# taz.de -- Trockenheit in Äthiopien: Staub auf den Feldern | |
> Trotz der Flüsse und fruchtigen Hochebenen leiden die Menschen in Addis | |
> Abeba unter Wassermangel. Bauern sollen neue Formen des Wirtschaftens | |
> finden. | |
Heute ist der dritte Tag, an dem es kein Wasser gibt“, erzählt ein Mann | |
außerhalb seines winzigen Appartements. Auch bei seinen Nachbarn bleiben | |
die Wasserhähne trocken. Wie auch im gesamten Viertel am Ende der Landebahn | |
des Flughafens Bole mitten in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba. | |
Regelmäßig werden dort Gespräche unterbrochen durch den Fluglärm. | |
„Eine Freundin in einem anderen Stadtteil hat Wasser. Sie hat mir zwei | |
Kanister gebracht. Wenn sie kein Wasser bekommt, helfe ich ihr aus. Das ist | |
eine bessere Lösung, als bei dem Wasserunternehmen zu klagen.“ Der Mann und | |
seine Nachbarn wollen nur anonym sprechen, weil sie Konsequenzen | |
befürchten, wenn sie die Behörden kritisieren. Seit einem Jahr ist | |
Äthiopien, nach einer kurzen Liberalisierung, [1][zur Autokratie | |
zurückgekehrt] und die Bevölkerung zensiert sich selbst, selbst bei | |
Alltagsdingen wie Wasser. | |
Äthiopien ist wie andere Länder am [2][Horn von Afrika immer häufiger von | |
Extremwetterlagen] betroffen: mal Dürre durch zu wenig Regen, mal | |
Überschwemmungen durch zu viel. Die Folgen des Klimawandels sind deutlich | |
spürbar. Das Land hat eigentlich viele Wasserressourcen mit neun großen | |
Flüssen und zwölf Seen, Ostafrika speist sich mit Wasser aus dem | |
äthiopischen Hochland. Aber in Addis Abeba, das mitten im Hochland liegt, | |
fehlt es an Wasser. Wie kommt das? | |
Das Problem fängt eigentlich 700 Meter oberhalb der Hauptstadt an: in Bura. | |
Das ist eines der wichtigsten Wassereinzugsgebiete der Hauptstadt. Aber es | |
ist kein Wasser zu sehen. Auf einem kahlen Berg treibt Bahiru Abseno seine | |
beiden Ochsen an, die einen antiken Holzpflug durch die harte Erde den Hang | |
hinaufziehen. Es ist eine anstrengende Arbeit für Bauer und Tiere, weil | |
zwischen den Erdklumpen auch noch endlos viele Steine liegen. Eile ist aber | |
geboten, denn immer mehr dunkelgraue Wolken ziehen über dem nahen Gipfeln | |
auf. „Wir rechnen jeden Moment mit Regen und müssen schnell säen“, sagt | |
Bahiru, während er eine kurze Pause macht. | |
## Wenn der Regen ausbleibt | |
Bauer Bahiru baut Gerste, Bohnen und Erbsen an und ist völlig abhängig vom | |
Regenfall. Ihm zufolge sind die Ernten in den letzten zehn Jahren stark | |
geschrumpft. „Der Boden ist arm geworden und die Pflanzen wachsen schlecht. | |
Auch das Wetter hat sich geändert. Früher hatten wir zwei Regenzeiten im | |
Jahr, also zwei Ernten. Jetzt aber nur noch eine, weil die kurze | |
Regensaison nicht genug Wasser bringt.“ | |
Bahiru ist in den Fünfzigern, aber er sieht älter aus, die harte Arbeit auf | |
dem Land mit altmodischen Anbaumethoden hat tiefe Spuren in seinem Gesicht | |
hinterlassen. „Ich habe acht Kinder und muss traditionell mein Land unter | |
ihnen aufteilen, aber das macht keinen Sinn bei so wenig Ernte. Nur einer | |
meiner Söhne ist Bauer und arbeitet mit mir. Fünf machen eine Ausbildung | |
für andere Berufe und zwei haben Jobs in Nachbarstädten.“ | |
Sein Hof besteht aus drei Häusern aus Lehm und Holz, umzäunt mit stachligen | |
Ästen. Es sind große, dunkle Strukturen mit wenigen kleinen Fenstern. Die | |
Menschen leben unter einem Dach mit ihrem Vieh, das mit seiner Körperwärme | |
das Haus ein wenig angenehmer macht. Es ist kalt auf fast 3.000 Meter Höhe, | |
und die Luft ist dünn. | |
In Bura hat im Laufe der Jahre das Regenwasser große Teile der obersten | |
Erdschicht weggespült und tiefe Furchen an den Hängen hinterlassen. Bauer | |
Bahiru hat versucht, die Bodenerosion mit Terrassenanbau zu bekämpfen, aber | |
das erzeugte ein neues Problem. „Ratten fanden Unterschlupf zwischen den | |
Steinen und fraßen das Saatgut und die Pflanzen. Uns fehlt das Geld für | |
Pestizide, also haben wir den Bau der Terrassen eingestellt.“ Er geht | |
wieder an die Arbeit und treibt mit lauter Stimme seine Ochsen an. | |
Das Wassereinzugsgebiet, wo sein Acker liegt, ist etwa 1.600 Hektar groß. | |
Früher gab es hier Sträucher und Bäume, die aber den Äckern weichen | |
mussten. Ohne Baumwurzeln ist die Erde ungeschützt, der Regen spült immer | |
mehr von der obersten Erdschicht den Hang hinunter ins Tal des | |
Adere-Flusses. Der Fluss transportiert die Erde dann zum Dire-Staudamm, der | |
durch ein Aquädukt mit dem Legedadi-Staudamm weiter südlich verbunden ist. | |
Die Stauseen dieser beiden Dämme liefern etwa zwei Drittel des Trinkwassers | |
für Addis Abeba und Umgebung. | |
## 110 Millionen Äthiopier bleiben ohne Trinkwasser | |
Die Hauptstadtregion hat rund fünf Millionen Einwohner und wächst alle zwei | |
Jahre um eine halbe Million. Zugleich schrumpft die Wasserversorgung, weil | |
sich in den Stauseen, die jeweils 1999 und 1967 gebaut wurden, so viel Erde | |
ansammelt. Kein Wunder, dass es nicht genügend Wasser gibt. | |
In Äthiopien hat sich der [3][Zugang zu sauberem Trinkwasser] in den | |
letzten Jahren zwar deutlich verbessert, aber erreicht immer noch nur 57 | |
Prozent der mehr als 110 Millionen Äthiopier. Zugang zu guten sanitären | |
Einrichtungen haben sogar nur 28 Prozent. | |
Das Wasser aus Äthiopiens vielen Stauseen wird gebraucht für Bewässerung | |
von großflächiger Landwirtschaft, aber vor allem für Wasserkraftwerke – | |
Äthiopien will Afrikas Wirtschaftsmacht werden und dafür braucht es Strom. | |
Am bekanntesten und umstrittensten ist der [4][riesige Staudamm GERD] | |
(Grand Ethiopia Renaissance Dam) am Blauen Nil kurz vor der [5][Grenze zu | |
Sudan]. Er ist fast fertig und soll mit seinen Turbinen das größte | |
Wasserkraftwerk Afrikas antreiben. | |
Der GERD-Stausee ist zu zwei Dritteln gefüllt – jedes Jahr in der Regenzeit | |
wird er voller. Das sorgt für gefährliche Spannungen zwischen Äthiopien | |
einerseits und Sudan und Ägypten flussabwärts andererseits – sie fürchten, | |
dass Äthiopien zu viel Wasser zurückhält, den Nil anders reguliert als | |
bisher und zu wenig für ihre eigene Landwirtschaft und | |
Trinkwasserversorgung übrigbleibt. Die Angst besteht, das der GERD der | |
Grund sein könnte für den ersten [6][Wasserkrieg der Welt]. | |
Für die meisten Äthiopier ist das Wasserproblem viel konkreter und | |
gegenwärtiger. Berke Eliku, die Schwiegertochter des Bauern Bahiru, hat | |
keinen Strom und kein fließendes Wasser auf dem Familienbauernhof. Es gibt | |
Öllampen und täglich holt sie Wasser aus einer Quelle, zu der sie etwa 40 | |
Minuten bergabwärts läuft und dann wieder bergauf mit einem 20 Liter | |
schweren Kanister – vier Mal am Tag. | |
Während ihr Mann und ihr Schwiegervater noch Hoffnungen haben, ihren Acker | |
auch in der Zukunft bewirtschaften zu können, ist Berke überzeugt, dass | |
alternative Einkommensquellen gefunden werden müssen. „Wenn ich sehe, was | |
das Land im Jahr einbringt und wie viel wir kaufen müssen, um die ganze | |
Familie zu ernähren – dann denke ich, dass die Zeit der Landwirtschaft für | |
uns vorbei ist. Wir könnten etwas anderes machen, wie Hühner oder Schafe | |
züchten.“ | |
Um das Familieneinkommen aufzubessern, sammelt Berke, wie andere Frauen in | |
der Gegend, abgefallenes Laub in einem alten Wald aus exotischen | |
Eukalyptusbäumen, die für ihren unstillbaren Durst berüchtigt sind. Der | |
Staat hat den Wald angelegt und nutzt ihn wirtschaftlich: Wenn die Bäume | |
groß sind, werden sie gefällt und das Holz wird verkauft. Für die Anwohner | |
gibt es nur die Erlaubnis, die trockenen Blätter zu sammeln. Die werden als | |
Brennstoff zum Kochen verwendet, ebenso wie getrockneter Viehmist – anderen | |
Brennstoff gibt es auf den Hängen nicht. Auf einem nahe gelegenen Markt | |
bekommt Berke für einen großen Jutesack voller Eukalyptusblätter | |
umgerechnet ein paar Cent. | |
„Ich bin bereit, etwas Neues zu lernen oder etwas anderes zu tun, solange | |
ich nicht mehr Blätter sammeln muss“, sagt sie, während sie in ihrem Haus | |
mit Blättern Feuer macht, um das Abendessen zuzubereiten. „Das Sammeln ist | |
harte Arbeit. Ich muss die ganze Zeit gebückt gehen und dann zum Markt | |
laufen, weil es keine Autos oder Mopeds hier gibt. Und das für so wenig | |
Geld.“ Dann konzentriert sie sich auf die Zubereitung von Injera, das | |
typisch äthiopische fermentierte Fladenbrot aus Teffmehl. Ihre zwei | |
kleinsten Kinder schauen zu und genießen die Wärme des Feuers. | |
Auf der zwei Stunden langen Autofahrt zurück nach Addis Abeba gibt es an | |
einer Stelle eine Aussicht auf den Dire-Damm. Es ist wie ein kleiner | |
Wasserfleck unten im Tal. Hingehen ist unmöglich, denn Dämme werden in | |
Äthiopien abgeschirmt wie Staatsgeheimnisse. Eine Genehmigung, sie zu | |
besichtigen, ist schwer zu bekommen. | |
## Zitronenbäume statt Ackerbau | |
In Addis Abeba soll ein staatliches Projekt den Wassermangel der Hauptstadt | |
anpacken. „Wichtig ist, die Dire- und Legedadi-Dämme auszubaggern“, erzäh… | |
Projektleiter Daniel Truneh in seinem Büro inmitten der unzähligen oft | |
unvollendeten Betonhochhäuser der Hauptstadt – auch für Beton wird viel | |
Wasser benötigt. „Durch die Ansammlung von erodierter Erde gibt es 52 bis | |
75 Prozent weniger Wasser in den Stauseen und der Druck auf die Wand hat | |
sich gefährlich erhöht.“ | |
Daniel Truneh hat große Pläne. Mit seinem Projekt IWRM 4 WASH (Integriertes | |
Wassermanagement für Wasser, Reinigung und Hygiene) will er alles | |
umkrempeln, auch das Leben der Bauern. „Die Folgen des Klimawandels, | |
wodurch im Wassereinzugsgebiet [7][kaum mehr Ackerbau möglich] ist, müssen | |
angegangen werden. Bäume, Sträucher und Gras werden gebraucht, um den Boden | |
festzuhalten. Eine Studie hat bereits dargestellt, dass Avocado-, Pflaumen- | |
und Zitronenbäume sehr gut gedeihen würden in dem Gebiet. Tiere könnten auf | |
den Wiesen grasen. Die Obstbäume könnten gute Einkommensmöglichkeiten | |
ergeben für die Landbevölkerung.“ | |
Daniel studierte zwar Jura, aber ist völlig begeistert von Wasser. „Wasser | |
und Sanitär sind vielleicht nicht am meisten sexy bei der Entwicklung eines | |
Landes, aber sie sind mit am Wichtigsten“, meint er. Das Projekt ist mit | |
knapp 10 Millionen Euro ausgestattet und soll in vier Jahren fertig werden. | |
„Wenn es fertig ist“, meint Daniel, in dessen Büro ständig Leute aus | |
anderen Abteilungen vorbeikommen, „können wir es als Blaupause und Vorbild | |
benutzen für andere Teile des Landes.“ | |
11 Aug 2021 | |
## LINKS | |
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[4] /Konflikt-zwischen-Aethiopien-und-Aegypten/!5695147 | |
[5] /Blauer-Nil-in-Sudan/!5762230 | |
[6] /Ingenieur-ueber-Staaten-entlang-des-Nils/!5750954 | |
[7] /Klimawandel-und-Landwirtschaft/!5603880 | |
## AUTOREN | |
Ilona Eveleens | |
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