# taz.de -- Viele Tote bei Gewalt im Sudan: „Überall wird geschossen“ | |
> Sudans Protestbewegung gibt nicht klein bei. Auf die Gewalt des Militärs | |
> folgen neue Proteste. „Die Wut ist unendlich groß“, sagt ein Filmemacher. | |
Bild: Brennende Barrikaden in Khartum, Montag 3. Juni | |
NAIROBI taz | Sudans Militärherrscher haben genug von dem Volksaufstand und | |
versuchen die Demonstranten in Khartum mit brutaler Gewalt | |
auseinanderzujagen und nach Hause zu schicken. Gestern Morgen, als es stark | |
regnete, umzingelten Truppen den Platz vor dem Armeehauptquartier in der | |
Hauptstadt Khartum, wo seit zwei Monaten ein friedliches Sit-in | |
stattfindet. | |
Kämpfer der RSF-Miliz (Rapid Support Forces), ein Teil der Streitkräfte, | |
feuerten zuerst Tränengaspatronen und schossen dann scharf. Eine genaue | |
Zahl der Opfer lag am Nachmittag noch nicht vor. Die Angaben reichten von | |
acht bis 24 Toten, dazu Dutzende Verletzte. | |
Die Gewalt gegen unbewaffnete Demonstranten sollte die Massenproteste | |
beenden, hatte jedoch den gegenteiligen Effekt. Sudanesen verließen | |
massenhaft ihre Häuser und Arbeitsplätze und versuchten, auf den Platz zu | |
kommen. Als die RSF sie daran hinderte, errichteten sie Barrikaden in den | |
Straßen von Khartum. | |
Auch in der Stadt Omdurman auf dem gegenüberliegenden Nilufer von Khartum | |
gingen Tausende auf die Straße und blockierten Straßen mit brennenden | |
Autoreifen und Steinen. Die Opposition rief die Bevölkerung über die | |
sozialen Medien zu einer „Aktion des totalen zivilen Ungehorsams“ auf. | |
„Es ist Chaos. Überall wird geschossen. Ich habe meiner Frau und meinen | |
Kindern gesagt, sie sollen sich einschließen im Haus. Aber ich muss mit | |
meinen Brüdern und Schwestern den Militärs zeigen, das sie uns nicht | |
vertreiben können“, sagt Geschäftsmann Mohamed al-Munzir am Telefon bei | |
einer der Brücken, die Khartum mit Omdurman verbinden. Aktivisten | |
versuchten, sie zu blockieren. | |
Kämpfer der RSF, berüchtigt für unzählige Morde und Vergewaltigungen im | |
Krieg in der westlichen Darfur-Region, verfolgten Verwundete bis in die | |
Krankenhäuser hinein. Aus dem East Nile Hospital wurde berichtet, das | |
Milizkämpfer ins Krankenhaus eindrangen und schossen. | |
Die RSF unter Führung von Mohamed Hamdan Daglo, bekannt unter seinem | |
Spitznamen Hametti, hatte früher noch die Demonstranten gegen die Truppen | |
des am 11. April abgesetzten Militärdiktators Omar al-Bashir geschützt. | |
Aber Hametti wurde ungeduldig, als Verhandlungen zwischen dem seit Bashirs | |
Sturz herrschenden Militärrat und der zivilen Opposition über eine | |
Übergangsregierung keine Einigung brachten. | |
Die Militärs haben viel zu verlieren. Unter Bashir bekamen sie viel Geld, | |
waren eng verknüpft mit der Wirtschaft des Landes und konnten ungestört | |
machen, was sie wollten. So auch Hametti, der in seiner Heimatregion Darfur | |
der eigentliche Herrscher war und viel Geld mit dem Goldbergbau verdiente. | |
Warum gerade gestern die Aktion gegen die Demonstranten begann, kann zwei | |
Gründe haben. An diesem Dienstag ist Eid al-Fitr, das Ende des Fastenmonats | |
Ramadan. Dann kann wieder tagsüber gegessen und getrunken werden und die | |
Demonstranten hätten dann wieder viel Energie, um ihren Volksaufstand | |
weiterzuführen. | |
Auch fühlt die Armeeführung sich gestärkt nach Besuchen in Saudi-Arabien, | |
den Vereinigten Arabischen Emiraten und Ägypten. | |
Der Militärrat erklärte am Montag einige Stunden nach Beginn der Aktion | |
gegen die Demonstranten, dass er nicht den Platz – der da allerdings schon | |
völlig verlassen war – freimachen wolle, sondern nur kriminelle Elemente | |
verhaften wollte. Der Rat versprach auch, die Verhandlungen mit der | |
Opposition über eine Übergangsregierung so schnell wie möglich wieder | |
aufzunehmen. | |
## „Es wird niemals wieder so wie früher“ | |
Der sudanesische Dokumentarfilmer Alsanosi Adam ist fest davon überzeugt, | |
dass Sudan früher oder später eine Zivilregierung bekommen wird. „Der Geist | |
ist aus der Flasche. Es wird niemals wieder so werden wie in den letzten | |
dreißig Jahren unter der Bashir-Diktatur. Die Soldaten mögen Waffen haben, | |
aber die Wut über die Militärdiktatur ist unendlich groß und wird uns den | |
Sieg bringen“, sagte er der taz in Nairobi kurz vor seiner geplanten | |
Rückkehr nach Khartum. | |
Er glaubt nicht, dass der sudanesische Volksaufstand verblutet wie in | |
anderen arabischen und nordafrikanischen Ländern. Er argumentiert, dass | |
Sudan eine sehr diverse Bevölkerung hat, die aber jetzt vereint sei in der | |
Abneigung gegen alles, was Militär ist. | |
Die Armee sei genauso divers, aber gespalten über die Zukunft des Landes | |
und über die Macht innerhalb der Streitkräfte. „Vieles deutet darauf hin, | |
das Hametti Bashirs Platz einnehmen will. Aber Offiziere innerhalb der | |
regulären Armee wollen das nicht. Der Zwiespalt in der Armee wird auf Dauer | |
den Militärrat zerstören.“ | |
Adam erwartet wenig Hilfe für die Opposition vom Westen, obwohl Europa und | |
Amerika auf eine Zivilregierung drängen. „Wie sie sich verhalten, hängt ab | |
von Geopolitik und Wirtschaftsbeziehungen. Es ist ihnen egal, was mit den | |
Sudanesen geschieht. Wir müssen unseren eigenen Kampf kämpfen.“ | |
3 Jun 2019 | |
## AUTOREN | |
Ilona Eveleens | |
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