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# taz.de -- Rücktritt im Sudan: Militär lässt die Maske fallen
> Der faktisch machtlose zivile Premierminister tritt ab und warnt vor
> einer „Katastrophe“, die Sudans „Überleben bedroht“. Nun regiert das
> Militär allein.
Bild: Protest gegen die Militärregierung Ende Dezember 2021 in Khartum
In Sudan hat das Militär jetzt wieder die alleinige Macht. Der zivile
Übergangspremier Abdalla Hamdok, der in den vergangenen Wochen nichts mehr
gegen die herrschenden Generäle um Übergangspräsident Abdel Fattah
al-Burhan zu melden hatte, erklärte am Sonntagabend seinen Rücktritt. „Ich
habe mein Bestes versucht, das Land davon abzuhalten, in die Katastrophe
abzugleiten“, sagte der 66-Jährige in einer dramatischen Fernsehansprache.
Doch sei es aufgrund der „Zersplitterung der politischen Kräfte“ und der
Konflikte zwischen den militärischen und zivilen Teilen der
Übergangsregierung nicht gelungen, einen politischen „Konsens“ zu finden.
Nun habe der Sudan einen „gefährlichen Wendepunkt überschritten, der sein
Überleben bedroht“.
Als er im August 2019 Premierminister Sudans geworden war, verkörperte der
frisch aus dem Exil zurückgekehrte Ökonom [1][Hamdok noch Hoffnungen auf
eine Demokratisierung]. Wenige Monate nach dem Sturz des Langzeitdiktators
Omar Hassan al-Bashir im April 2019 im Rahmen eines Volksaufstands hatten
Sudans Generäle sich mit der Demokratiebewegung auf den Straßen auf eine
39-monatige Übergangszeit unter gemeinsamer Führung bis hin zu freien
Wahlen geeinigt.
Ein „Souveränitätsrat“ unter Leitung von General Burhan fungierte als
kollektives Staatsoberhaupt, eine Übergangsregierung unter dem zivilen
Premier Hamdok sollte die Wahlen vorbereiten und das Land reformieren.
Internationale Finanzhilfen flossen, ehemalige Rebellengruppen schlossen
sich der Regierung an.
## Zunehmende Gewalt gegen Proteste
Doch die Demokratiebewegung auf den Straßen blieb immer misstrauisch und
hielt ihre Mobilisierung aufrecht. Sie hielt ihre Revolution für
unvollendet – zu Recht: Als die Übergangsregierung die ökonomischen
Privilegien der Generäle der Bashir-Ära sowie ihre Straffreiheit antasten
wollte, schlug die alte Garde zurück.
Am 25. Oktober 2021 setzte Burhan die Regierung ab und nahm Hamdok fest.
Internationale Sanktionen und Massenproteste ließen ihn vier Wochen später
zurückrudern: Hamdok wurde wieder in sein Amt eingesetzt. Aber er durfte
fortan nichts gegen den Willen des Militärs unternehmen und es gelang ihm
nicht, eine neue Regierung zu bilden.
[2][Die Protestbewegung] kritisierte Hamdok seitdem als Verräter, der durch
seine Rückkehr in ein entmachtetes Amt dem Putsch vom 25. Oktober einen
zivilen Anstrich geben solle. Sie machte nun für eine rein zivile Regierung
mobil. Seit einigen Wochen kommt es in immer kürzeren Abständen zu
Massenprotesten in Sudans Hauptstadt Khartum und anderen Städten, auf
welche Armee und paramilitärische Milizen immer gewaltsamer antworten, mit
Tötungen, brutalen Übergriffen, Vergewaltigungen und Verschwindenlassen.
Dass Hamdok als Premierminister nichts mehr zu sagen hatte, wurde
spätestens am 27. Dezember klar, als General Burhan in einer Reihe von
Dekreten weitreichende Vollmachten für Polizei und Geheimdienste einführte.
Die Sicherheitsorgane dürfen nun ohne richterlichen Beschluss, Begründung
oder Einschränkung Überwachungsmaßnahmen, Hausdurchsuchungen und Festnahmen
vornehmen und genießen für alle Handlungen Immunität, wie bereits die
Armee. Damit kehrte Sudan faktisch zur Terrorherrschaft der Bashir-Ära
zurück.
## Keine Nachfolge in Sicht
Berichten zufolge wurden seitdem zahlreiche Häuser von Demokratieaktivisten
gestürmt, Kommunikation per Internet oder Mobiltelefon ist praktisch
unmöglich geworden und die gezielte Gewalt gegen Demonstrierende hat noch
einmal deutlich zugenommen. Die letzten Proteste am Sonntag, dem 2. Januar,
endeten mit zwei weiteren Toten – ein Demonstrant wurde erschossen, einem
anderen mit dem Gewehrkolben der Schädel eingeschlagen, meldete der
sudanesische Ärzteverband.
Die Gesamtzahl der bestätigten Toten bei Demonstrationen seit dem 25.
Oktober liegt damit bei 57. Dazu kommen mehrere Hundert Tote in Sudans
Westregion Darfur.
Wie es nach Hamdoks Rücktritt politisch mit Sudan weitergeht und ob die
geltenden Vereinbarungen zum Übergang zur Demokratie überhaupt noch gültig
sind, blieb am Montag zunächst unklar. Für eine neue Regierung unter den
derzeitigen Umständen dürfte kurzfristig niemand zur Verfügung stehen;
Politiker, die sowohl von der Demokratiebewegung als auch vom Militär
anerkannt werden, sind nicht in Sicht.
In Khartum riegelten Soldaten am Montag in Erwartung neuer Proteste erneut
die Nilbrücken ab, die Khartum mit seiner Schwesterstadt Omdurman am
anderen Flussufer verbinden. Sie waren zuletzt immer wieder ein Brennpunkt
von Gewalt geworden. Volker Perthes, UN-Sonderbeauftragter für Sudan,
forderte in einer Erklärung einen „bedeutungsvollen und inklusiven Dialog“
zwischen den politischen Kräften des Landes. Ähnlich äußerten sich
zahlreiche Regierungen, etwa in Deutschland und den USA.
3 Jan 2022
## LINKS
[1] /Tote-und-Verletzte-in-Khartum/!5655572
[2] /Viele-Tote-bei-Gewalt-im-Sudan/!5600056
## AUTOREN
Dominic Johnson
## TAGS
Sudan
Militärdiktatur
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Protest
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