan] hat am 25. Oktober geputscht. | |
Jetzt haben wir Februar, und er hat es mit all seinen Methoden von Mord, | |
Vergewaltigung und Einschüchterungen nicht geschafft, die | |
Widerstandsbewegung gegen den Putsch zum Schweigen zu bringen“, sagt sie. | |
Auch sie betont die besondere Rolle der Frauen und fügt hinzu: „Je mehr sie | |
gegen uns Frauen vorgehen, umso stärker werden wir.“ | |
Mit den Militärs zusammen ein weiteres Übergangsabkommen zu schließen, wie | |
es der deutsche UN-Gesandte für Sudan, Volker Perthes, möchte, ist für sie | |
kein gangbarer Weg mehr. „Die Militärs stecken mit ihrem Putsch in der | |
Sackgasse und versuchen, erneut einige Zivilisten in ihre Herrschaft | |
einzubinden“, analysiert sie. „Aber die Widerstandskomitees haben jegliches | |
Vertrauen in die Zusammenarbeit mit den Militärs verloren. Das Militär soll | |
sich einzig und allein auf seinen eigentlichen Job konzentrieren, die | |
Landesverteidigung“, sagt sie kompromisslos. | |
Wie Amira nachts von der Staatssicherheit abgeholt zu werden, ist nicht das | |
einzige Risiko für die sudanesischen Frauen. Die Sicherheitskräfte greifen | |
auch auf ein Mittel zurück, für das sie spätestens seit dem Krieg in Darfur | |
berüchtigt sind: Vergewaltigung. Nach einem großen landesweiten Protesttag | |
am 19. Dezember mehrten sich Meldungen von sexuellen Angriffen auf | |
Demonstrantinnen, meist auf dem Weg nach Hause. | |
## Die junge Generation bricht mit der Angst | |
Die UN-Menschenrechtsorganisation forderte damals eine Untersuchung, | |
nachdem 13 solche Meldungen eingegangen waren. „Die Dunkelziffer ist | |
wesentlich höher, da sich viele Frauen vor ihren Familien schämen“, sagt | |
Suleima Ishaq, eine Psychotherapeutin, die eine Organisation leitet, die | |
sich dieser Frauen annimmt. Allein bei ihr haben sich acht Frauen gemeldet. | |
„Das waren keine individuellen Aktionen, das war systematisch“, ist sie | |
sich sicher. Es gehe darum, Frauen davon abzuschrecken, an den Protesten | |
teilzunehmen. Die Opfer fühlten sich weiterhin unsicher. „Vielen, die ich | |
behandle, geht es nach einer Weile etwas besser, aber dann hören sie | |
beispielsweise, dass einer ihrer Freunde bei einer Demonstration erschossen | |
wurde, und alles fängt wieder von vorne an“, erläutert sie. | |
Aber diese Politik der Einschüchterung funktioniert offensichtlich nicht. | |
Der Beweis sind die zahlreichen Frauen, die jede Woche weiter an den | |
landesweiten Demonstrationen teilnehmen. Suleima spricht von der | |
„[4][furchtlosen Generation]“. Diese junge Generation breche mit der Regel | |
der Angst, etwa der Angst davor, was ihre Familien dazu sagen. | |
„Wenn bei einer Demonstration auf sie geschossen wird, laufen sie nicht | |
mehr davon, wie der Instinkt rät. Sie bewegen sich von der Mitte der Straße | |
weg und marschieren entlang der Häuserwände weiter“, beschreibt Suleima. | |
Und: „Der Aufstand gegen das Militär ist oft auch einer gegen die Familien. | |
Die jungen Frauen wollen niemanden mehr akzeptieren, der ihnen vorschreibt, | |
wie sie zu leben haben.“ | |
## Sit El-Nafur wurde genau 22, als sie erschossen wurde | |
Manchmal ist der Preis zu hoch. Zeinab El-Sadiq zögert bei einem Anruf | |
zunächst und lädt dann doch in ihr bescheidenes Haus in einem Außenbezirk | |
im Norden Khartums. Ihre Tochter Sit El-Nafur ging am 17. November | |
vormittags zu einer Demonstration. Bei Sonnenuntergang kamen ein paar junge | |
Männer und wollten die Mutter sprechen. „Deine Tochter ist tot, | |
erschossen“, sagten sie, erinnert sich Zeinab El-Sadiq auf dem Metallbett, | |
auf dem sie die Nächte verbringt, wenn es drinnen zu heiß ist. | |
Nach dem Abendgebet hätten die Männer die Leiche gebracht. „Ich habe | |
geschrien, bin auf die Knie gegangen und habe geweint, als ich sie sah.“ | |
Zeinab deutet auf ihr Gesicht und bildet dann mit Zeigefinger und Daumen | |
ein Loch. „So groß war das Einschussloch mitten in ihrem Gesicht.“ | |
Sie holt ein Foto ihrer Tochter. Die junge Frau stützt mit einer Hand ihren | |
Kopf ab und blickt nach oben zur Seite. Daneben legt Zeinab das | |
Krankenschwestern-Abschlusszeugnis ihrer Tochter. „Sie war überall beliebt, | |
nicht nur in dem Krankenhaus, in dem sie gearbeitet hat. Sie hat bei | |
Demonstrationen Menschen versorgt, die zu viel Tränengas abbekommen hatten | |
oder leicht verletzt waren“, erzählt ihre Mutter. „Hoffentlich brennt den | |
Militärs, die Sit El-Nafur auf dem Gewissen haben, eines Tages das Herz | |
genauso wie meines heute“, wünscht sie sich. Dann fließen ihr die Tränen | |
über das Gesicht. | |
Im Internet existiert ein Tiktok-Video vom Geburtstag ihrer Tochter. Sit | |
El-Nafur lacht fröhlich in die Kamera mit einem Stück Geburtstagstorte. | |
Darüber ist traditionelle sudanesische Musik gelegt. „Die Freude wurde | |
getötet – am Tag vor dem Himmel. Woher kamst du – und wohin bist du | |
gegangen?“, heißt es im Text. Das Video stammt vom 17. November, ihrem | |
Geburtstag. Am selben Tag wurde sie getötet. Sie wurde genau 22 Jahre alt. | |
28 Feb 2022 | |
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## AUTOREN | |
Karim El-Gawhary | |
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