# taz.de -- Revolution im Sudan: Noch lange nicht am Ziel | |
> Nach wochenlangem Protest hat sich die Opposition mit dem Militär auf | |
> eine zivile Übergangsregierung geeinigt. Ob damit nun ein echter Wandel | |
> bevorsteht, ist aber offen. | |
Bild: Die Protestbewegung kann Erfolge feiern, aber am Ziel ist sie noch nicht | |
KAIRO/KHARTUM ap/epd | Die [1][Protestbewegung hat geschafft], was weder | |
Kriege noch Sanktionen schafften: Nach fast 30 Jahren als sudanesischer | |
Präsident wurde Omar al-Baschir am 11. April gestürzt. Diese Woche konnten | |
die Demonstranten einen weiteren Erfolg erzielen. Drei hochrangige | |
Mitglieder der Streitkräfte, die als Vertraute des Ex-Machthabers galten, | |
haben sich aus dem regierenden Militärrat zurückgezogen. Außerdem haben | |
sich Vertreter der Opposition und Militär auf die Bildung eines gemeinsamen | |
Übergangsrates geeinigt. Wer dem Rat angehören soll, ist allerdings noch | |
umstritten, ebenso wie die Machtverteilung und das Schicksal des | |
abgesetzten Langzeitherrschers Omar al-Baschir. | |
Die zentrale Kraft hinter den Protesten ist das vor drei Jahren gegründete | |
Gewerkschaftsbündnis SPA. Im Dezember, als das afrikanische Land mit | |
steigenden Preisen und Versorgungsengpässen zu kämpfen hatte, plante die | |
SPA zur Durchsetzung von höheren Löhnen einen Marsch nach Khartum. Als | |
unabhängig davon dann auch im nördlich der Hauptstadt gelegenen Atbara | |
Menschen auf die Straßen gingen, fühlten sich die Organisatoren bestärkt. | |
Mit Slogans, die teilweise an den Arabischen Frühling von 2011 anknüpften, | |
forderten die Demonstranten nun gleich den Rücktritt der Regierung. Dank | |
des dezentralen Aufbaus der SPA gingen die Proteste auch nach der Festnahme | |
von mehreren Anführern weiter. Junge Menschen verabredeten sich über | |
soziale Netzwerke und dokumentierten mit moderner Technik Übergriffe von | |
Soldaten. Am 6. April starteten sie einen Sitzstreik vor dem Hauptquartier | |
der Streitkräfte. Fünf Tage später übernahmen die Generäle die Macht. | |
Al-Baschir sitzt seitdem in einem Gefängnis. | |
Doch bei aller Entschlossenheit steht die Bewegung vor großen | |
Herausforderungen. Denn die SPA konnte mit einer „Deklaration für Freiheit | |
und Wandel“ zwar große Teile der Zivilgesellschaft des Landes mobilisieren | |
– bis auf Weiteres kämpfen verschiedene Gruppen gemeinsam für einen | |
Machtwechsel, für eine neue Verfassung, für freie Wahlen und für ein Ende | |
der Diskriminierung von Frauen. Aber im Grunde ist die Opposition alles | |
andere als einheitlich. | |
## Der SPA droht Widerstand | |
Mit echter Demokratie hat das Land ohnehin kaum Erfahrung. Die Geschichte | |
des Sudans ist seit der Unabhängigkeit im Jahr 1956 vor allem von | |
gewaltsamer Unterdrückung geprägt. Die längste Zeit waren Militärdiktatoren | |
an der Macht. „Das sudanesische Volk hat kein Vertrauen in politische | |
Parteien, denn diese Parteien sind stets Kompromisse mit dem Regime | |
eingegangen, um sich Sitze im Parlament oder im Kabinett zu sichern“, sagt | |
der 25-jährige Demonstrant Mohammed al-Nil. | |
Gerade die Tatsache, dass sie von den Eliten in Khartum weitgehend | |
unabhängig ist, hat die SPA zu einem glaubwürdigen Sprachrohr der | |
Protestbewegung gemacht. Ob sie auch in den kommenden Monaten noch eine so | |
zentrale Rolle einnehmen wird, bleibt aber abzuwarten. Der Militärrat hat | |
betont, dass er mit allen politischen Kräften verhandeln werde. Die SPA | |
könnte sich daher genötigt sehen, sich mit den bestehenden Parteien zu | |
arrangieren. | |
Womöglich könnte sogar die Nationale Kongresspartei von Al-Baschir in die | |
Gespräche über die Zukunft des Landes eingebunden werden. In diesem Fall | |
wäre es gut möglich, dass die Strukturen des Systems weitgehend intakt | |
blieben. Ein absehbarer Streitpunkt wäre dann die von Al-Baschir | |
eingeführte islamisch-fundamentalistische Ausrichtung des Staates. „Das ist | |
ein heikles Thema, denn im Sudan gibt es viele verschiedene Haltungen, von | |
ganz links bis ganz rechts“, sagt Al-Nil. | |
Selbst wenn das Umfeld von Al-Baschir tatsächlich entmachtet werden sollte, | |
droht der SPA also Widerstand – und zwar aus den Reihen der bisherigen | |
Opposition, mit der sie sich im Rahmen der Proteste zusammengetan hat. „Die | |
SPA genießt das Vertrauen des sudanesischen Volkes, aber sie ist nur eine | |
von fünf Gruppen, die diese Koalition gebildet haben“, sagt Ibrahim | |
al-Scheich Abdel Rahman von der Kongresspartei. „Wir sehen die SPA nicht | |
als Anführer der Revolution.“ Es gebe „keine Demokratie ohne politische | |
Parteien“, sagt Ismail Adam, führendes Mitglied der traditionsreichen | |
Umma-Partei. | |
## Waffenstillstand bis 31. Juli | |
Eine große Frage ist zudem, wie die weit von Khartum entfernten Provinzen | |
auf einen Umbruch reagieren. In einigen Regionen toben seit Jahrzehnten | |
Kämpfe zwischen der von Muslimen dominierten Zentralregierung und | |
ethnischen oder religiösen Minderheiten. Der überwiegend christliche | |
Südsudan ist seit 2011 ein unabhängiger Staat. | |
Einen Aufstand im westlich gelegenen Darfur ließ Al-Baschir ab 2003 von | |
sogenannten Dschandschawid-Milizen brutal unterdrücken. Wegen der dabei | |
begangenen Kriegsverbrechen wurde er vom Internationalen Strafgerichtshof | |
in Den Haag angeklagt – es war das bisher einzige Mal, dass der Gerichtshof | |
Haftbefehl gegen einen amtierenden Staatschef erließ. | |
Weitere bewaffnete Konflikte gibt es seit 2011 in den südlichen | |
Bundesstaaten Blauer Nil und Südkordofan. Die dortigen Rebellen haben | |
angesichts der Ereignisse in der Hauptstadt allerdings gerade einen | |
Waffenstillstand verkündet. Es wird erwartet, dass dieser bis zum 31. Juli | |
gilt. | |
In der „Deklaration für Freiheit und Wandel“ wird dazu aufgerufen, die | |
„Bürgerkriege“ im Land durch eine Auseinandersetzung mit den „grundlegen… | |
Ursachen“ zu beenden – und Abkommen zu schließen, die „fair, gerecht und | |
umfassend“ sind. Sollten die Verhältnisse in der Hauptstadt aber nicht bald | |
geklärt sein, könnte gerade dies in manchen Regionen die Rufe nach mehr | |
Autonomie oder gar nach Unabhängigkeit wieder lauter werden lassen. | |
29 Apr 2019 | |
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