# taz.de -- Musikgruppe „The Nile Project“: Musik, die (fast) verbindet | |
> Das Projekt wollte die konfliktbehafteten Nil-Anrainerstaaten versöhnen. | |
> Und scheiterte genau an den Problemen, die es beheben wollte. | |
Bild: Auf zu neuen Ufern? The Nile Project | |
BERLIN taz | Es war reiner Zufall: Ausgerechnet am 15. August, dem | |
jährlichen Feiertag der großen Flut in Ägypten, wenn der Nil über die Ufer | |
tritt und das dürre Ackerland mit dem lang ersehnten Wasser fruchtbar | |
werden lässt, beschloss der Ägypter Mina Girgis, ein Musikprojekt zu | |
Afrikas längstem Fluss zu starten. | |
In jenem Jahr 2011 wehte der [1][Wind des arabischen Frühlings] in Ägyptens | |
Hauptstadt Kairo über die Nil-Brücken hinweg. Abertausende Protestler | |
belagerten wochenlang den zentralen Tahrirplatz. Der brutale Machthaber | |
Hosni Mubarak wurde aus dem Amt gefegt. Viele Ägypter hegten nun Hoffnung | |
auf Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. | |
Einer der Demonstranten war damals Mina Girgis. Nach 15 Jahren im Exil in | |
den USA war Girgis gerade in San Francisco mit dem Studium fertig, als er | |
entschied, zum ersten Mal wieder in seine Heimat zu reisen, um die | |
Veränderungen vor Ort mitzuerleben. | |
Seine Hoffnung: dass der Geist der Revolution von Ägypten aus den Nil | |
hinauf zieht, bis nach Ostafrika. Dazu wollte er beitragen, erzählt er: „Es | |
war genau zu jener Zeit, dass die Machthabenden in Ägypten mit der | |
Revolution abgelenkt waren, als in [2][Äthiopien der Bau des großen | |
Nil-Staudamms] losging“, erinnert sich Girgis. „Mir wurde sofort klar, dass | |
dieser Damm eine größere Sache ist und dessen Folgen langfristiger sind als | |
der Umsturz in Ägypten.“ | |
## Vom Nil abhängig | |
Zurück in den USA, wurde er von einem äthiopischen Freund zu einem Konzert | |
eingeladen – am Abend des 15. August 2011. Als er in San Francisco den | |
rhythmischen Klängen der äthiopischen Instrumente lauschte, sei ihm bewusst | |
geworden, „dass wir in den USA mehr äthiopische Musik hören als in | |
Ägypten“, sagt Girgis. | |
Nach dem Konzert debattierten die äthiopischen Musiker und der Ägypter | |
Girgis lange über ihre Heimat. Sie stellten fest: „Die Zukunft unserer | |
Länder hängt von der Kooperation hinsichtlich des Nils ab“, so Girgis. „D… | |
Wasser dieses Flusses ist eine Sache der Identität.“ Und: „Obwohl der Nil | |
sämtliche Länder durchquert und sie damit vereinen sollte, schürt er | |
Konflikte zwischen Nachbarn.“ | |
Daran wollte er etwas ändern. So entstand an jenem Konzertabend die Idee zu | |
„[3][The Nile Project]“, einem Verband afrikanischer Musiker aus den | |
Nil-Anrainerstaaten. Im April 2012 ging es los. Gemeinsam mit seinem | |
äthiopischen Freund stieg Girgis ins Flugzeug nach Afrika: an die Quelle | |
des Nils nach Uganda. Sie tourten durch Kenia, Tansania, Äthiopien und | |
Ägypten, hielten Workshops mit lokalen Musikern ab und luden alle | |
schließlich nach Aswan ein. | |
Die südägyptische Stadt am Nil ist bekannt für einen der größten | |
[4][Staudämme weltweit], ein Symbol der ägyptischen Industrialisierung der | |
1960er Jahre. Das Rückstaubecken brachte die jährlich auftretenden Fluten, | |
ausgelöst durch die Regenzeiten flussaufwärts, unter Kontrolle und | |
ermöglichte es der rasant wachsenden ägyptischen Bevölkerung, ganzjährig | |
ihre Felder zu bestellen und die Baumwollproduktion zu erhöhen. Aswan steht | |
für den Wohlstand, den der Nil den Menschen bringen kann. | |
## Musikalisches Speed-Dating | |
Dass The Nile Project ausgerechnet in Aswan 2013 das erste Live-Konzert gab | |
und das erste Album mit dem Titel „Aswan“ aufnahm, war kein Zufall. Aswan | |
habe den Musikern auch klargemacht, erinnert sich Girgis, „dass ein | |
einziges Land, nämlich Ägypten, den anderen Ländern diktiert, wie sie das | |
Nilwasser teilen sollen.“ Die Musiker suchten nach alternativen Ansätzen, | |
miteinander umzugehen. | |
So entstand die Idee des musikalischen Speed-Datings. 18 Musiker aus | |
verschiedenen Nil-Ländern kamen für drei Wochen zusammen: „In der ersten | |
Woche unterrichteten die ugandischen Künstler ihre Kollegen in ugandischen | |
Rhythmen und Musikstilen, in der zweiten Woche waren die Äthiopier dran, | |
ihre Klangstile zu lehren und so weiter“, erklärt Girgis. | |
Die Musiker komponierten schließlich in gemischten Gruppen in nur drei | |
Wochen 18 gemeinsame Musikstücke, die sie auf einem Konzert präsentierten | |
und ein Live-Album aufzeichneten. Das zweite Album wurde 2014 in der | |
[5][Industriestadt an der Nilquelle in Uganda] aufgezeichnet und heißt wie | |
die Stadt: „Jinja“. | |
Mit diesen beiden Alben ging die Truppe 2014 auf Afrika-Tour entlang des | |
Nils: Von Uganda [6][nach Kenia], Äthiopien und Ägypten. 2015 tourten sie | |
durch die USA mit einem überfüllten Konzert im UN-Hauptquartier in New | |
York. 2016 und 2017 waren sie im Sommer in Europa unterwegs, auch in | |
Berlin. Im Winter tourten sie erneut durch Afrika. | |
Während ihrer Afrika-Reise stürmten die Musiker die Universitäten, um mit | |
dortigen Studenten sogenannte Clubs zu gründen. Sie organisierten Seminare | |
und debattierten über Lösungen für die Probleme der Nil-Bevölkerung: | |
[7][Überschwemmungen], Fischerei, [8][Trockenzeiten], Bewässerungssysteme. | |
Jeder Studentenclub sollte sich mit Gemeinden entlang des Flusses | |
zusammentun und ein Projekt ins Leben rufen. „Wir wollten eine gemeinsame | |
Identität aller Nil-Anwohner fördern“, erzählt Girgis. | |
Dann kam es zu Problemen. In Ägypten wurde 2017 ein Gesetz verabschiedet, | |
das es der Regierung erleichtert, gegen Nichtregierungsorganisationen | |
(NGOs) vorzugehen. Der Vorsitzende Girgis hatte The Nile Project in Ägypten | |
als internationale NGO eingetragen und fürchtete, verhaftet zu werden, | |
sobald der Regierung das Programm nicht passte. Der Grund: Zwischen Ägypten | |
und Äthiopien eskalierte der [9][Streit um den äthiopischen | |
Renaissance-Staudamm] am Oberlauf des Blauen Nils. | |
## Musiker unter politischem Druck | |
Für die Musiker wurde es in Südsudan, Sudan und Äthiopien immer | |
schwieriger, sich zu treffen und zu reisen. „Wir spürten den politischen | |
Druck immer dann, wenn wir Visa beantragen wollten“, sagt Girgis | |
rückblickend. „Dabei wird in Anbetracht all dieser Konflikte unser Projekt | |
umso bedeutungsvoller.“ | |
Hinzu kamen Konflikte mit den Geldgebern. Hauptgeber für die Projektkosten | |
war das Büro der Schweizer Entwicklungsagentur in Kairo. Dieses hatte für | |
die nächste Projektphase weitere zehn Millionen Schweizer Franken zugesagt. | |
Doch dann wechselte der Büroleiter in Kairo und es kam zu Rivalitäten mit | |
einem anderen Projekt. Die Gelder wurden umgeleitet. Girgis musste sich | |
eingestehen, dass er unter diesen Bedingungen das Projekt nicht fortführen | |
kann. | |
Die Idee scheiterte letztlich an exakt den Hindernissen, die die Musiker | |
überwinden wollten. „Wir hatten aufgrund der revolutionären Stimmung einen | |
passenden Moment in der Geschichte erwischt“, meint er rückblickend. Der | |
Moment war nicht von Dauer. Aber, so sagt er: „Wir Musiker haben | |
Freundschaften fürs Leben geschlossen. Die haben uns alle verändert“. | |
14 Feb 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Zehn-Jahre-Arabischer-Fruehling/!5737510 | |
[2] /Konflikt-zwischen-Aethiopien-und-Aegypten/!5695147 | |
[3] http://nileproject.org/ | |
[4] /Staudamm-im-Libanon/!5715776 | |
[5] /Konflikt-um-Staudamm-in-Uganda/!5747732 | |
[6] /Maasai-in-Kenia/!5741034 | |
[7] /Victoriasee-in-Uganda/!5713745 | |
[8] /Mara-Fluss-in-Ostafrika/!5744129 | |
[9] /Streit-um-Staudamm-in-Afrika/!5706913 | |
## AUTOREN | |
Simone Schlindwein | |
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