| # taz.de -- Sudan nach der Revolution: Mit Geduld in die Freiheit | |
| > Der Diktator ist gestürzt, Frauen legen ihr Kopftuch ab, Hunderttausende | |
| > demonstrieren friedlich. Was kommt nach der Revolution? | |
| Bild: Demonstranten ruhen sich während eines Protests aus. Das Victory-Zeichen… | |
| Omdurman/Khartum taz | Der Geruch von frischen Brötchen begrüßt die Kunden | |
| schon draußen, vor der kleinen Bäckerei in Omdurman. Weiße weiche Brötchen | |
| sind ein fester Bestandteil jeder sudanesischen Mahlzeit. Auf anderen | |
| Regalen befinden sich Tabletts mit übersüßem Mini-Gebäck. Der Asphalt vor | |
| dem Geschäft ist geschwärzt. „Im Dezember verbrannten Demonstranten hier | |
| Autoreifen, um gegen die gestiegenen Brotpreise zu protestieren“, erklärt | |
| Verkäufer Salih Hago. | |
| Die Verdreifachung der Brotpreise war damals das Startsignal für den | |
| Volksaufstand, der 4 Monate später Sudans Präsidenten Omar al-Bashir nach | |
| fast 30 Jahren an der Macht stürzte. Die Bäckerei lieferte in den | |
| vergangenen Monaten zwar Brot zum alten Preis, jedoch etwa 30 Gramm | |
| weniger. „Die Leute waren wütend, ließen ihren Ärger jedoch nicht an uns | |
| aus. Sie wussten, dass wir nichts dagegen tun konnten und dass dies auf die | |
| Misswirtschaft von Bashir zurückzuführen ist“, sagt der junge | |
| Brötchenverkäufer. | |
| Omdurman ist die Zwillingsstadt von Sudans Hauptstadt Khartum, eine | |
| Arbeiterstadt auf dem gegenüberliegenden Ufer des Nils. Nach dem Beginn des | |
| landesweiten Aufstandes gegen die Diktatur im Dezember 2018 gab es hier | |
| schon früh Großdemonstrationen. Wenn Sicherheitskräfte eintrafen, um in den | |
| kühlen Abendstunden auf die Demonstranten einzuschlagen, schalteten die | |
| Bewohner der Häuser ihre Lichter aus, sodass die Demonstranten in der | |
| Dunkelheit weglaufen oder sich verstecken konnten. | |
| In der Nähe der Bäckerei wartet eine Gruppe Kunden auf den Treppen der | |
| „Bank of Khartoum“, bis der Geldautomat wieder gefüllt ist. Geldmangel war | |
| ein weiterer Motor der Proteste – das klamme Regime plünderte zuletzt | |
| regelrecht die Banken, um sich über Wasser zu halten. Im Dezember konnte | |
| man nur noch 300 sudanesische Pfund auf einmal abheben, das sind etwa sechs | |
| Euro. | |
| ## Erst verlor Sudan seine Ölfelder | |
| „Die ganze Zeit habe ich mein Gehalt auf mein Bankkonto erhalten“, erzählt | |
| Fernsehtechniker Haitham Yassin vor der Bank. „Meine Frau und ich | |
| wechselten uns täglich ab, um Schlange zu stehen und an Geld zu kommen. Das | |
| dauerte oft Stunden.“ Jetzt gibt es wieder mehr Bargeld, die Obergrenze | |
| wurde auf 1.000 Pfund angehoben. Warum, das ist ein Rätsel. Es wird | |
| gescherzt, dass es aus den Geldkoffern stammt, die nach dessen Verhaftung | |
| in Expräsident Bashirs Haus gefunden wurden. | |
| Der Protest breitete sich von Omdurman über den Nil nach Khartum aus. Die | |
| private „Garden City University“ schloss die Türen, auch viele andere | |
| Lehranstalten öffneten nicht mehr, weil die Studenten ständig | |
| demonstrierten. Einige Professoren sind trotzdem da. Ökonom Akram Mohamed | |
| entschuldigt sich für die dicke Staubschicht auf dem Boden, den Stühlen und | |
| Tischen. „Die Reinigungskräfte konnten nicht hinein, und viele von ihnen | |
| sind auch mit Protestieren beschäftigt.“ | |
| Sudans Wirtschaftskrise führte zu Bashirs Sturz, sagt Mohamed. Erst verlor | |
| Sudan seine Ölfelder, als Südsudan 2011 unabhängig wurde. Dadurch kam „zu | |
| wenig Geld rein, um die riesige Korruption der Machthaber zu finanzieren“. | |
| Staatsbetriebe wurden privatisiert, von der Machtelite selbst gekauft und | |
| dann gerupft, bis sie schließen mussten. „Es gab zum Beispiel eine | |
| staatliche Schiffsfrachtgesellschaft mit 16 Schiffen. Jetzt hat das | |
| Unternehmen gar keine Schiffe mehr.“ | |
| In Khartums Stadtzentrum ist die Krise allgegenwärtig. Es gibt enorm viele | |
| Reisebüros, aber kaum Kunden, die sie besuchen. Die Angestellten schlafen | |
| an ihren Schreibtischen. Zwischen zwei solcher Reisebüros liegt Papa Costa, | |
| ein kleines, etwas heruntergekommenes Restaurant. Die Polizei kennt den | |
| Ort, weil viele junge Demonstranten sich gerne im schattigen Garten | |
| aufhalten. | |
| ## Unerhört: rauchende Frauen | |
| An den Tischen sitzen junge Frauen, die Zigaretten rauchen und ihr Kopftuch | |
| abgesetzt haben. Unerhört: Nach dem Gesetz dürfen Frauen in Sudan nicht | |
| rauchen und sicherlich nicht in der Öffentlichkeit. „Das hier ist Freiheit. | |
| Ich wage es noch nicht, auf der Straße zu rauchen, aber dies ist ein | |
| Versteck, in dem wir wir selbst sein können“, sagt eine. Man sieht, dass | |
| sie eine Rauchanfängerin ist. | |
| Plötzlich kommt ein Mann herein: Hassan Ahmed Hassan, ein 26-jähriger | |
| Ingenieur. Er schaut verdattert um sich. Nach einiger Zeit sagt er | |
| zuversichtlich: „Das hier wird bald ein Ende haben. Die islamische Bewegung | |
| starb nicht mit dem Abzug von Bashir. Wir werden wieder an die Macht | |
| kommen.“ | |
| Mit „wir“ meint er die Islamisten. Hassan ist Mitglied der Muslimbrüder, | |
| sein verstorbener Vater habe Zeit mit Osama bin Laden in Afghanistan | |
| verbracht. Über sich selbst sagt er: „Ich bin ein Terrorist, und meine | |
| Waffe ist der Koran, der Angst erzeugt in Menschen.“ | |
| Aus einer nahen Moschee ertönt der Ruf zum Gebet. Hassan geht in eine Ecke | |
| des Restaurants, wo einige Teppiche zum Beten auf dem Boden liegen. Als er | |
| an den Tisch zurückkehrt, erklärt er, dass Bashir die islamistische | |
| Revolution verraten habe. 1989 kam Omar al-Bashir per Putsch an die Macht, | |
| unterstützt vom islamistischen Ideologen Hassan al-Turabi, ein Freund von | |
| Bin Laden. | |
| ## „Jetzt nehmen Studenten Drogen“ | |
| Aber später brach Bashir mit Turabi, um sich dem Westen anzubiedern. | |
| „Nachdem Turabi unter Hausarrest gestellt wurde, ging alles schief“, lautet | |
| Hassans Version dieser Entwicklung. „Der Koran wurde viel weniger beachtet | |
| in der Gesellschaft. Unter Turabi war Koranunterricht Pflicht. Schüler und | |
| Studenten lernten auch, wie man mit Waffen hantiert. Das alles verschwand, | |
| und jetzt nehmen Studenten Drogen, haben Sex vor der Ehe und folgen der | |
| westlichen Kultur.“ | |
| Hassan ist sich sicher: Die Islamisten werden sich zusammenschließen und | |
| den Volksaufstand beenden. Aber wie wollen sie das machen? Vor Kurzem | |
| versuchten sie, eine eigene Demonstration in Khartum zu organisieren. | |
| Einige Hundert von ihnen kamen. Junge Unterstützer der Opposition griffen | |
| sie an. Dutzende Islamisten wurden verletzt, die Armee musste eingreifen | |
| und sie in einem Armeetransporter evakuieren. | |
| Viele bejubelten diesen Vorfall, aber die Organisatoren des Volksaufstandes | |
| sehen es als Warnsignal, die Islamisten nicht zu unterschätzen, sie nicht | |
| frühzeitig abzuschreiben. | |
| Zentral für diesen Protest ist der Kampf für Frauenrechte. „Bashir benutzte | |
| den Islam, um Frauen zu unterdrücken. Sein Motto lautete: Wenn man Frauen | |
| unter Kontrolle hat, kontrolliert man die Gesellschaft“, erklärt die | |
| 40-jährige Ameera Osman, die zum Organisationsteam der Proteste gehört. Die | |
| IT-Unternehmerin ist seit 2002 viele Male verhaftet worden, weil sie in der | |
| Öffentlichkeit Hosen trug und sich weigerte, ein Kopftuch anzulegen. | |
| ## Ein Sieg des Mutes | |
| Ihre Rebellion kostete sie auch ihre Ehe. Jetzt ist sie so oft wie möglich | |
| am Platz vor dem Armeehauptquartier – seit einem schweren Unfall vor einem | |
| Jahr kann sie nur mit kleinen Schritten gehen. Sie sagt: „Jetzt wissen die | |
| Islamisten auch mal, welche Schmerzen wir erlitten.“ | |
| Der Triumph der Aufständischen war auch ein Sieg des Mutes. Die | |
| Demonstranten zogen ab dem 6. April vor das riesige Militärhauptquartier in | |
| Khartum, die Schaltzentrale der Macht. Es hätte ein Massaker geben können. | |
| Stattdessen setzte Sudans Armee nach fünf Tagen Omar al-Bashir ab. Die | |
| Demonstranten indes sind immer noch da. Sie wollen ihre Revolution | |
| vollenden: Nicht nur Bashir soll weg, sondern die ganze Militärherrschaft. | |
| Der Weg zum Protestplatz ist einfach zu finden, ab dem Nachmittag gehen | |
| Tausende Menschen dorthin, man muss ihnen nur folgen. Ist man angekommen, | |
| erscheint der Platz vor dem riesigen Hauptquartier fast unwirklich groß, er | |
| macht diesen Protest so einzigartig. Aus den Tausenden vor allem jungen | |
| Menschen, die auch tagsüber ausharren, werden, wenn die Sonne untergegangen | |
| ist und die Temperaturen erträglicher sind, Hunderttausende. Anderswo | |
| würden Demonstranten vielleicht zu den vielen lose herumliegenden | |
| Pflastersteinen greifen. Hier bleiben sie unberührt liegen. | |
| Alles ist präzise organisiert. Es gibt reichlich kostenlose Wasserstellen, | |
| medizinische Hilfsposten und Suppenküchen. In einem Zelt können Frauen | |
| sexuelle Belästigungen melden. Menschen aus Darfur, der westlichen Region, | |
| in der Bashir ab 2003 blutig gegen die Zivilbevölkerung vorging (weswegen | |
| er vom Internationalen Strafgerichtshof mit Haftbefehl wegen Völkermordes | |
| gesucht wird), sind prominent vertreten. Eine Fotoausstellung zeigt in | |
| einer langen Reihe die [1][getöteten Zivilisten aus Darfur]. | |
| „Ich möchte, dass Bashir hier vor Gericht gestellt wird“, sagt Ahmed Musa | |
| Zakaria, ein IT-Student aus Darfur. „Ich möchte hören, was er zu den | |
| Beweisen zu sagen hat.“ Jemand hat ihm Sudans Flagge auf die Wangen | |
| geschminkt. | |
| Obwohl er dankbar ist, dass die Soldaten auf Bitte der Demonstranten Bashir | |
| gestürzt haben, will er kein Militär in einer zukünftigen Regierung. „Sie | |
| alle haben Blut an ihren Händen. Wir Zivilisten sind imstande, Sudan zu | |
| führen. Ich werde mich jeder militärischen Einmischung widersetzen. Auch | |
| wenn ich das mit dem Leben bezahlen muss.“ | |
| Dann verschwindet er in der friedlichen Menschenmasse. | |
| 3 May 2019 | |
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| ## AUTOREN | |
| Ilona Eveleens | |
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