| # taz.de -- Blauer Nil in Sudan: „Mal Segen, mal Teufel“ | |
| > Der Nil ist Lebensgrundlage für Sudans Bauern. Doch der GERD-Staudamm in | |
| > Äthiopien könnte seine zerstörerische Kraft verstärken. | |
| Bild: Der Blaue Nil ist für den Ort Elbagair Segen und Fluch zugleich | |
| Wie eine Riesenschlange windet sich der Blaue Nil kraftvoll durch die | |
| sandige Landschaft, die mit niedrigen grünen Büschen übersät ist. Weiße | |
| Wellenspitzen rasen auf der starken Strömung. „Der Blaue Nil bringt | |
| manchmal Segen und manchmal ist er der Teufel selbst“, fasst Dia Eldien | |
| seine Gefühle über den Fluss zusammen, der in der Nähe seiner Felder | |
| fließt. | |
| Eigentlich ist der sudanesische Bauer dem Blauen Nil, der im fruchtbaren | |
| Hochland des Nachbarlandes Äthiopien entspringt, dankbar. Mit dem | |
| Flusswasser, hochgepumpt mit einer alten und lautstarken Maschine, | |
| bewässert Dia Eldien seine Felder; der Schlamm, den der Strom mitbringt, | |
| macht seine Böden fruchtbar. Aber jetzt hat der Fluss Tod und Zerstörung | |
| gebracht. „Letztes Jahr hat der Blaue Nil alles weggespült, was ich gesät | |
| und gepflanzt hatte. Es waren die [1][schlimmsten Überschwemmungen] seit | |
| 1946“, sagt Dia Eldien. Im ganzen Sudan kamen mindestens einhundert | |
| Menschen ums Leben, rund 90.000 verloren ihre Häuser. | |
| Neben seinen Feldern befindet sich eine Ziegelei, wo Eldien Ziegelsteine | |
| brennt. Als der Fluss überlief, kamen auch die Steine unter Wasser. Zu | |
| seinem Glück waren die meisten schon gebrannt – der Rest wurde wieder zu | |
| Schlamm. | |
| Eldien lebt im Dorf Elbagair, wo die Überschwemmungen besonders große | |
| Verwüstungen angerichtet haben. An beinahe jeder Straße ist mindestens ein | |
| Gebäude eingestürzt. Die Ruinen ziehen noch heute eine groteske Spur quer | |
| durch die Ortschaft. Das Bett von Aljadid Althowya steht oben auf den | |
| Trümmern, die einmal sein Haus waren, und bietet eine Aussicht auf die | |
| Umgebung. Sein Kühlschrank steht verbeult im Schatten eines Baumes. „Ich | |
| schlafe hier, um zu verhindern, dass die Sachen gestohlen werden. Meine | |
| Familie habe ich anderswo untergebracht“, erzählt er mit traurigem Gesicht. | |
| „Ich sage mir täglich, dass ich meine Hoffnung nicht verlieren darf. Es war | |
| Allahs Wille, dass der Blaue Nil alles überflutete, und er wird mir auch | |
| helfen, wieder ein Zuhause zu bauen.“ | |
| Mohammed Abdulaziz, ein 17-jähriger Schüler, erzählt, wie er, seine fünf | |
| Geschwister und die Eltern vom schnell steigenden Wasser überrascht wurden. | |
| Nur ein einziger Raum ihres Hauses blieb übrig. „Ich habe alle meine | |
| persönlichen Sachen verloren. Mein Computer, meine Playstation und sogar | |
| meine Kleidung“, erzählt er zwischen den Trümmern. Mit anderen sucht er | |
| nach Steinen, um das Haus irgendwann wieder aufzubauen. „Aber es wird nie | |
| mehr so sein wie früher. Ich bin wütend auf dieses Monster, den Blauen | |
| Nil.“ | |
| Die Überschwemmungen waren die Folge von außergewöhnlich starken | |
| Regenfällen im Hochland von Äthiopien. „Vielleicht kann dieser [2][große | |
| Staudamm in Äthiopien] den unberechenbaren Blauen Nil besser regulieren“, | |
| hofft der Bauer Eldien und läuft in seinem weißen Gewand über seinen Acker. | |
| Etwa 30 Kilometer hinter der nahen Grenze zu Äthiopien entsteht der | |
| [3][Grand Ethiopian Renaissance Dam (GERD)]. Das gigantische Bauwerk ist so | |
| gut wie fertig, im vergangenen Jahr begann Äthiopien erstmals, den | |
| dazugehörigen Stausee zu füllen. Er soll einmal das größte Wasserkraftwerk | |
| Afrikas antreiben, mit etwa 6,45 Gigawatt Stromkapazität – genug für | |
| Äthiopiens 110 Millionen Einwohner und für den Export in Nachbarländer. | |
| „Schade, dass wir den fruchtbaren Schlamm dann nicht mehr bekommen. Das ist | |
| der Preis, den wir möglicherweise zahlen müssen“, stellt Eldien fest. Yosif | |
| Ibrahim, der Nachbarbauer, macht sich hingegen große Sorgen. „Wenn der | |
| Stausee dort voll ist und der Damm zerbricht, werden nicht nur unsere | |
| Ernten weggespült, sondern auch wir Menschen.“ Er findet, dass Sudans | |
| Regierung die Bevölkerung zu wenig aufklärt über das, was der Damm für die | |
| Bauern bedeutet. Ungefähr 80 Prozent der 44 Millionen Sudanesen sind in der | |
| Landwirtschaft tätig – aber die wird von der Regierung seit Jahrzehnten | |
| vernachlässigt. Die meiste Feldarbeit geschieht mit der Hand. | |
| Der Sudan hat ein tropisches, aber trockenes Klima. Die Sommertemperaturen | |
| liegen häufig über 40 Grad, Niederschlag ist vernachlässigbar gering. | |
| Bauern sind vor allem von Flüssen wie dem Blauen Nil abhängig. Der vereint | |
| sich in der Hauptstadt Khartum mit dem viel längeren, aber weniger Wasser | |
| führenden Weißen Nil, der [4][im Victoriasee Tausende Kilometer weiter | |
| südlich entspringt] und durch Uganda und den Südsudan nach Norden fließt. | |
| Sobald die beiden Flüsse zusammenkommen, wird der Strom einfach Nil genannt | |
| und setzt seinen Weg nach Ägypten bis ins Mittelmeer fort. | |
| In Ägypten und im Sudan ist die Landwirtschaft weitgehend vom Wasser des | |
| Nils abhängig. [5][Ägypten lehnt das gigantische Stauwerk] in Äthiopien | |
| noch deutlicher ab als der Sudan, weil die dortige Regierung befürchtet, | |
| dass es weit weniger Wasser bekommen wird, während der Stausee in Äthiopien | |
| über die Jahre vollläuft. | |
| Die Nutzungsrechte des Nilwassers sind in Verträgen aus dem Jahr 1929 | |
| festgelegt, also zu britischen Kolonialzeiten: Darin werden 48 Milliarden | |
| Kubikmeter für Ägypten bestimmt, vier Milliarden für Sudan. Dreißig Jahre | |
| später wurde der Vertrag geändert – Ägypten erhielt 55 Milliarden und der | |
| Sudan 18 Milliarden Kubikmeter. Äthiopien kommt in keinem der Verträge vor | |
| – obwohl 80 Prozent des Wassers vom Blauen Nil stammt, also von dort. | |
| Deshalb ist die äthiopische Regierung davon überzeugt, sie habe ein Recht, | |
| das Wasser zu nutzen. Ägypten sieht das anders. | |
| Seit vor zehn Jahren die Bauarbeiten am Stauwerk GERD begannen, ist es | |
| nicht gelungen, eine neue Nil-Vereinbarung zu treffen. Stattdessen äußern | |
| Ägypten und Äthiopien immer wieder ernsthafte Drohungen gegeneinander. GERD | |
| ist zu einer Frage des Nationalstolzes geworden. Äthiopiens Regierung sieht | |
| in dem Staudamm ihr zentrales nationales Aufbauprojekt. Ägyptens Regierung | |
| präsentiert gegenüber seiner Bevölkerung das Nilwasser als eine Frage von | |
| Leben und Tod. Die politischen Führer beider Länder sehen sich einer | |
| kritischen Opposition gegenüber und nutzen den Nilstreit, um die Nation um | |
| sich zu scharen. | |
| „Die Zeit drängt und bald wird der GERD fertig sein, aber wir haben uns | |
| noch immer nicht geeinigt“, warnt Sudans Wasserminister Yasir Abbas im | |
| Interview. Er leitet das sudanesische Verhandlungsteam bei den regelmäßig | |
| scheiternden Gesprächen um die Wasserverteilung. „Äthiopien kann mit seinem | |
| Teil des Blauen Nils tun, was es will. Aber das Land muss mit Ägypten und | |
| Sudan die technischen Details teilen. Das alles soll aufgenommen werden in | |
| einen Vertrag zwischen den drei Ländern“, erklärt Abbas seine Ziele. | |
| Der Wasserbauingenieur ist frustriert. „Wir sind uns weitgehend einig, bis | |
| auf zehn Prozent. Ungelöst ist, wie viel Wasser Äthiopien bei Dürren oder | |
| übermäßigen Regenfällen stromabwärts freisetzen wird und wie künftige | |
| Streitigkeiten behandelt werden sollen“, erzählt er beim Spaziergang durch | |
| seinen Obstgarten voller Zitronen- und Guavenbäume. | |
| Der Sudan hat lange eine gemäßigte Position in den Verhandlungen | |
| eingenommen, aber seit Ende 2020 ist es radikaler geworden. Zehntausende | |
| äthiopische Flüchtlinge sind [6][vor dem Tigray-Konflikt] nach Sudan | |
| gezogen, und beide Staaten sind in einen Grenzkonflikt verwickelt. | |
| Jahrzehntelang ließ der Sudan zu, dass in einem fruchtbaren Grenzgebiet | |
| äthiopische Bauern auf sudanesischer Seite Felder bestellten. Voriges Jahr | |
| jagte die sudanesische Armee die Bauern zurück nach Äthiopien. Seitdem gibt | |
| es bewaffnete Auseinandersetzungen. | |
| Minister Abbas scheut die Politik und betont, dass er ein Techniker ist. | |
| „Es ist wichtig, dass wir rechtzeitig und genau informiert werden, wie viel | |
| Wasser durch den Blauen Nil fließen wird. Wir waren im Juli letzten Jahres | |
| überrascht, als Äthiopien zum ersten Mal den Stausee teilweise füllte und | |
| kein Wasser mehr durchließ. In Teilen unseres Landes, einschließlich der | |
| Hauptstadt Khartum, kam drei Tage lang kein Wasser aus dem Hahn. Äthiopien | |
| hatte uns nicht gewarnt.“ | |
| Dieses Jahr, so hat Äthiopien bereits angekündigt, wird der Stausee noch | |
| weiter gefüllt, und zwar viel stärker als 2020. Wie viel Wasser Äthiopien | |
| wann passieren lässt, ist auch für den viel kleineren Roseires-Damm im | |
| Sudan, hundert Kilometer flussabwärts vom GERD, von großer Bedeutung. „Wenn | |
| beim GERD die Sperren in einem Schlag viel Wasser durchlassen, kommt es mit | |
| enormer Kraft im viel tiefer gelegenen Sudan an. Der Roseires-Damm könnte | |
| zerbrechen. Deshalb ist der Informationsaustausch so wichtig“, sagt der | |
| Minister mit einem tiefen Seufzer und setzt sich im Schatten auf eine | |
| gewebte Matte. | |
| Während sein Sohn Hammelfleisch grillt, philosophiert Abbas über die | |
| Zukunft. Er komme so oft wie möglich hierher, sagt der Minister, es gebe | |
| ihm Ruhe. „Ich bin wie die meisten Sudanesen, ich liebe die Landwirtschaft. | |
| Wenn die GERD-Angelegenheit endlich einmal geklärt wird, kaufe ich mir noch | |
| ein Stück Land dazu und konzentriere mich auf meine Liebe, etwas | |
| großzuziehen.“ | |
| Aber im Juni beginnt erst einmal die nächste Regenzeit. Sie könnte | |
| entscheidend sein für die Zukunft der Bauern am Blauen Nil. | |
| 22 Apr 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Ilona Eveleens | |
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