# taz.de -- Staudamm im Libanon: Wasser in Beton | |
> Die Aktivist*innen im Bisri-Tal haben ihr Ziel erreicht – warum aber | |
> hat die Weltbank das Staudamm-Projekt im Libanon gestoppt? | |
Bild: Spielende Kinder im Fluss des Bisri-Tals im Libanon | |
Leila al-Ali nimmt die libanesische Flagge, grüner Zedernbaum auf weißem | |
Grund, gerahmt von zwei roten Streifen, und schwingt sie über ihrem Kopf. | |
Um sie herum klatschen und tanzen Freunde, recken die Arme in die Höhe. Die | |
Kronen der Pinienbäume spannen sich wie Schirme auf, zwei Männer machen ein | |
Lagerfeuer. Zwischen Campingzelten feiern sie ihren Erfolg: die | |
Entscheidung der Weltbank, den Bau des Staudamms zu stoppen. | |
35 Kilometer südlich von Beirut fließen mehrere Quellbäche zu einem Fluss | |
zusammen, der sich durch das sogenannte Bisri-Tal schlängelt, unterhalb von | |
Bergen, vorbei an Zypressen, Eichenbäumen, Obstgärten und Ackerland, bis | |
sich sein Wasser ins Mittelmeer ergießt. Weil es so dem Libanon zur | |
Versorgung verloren geht, sollte es durch eine 73 Meter hohe Staumauer | |
gestoppt werden. Ein großes Becken sollte jährlich 125 Millionen Kubikmeter | |
an Wasser sammeln – so viel, dass es für 1,6 Millionen Menschen reicht. Zum | |
Vergleich: Der größte Stausee in Deutschland, der Bleiloch-Stausee in | |
Thüringen, fasst etwas mehr als 200 Millionen Kubikmeter. | |
Doch aus dem Plan für den Bisri-Damm wird nichts, denn die Geldgeberin, die | |
Weltbank, hat das Projekt erst im September gestoppt. 474 Millionen | |
US-Dollar wollte sie der libanesischen Regierung für das Projekt leihen, | |
die noch ausstehenden 244 Millionen Dollar hat sie gestrichen. Mit diesem | |
Geld wurden das Projektmanagement bezahlt, die Beratung und Gutachten zum | |
Umweltschutz sowie 861 Landbesitzer*innen ihr Land abgekauft. Die | |
Entscheidung der Weltbank kommt also reichlich spät, sie hatte den Damm | |
2014 als Förderprojekt angenommen. Wieso hat die Bank ihren Kurs geändert? | |
Roland Nassour ist etwas müde an diesem Sonntagmorgen Anfang September. Am | |
Abend zuvor hat er bis spät in die Nacht Interviews gegeben, am Morgen war | |
er bereits in einer Liveschalte. Er steht zwischen den Bäumen auf einem | |
natürlichen Plateau, unter dem sich der Bisri-Fluss entlangzieht. Nassour | |
beobachtet, wie Aktivist*innen Müll aufsammeln und ein Lagerfeuer | |
machen. Der 28-Jährige koordiniert die Kampagne „Rettet das Bisri-Tal“. | |
Seit drei Jahren hat er sich dem Ziel verschrieben, den Dammbau zu stoppen | |
– und dafür sein Studium hintenangestellt. | |
„Es kommt wirklich selten vor, dass die Weltbank einen Kredit dauerhaft | |
einstellt, wie sie es heute getan hat“, sagt er und klingt dabei, als könne | |
er es selbst noch nicht glauben. „Weil sie von dieser Art von Projekt | |
profitiert“, schiebt er hinterher. „Selbst als das Projekt verzögert wurde, | |
erhielt die Weltbank Geld von der libanesischen Regierung, | |
Verzögerungsstrafen. | |
Sie kümmert sich also nicht wirklich um das Tempo des Projekts. Was die | |
Weltbank wirklich interessiert, ist ihr Image. Deshalb glauben wir, dass | |
die Kampagne ‚Rettet das Bisri-Tal‘ und ihre Aktionen zu dieser | |
Entscheidung gedrängt haben.“ | |
Nassour ist gegen den Damm, weil er vieles zerstört hätte: Rund 600 Hektar | |
an Landfläche, knapp 150.000 Bäume wie Eichen und Pinien, historische | |
Stätten wie Brücken und Gräber aus der Bronzezeit. Dort, wo fünf Säulen | |
eines Tempels von der römischen Zeit zeugen, wäre der Grund des Stausees | |
entstanden. Außerdem hätte die Mar-Musa-Kirche weichen müssen, ein drei | |
Jahrhunderte altes Steingebäude, in das Dorfbewohner*innen zum Beten | |
kommen. Die Weltbank hatte angeboten, die Kirche zu versetzen, doch viele | |
im Dorf bezweifelten das. Sie fürchteten nicht nur um das Gotteshaus, | |
sondern auch um ihr Leben. | |
Denn 1956 forderte ein Erdbeben in der Region 135 Menschenleben. Der | |
leitende Ingenieur sagte, der Damm könne Erdbeben bis zur Stärke 8 auf der | |
Richterskala abfedern; der libanesische Rat für Entwicklung und | |
Wiederaufbau, die Regierungsbehörde, die Infrastrukturprojekte | |
beaufsichtigt, befand das Tal als erstklassigen Standort für einen | |
Staudamm. | |
Die Aktivist*innen waren jedoch nicht überzeugt. Die 39-jährige Leila | |
al-Ali, ihre sechsjährige Tochter Nirwana und ihre 34-jährige Freundin | |
Sarah übernachten seit mehr als drei Monaten in einem roten Zelt im | |
Bisri-Tal. Sie waschen ihre Kleidung regelmäßig im Fluss, kochen auf einem | |
Campingkocher. 20, an Wochenenden sogar 50 Menschen zelten zwischen den | |
Pinienbäumen, schätzen sie. „Ich gehe für zwei, drei Tage in der Woche nach | |
Hause“, erzählt al-Ali, die als Psychologin und Lebensberaterin arbeitet. | |
„Ich habe mein Leben, meine Klinik, alles verlassen – hierfür“, sagt sie. | |
„Es ist mein Land, es ist mein Zuhause, der ganze Libanon ist mein Zuhause. | |
Zuhause ist kein Gebäude, kein Haus. Es ist ein Land, wo du hingehörst. Ich | |
gehöre hierher.“ Die Aktivist*innen haben Krebse gesammelt, die in | |
einem Plastikbehälter Bläschen ins Wasser blubbern, und kleine Vögel | |
gefangen, die sie auf Spießen grillen. „Jeden Morgen machen wir sauber, | |
trinken Kaffee. Wir gehen an den Fluss, schwimmen ein bisschen. Wir essen | |
zu Abend und verbringen gemeinsam Zeit“, sagt al-Ali. | |
Was klingt wie ein Sommercamp, ist eine Protestaktion. Vor knapp einem | |
Jahr, am 17. Oktober, gingen Tausende Menschen im Libanon auf die Straßen. | |
Sie protestierten gegen ihre Politiker, denen sie Korruption und | |
Misswirtschaft vorwerfen. Die Aktivist*innen im Bisri-Tal sehen sich | |
als Teil dieser Bewegung, der Revolutionäre. | |
Sie bezweifeln, dass der Kredit der Weltbank je zurückgezahlt werden kann. | |
Denn der Zentralbank sind die Dollarreserven ausgegangen, woraufhin die | |
lokale Währung auf dem Schwarzmarkt um 80 Prozent ihres Wertes eingebüßt | |
hat. Der libanesische Staat ist bankrott, die Schuldenlast des Landes liegt | |
bei rund 77 Milliarden Euro – knapp 170 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. | |
Tausende Menschen haben aufgrund der Wirtschaftskrise ihre Jobs verloren. | |
So auch die Kosmetikerin Sarah, die ihren Nachnamen nicht nennen möchte. | |
## Das Projekt präsentiert die schamlose Wasserpolitik | |
„Hier geht es nicht nur um den Damm“, sagt sie. „Wir werden jeden | |
öffentlichen Platz bevölkern. Wir kämpfen für das Land.“ Sie möchte, dass | |
die Artenvielfalt erhalten bleibt. „Wieso benutzen wir nicht einfach | |
Brunnenanlagen?“ Ihre Freundin Leila al-Ali fügt hinzu: „Wir sind nicht | |
dumm. Wir wissen, dass wir Wasser haben, aber sie halten es von uns fern. | |
Warum? Um Geld zu verdienen. Repariert erst die vorhandenen Dämme! Wir | |
haben viele, viele Dämme, warum wollen sie einen neuen bauen?“ | |
„Das Bisri-Staudammprojekt repräsentiert alles, wogegen wir als Libanesen | |
kämpfen“, erklärt Kampagnenkoordinator Nassour. „Es repräsentiert die | |
Vetternwirtschaft im Libanon, Korruption und Klientelismus. Es | |
repräsentiert die Finanz- und Wirtschaftspolitik, die nach ausländischen | |
Krediten trachtet, ungeachtet des tatsächlichen Nutzens des Projekts. Es | |
repräsentiert auch die schamlose Wasserpolitik, die seit den 40er Jahren | |
besteht. | |
Eine Wasserpolitik, die auf die Gewinne für die Bauindustrie durch ein | |
großes Infrastrukturprojekt abzielt, anstatt wirklich nach nachhaltigen | |
Lösungen zu suchen, die die lokalen Gemeinschaften und die Umwelt | |
respektieren. Dieselbe Firma, die den Auftrag zur | |
Umweltverträglichkeitsprüfung bekam, hat auch den Auftrag zur | |
Bauüberwachung erhalten. | |
Dass die Libanes*innen es nicht gutheißen, dass ihre Regierung einen | |
Millionenkredit für den umstrittenen Damm bekommt, ist auch bis nach Berlin | |
durchgedrungen. Uwe Kekeritz, Mitglied im Bundestag und Sprecher für | |
Entwicklungspolitik der Grünen, ist durch libanesische Organisationen auf | |
den Bisri-Staudamm aufmerksam geworden. Durch gezieltes Nachfragen hat | |
Kekeritz herausbekommen, dass auch die Bundesregierung den Damm für | |
unterstützenswert hielt. Zwar ist kein Geld direkt vom | |
Entwicklungsministerium in das Projekt geflossen, Deutschland hält aber | |
einen der höchsten Kapitalanteile an der Weltbank und zahlte im Jahr 2019 | |
mehr als 38 Milliarden US-Dollar ein. | |
Auf seine Anfrage, ob man angesichts der Finanzkrise die Unterstützung an | |
Entwicklungsprojekten im Libanon überdenke, hieß es von der | |
Bundesregierung: „Angesichts der enormen Entwicklungsherausforderungen im | |
Libanon, unter anderem beim Zugang zu sauberem Trinkwasser (…) sowie der | |
Bedarfe von syrischen Flüchtlingen und deren libanesischen | |
Aufnahmegemeinden, hält die Bundesregierung die Fortführung der laufenden | |
Vorhaben und die Umsetzung der geplanten Vorhaben entwicklungspolitisch für | |
dringend geboten.“ | |
Kekeritz sagt, die „Alarmglocken hätten viel früher läuten müssen“. „… | |
bin davon überzeugt, dass die Weltbank hervorragende Wissenschaftler hat, | |
die das Risikopotenzial, dass die Gelder in Korruption versinken, kennen | |
mussten“, so der Grünen-Abgeordnete. | |
„Die Anteilseigner haben hier wohl das Signal gegeben: Investiert dort. Und | |
auch wenn viel Geld eventuell verloren geht, macht das nichts.“ Die | |
Weltbank selbst habe das Ziel, die Wasserversorgung in Beirut zu | |
verbessern. „Aber mit den Vorgaben war das meines Erachtens nicht möglich, | |
und das hätte die Weltbank erkennen müssen.“ | |
Die Weltbank aber sagt, der Stopp des Projekts betreffe auch 460.000 | |
Menschen, die mit weniger als 4 US-Dollar am Tag auskommen müssten – sie | |
hätten nun keine Chancen auf einen zuverlässigen Zugang zu sauberem Wasser. | |
„Die Haushalte werden sich nicht auf das öffentliche Wassernetz verlassen | |
können und werden gezwungen sein, weiterhin auf teure alternative | |
Wasserquellen wie Tankwagen und Flaschenwasser zurückzugreifen. Die Kosten | |
für Wasser aus Tankwagen können in einigen Gebieten bis zu 20 US-Dollar pro | |
Kubikmeter betragen.“ | |
Im Jahr 2015 lag der Wasserverlust durch nicht gewartete Systeme, leckende | |
Rohre und Diebstahl im Libanon bei rund 50 Prozent. „Die Weltbank hat die | |
Alternativen nicht ausreichend geprüft“, sagt der Grünen-Politiker | |
Kekeritz. „Wenn die Leitungen marode sind und Wasser verlieren, dann ist es | |
für mich logisch, dass ich zunächst erst mal dieses Manko behebe und auch | |
versuche, andere Möglichkeiten zu erschließen.“ | |
Vor dem Energie- und Wasserministerium in Beirut steht ein runder | |
Springbrunnen mit leerem Wasserbecken. Im ersten Stock, hinter einem | |
langgezogenen schwarzen Schreibtisch sitzt Khaled Nakhle, Berater im | |
Wasserministerium. „Wer sagt, dass wir die [undichten] Rohre nicht | |
reparieren?“, fragt er. „Seit 10 Jahren reparieren wir die Leitungen, aber | |
selbst wenn wir alle Lecks stopfen würden, hätten wir noch immer einen | |
Engpass.“ | |
In seiner Stimme klingt viel Wut, denn er sieht Dämme als günstige und | |
logische Lösung für Libanons Wassermangel. „Wir müssen die Produktion | |
erhöhen“, sagt er. Dafür möchte er alle Optionen nutzen und weigert sich, | |
„nur von Alternativen“ zu sprechen. „Der einfachste Weg ist es, natürlic… | |
Quellen zu nutzen. Und der zweitgünstigste Weg ist der Bau von Dämmen. Wenn | |
das nicht ausreicht, geht man ans Grundwasser.“ | |
## Der Report löste eine Kontroverse über Staudämme aus | |
Gegenwärtig speichert der Libanon nur 6 Prozent seines Wassers in | |
Reservoiren. Viele Menschen sind auf illegal gebohrte Brunnen angewiesen. | |
Die Weltbank schätzt, dass rund 60.000 illegale Bohrlöcher übermäßig | |
genutzt werden und Wasser von zweifelhafter Qualität hervorbringen. | |
Der Fahrplan des Wasserministeriums aus dem Jahr 2010 sieht vor, 19 Dämme | |
in dem Land zu bauen, das gerade einmal halb so groß ist wie Hessen. 2015 | |
prüfte Ecodit, eine kleine US-amerikanische Firma, die zusammen mit | |
Regierungen nachhaltige Entwicklungsprojekte angeht, diese Wasserstrategie. | |
Alternativ zu den Dämmen schlug Ecodit vor, durch Aufforstung die | |
Grundwasserneubildung anzukurbeln, Regenwasser von Dächern zu gewinnen, | |
Schmutzwasser aufzubereiten und wiederzuverwenden. Außerdem empfahl die | |
Firma, die Konstruktion von damals neun Dämmen zu stoppen und stattdessen | |
auf Unterwasserquellen zu setzen – diese Ausflüsse unter der Wasserlinie, | |
genannt submarine Quellen, könnten zwischen dem salzigen Meerwasser | |
trinkbares Süßwasser liefern. | |
Dabei veröffentlichte die Welttalsperrenkommission vor 20 Jahren bereits | |
einen Bericht über Staudämme. Die Kommission wurde unter anderem von der | |
Weltbank eingerichtet und sollte untersuchen, was an der Kritik von Dämmen | |
dran ist. Ihr Fazit: Viele Projekte blieben hinter den Erwartungen für die | |
Wasserversorgung und Energiegewinnung zurück, verursachten hohe Kosten und | |
schädigten die Umwelt.Der Report löste eine Kontroverse über Staudämme aus. | |
2014 untersuchten Forscher*innen der Universität Oxford 245 große | |
Talsperren, die zwischen 1934 und 2007 gebaut wurden. Sie fanden heraus, | |
dass große Staudämme eine riskante Investition sind. Sie kosteten mehr als | |
geplant, verschuldeten die Länder des Globalen Südens und lieferten keine | |
versprochenen Vorteile. Der Report löste eine Kontroverse über Staudämme | |
aus. Die Hauptkritik: Staudämme folgten einem veralteten | |
Entwicklungsparadigma, bei dem Entwicklung durch wirtschaftliches Wachstum | |
erreicht werden soll. Ein massiver Damm sei die Manifestierung dieser | |
Herangehensweise in Beton. | |
In den USA wurden zwischen 1990 und 2015 rund 900 Dämme entfernt, in Europa | |
rund 5.000, wie die Organisation „Dam Removal Europe“ angibt. Der bislang | |
größte Dammrückbau in der Geschichte der USA erfolgte am Elwha-Fluss: 2014 | |
ließ die Wasserbehörde im Staat Washington bis zu 64 Meter hohe Mauern und | |
36 Millionen Tonnen Sediment abbauen. Die zwei Dämme dort verhinderten die | |
Reise der Lachse, die Zahl der Wildlachse ging drastisch zurück. | |
Während in Ländern des Globalen Nordens Staudämme abgerissen werden, um | |
Flüsse und Naturgebiete wieder herzustellen, weil die Wartungskosten zu | |
hoch sind oder sich Schlamm und Sedimente im Innern ablagern, werden sie im | |
Globalen Süden vermehrt gebaut. Dort erleben Dämme einen zweiten Frühling. | |
„Renaissance“ heißt auch die Talsperre, mit der Äthiopien den größten | |
Stausee Afrikas anstaut. | |
Der Bisri-Staudamm ist nicht der erste seiner Art im Libanon. Doch die | |
Bilanz ist schlecht. Ein Damm in Brissa wurde fehlgeplant, es fehlte eine | |
Membran, die das Auslaufen verhindert. Mit einem 15-Millionen Kredit aus | |
Kuwait soll nachgebessert werden, sagt Berater Nakhle aus dem | |
Wasserministerium. Der Mseilha-Damm, dessen wasserleeres Becken die | |
Libanes*innen regelmäßig von einem Spazierpfad am Berg aus begutachten | |
können, hat keinen Tropfen Wasser gesammelt. „60 Prozent seines Volumens | |
waren schon gefüllt“, erklärt Nakhle. | |
„Dann hat man das Becken geleert, analysiert und realisiert, dass es ein | |
paar Fehler hat. Es ist aber normal, dass die Überprüfung ein, zwei Jahre | |
dauert.“ Brissa war 12 Jahre lang im Bau, doch das Wasser lief in den | |
Boden, und der Beton, der im Nachhinein dem existierenden Beton hinzugefügt | |
wurde, brach zusammen. | |
Werden die Dämme nur gebaut, damit die Bauträger davon profitieren? Der | |
Subauftragnehmer des Bisri-Damms, Dany al-Khoury, ist dafür bekannt, dem | |
Präsidenten Michel Aoun nahezustehen. Er setzte umstrittene Projekte im | |
Libanon um wie beispielsweise den Bau eines Yachthafens oder einer | |
Mülldeponie direkt am Mittelmeer. „Lassen wir uns nicht durch die | |
Propaganda der Medien blenden“, sagt der Berater Nakhle und fragt: „Hat | |
irgendjemand Bauer erwähnt?“ | |
Die deutsche Firma Bauer hätte die Staumauer bauen sollen. „Der | |
Hauptauftragsnehmer ist eine türkische Firma, die laut Vertrag 70 Prozent | |
[des zu vergebenden Geldes] bekommt. Dann gehen 16 Prozent des Auftrags an | |
Bauer und es bleiben nur noch 14 Prozent für den libanesischen | |
Subunternehmer“, so Nakhle. Bauer bekäme rund 35 Millionen Dollar, für | |
Dany Khoury blieben dann noch knapp 27 Millionen. „Und das ist die | |
Korruption, die ganz Libanon erschüttert?“ | |
Das Wasserministerium setzt weiter auf Dämme. „Aufgrund der Finanzkrise | |
fällt es dem Auftragnehmer schwer, Material zu importieren, da frische | |
Dollar für das Material benötigt werden“, gibt Nakhle zwar zu. „Aber | |
trotzdem werden wir nächsten Winter bereit sein, die [Mseilha-] Talsperre | |
zu füllen, und dann werden [die Kritiker] den Mund halten.“ | |
## Vielleicht braucht es keinen Plan für die Zukunft | |
Die Aktivist*innen waren zuletzt mit etwas anderem beschäftigt. Ende | |
September brach im Tal ein Feuer aus. Eine Gruppe von Aktivist*innen | |
löschte die Glut, die auch nach dem Feuerwehreinsatz noch in Marj Bisri | |
brannte. So stellten sie sicher, dass nicht erneut Feuer ausbricht. Der | |
Vorfall ist symptomatisch für den Libanon, in dem die Menschen sich nach | |
der Explosion vom 4. August im Hafen von Beirut oder nach Waldbränden | |
selbst helfen müssen, weil der Staat abwesend ist. | |
Der jedoch besitzt nun das Land, bezahlt durch den Kredit der Weltbank, auf | |
dem der Stausee gebaut werden sollte. Auf 150 Hektar an Agrarland wuchsen | |
Oliven, Zitronen und Granatäpfel. Die Landbesitzer*innen erhielten | |
zwar Kompensationen, Bauern und Feldarbeiter*innen jedoch verloren | |
ihre Jobs. Einige Bauern arbeiten auch weiterhin auf dem Land, illegal. Was | |
die Regierung nun mit dem Agrarland macht, ist fraglich. | |
Die 39-jährige Sarah sagt: „Das Land gehört den Menschen, nicht der | |
Regierung. Wir kümmern uns und schützen es – nicht die Regierung.“ Sie und | |
ihre Freundin al-Ali möchten bleiben, weil sie kein Vertrauen haben. | |
„Unsere Regierung ist nicht sauber. Vielleicht werden sie uns eines Tages | |
austricksen. Das haben sie schon mal gemacht: Sie haben den Sand, die | |
Steine und die Bäume genommen und sie verkauft. Und niemand hat es | |
mitbekommen. Sie teilen das Bisri-Tal unter sich auf, und wir, die Leute, | |
wissen davon nichts. Wir werden jetzt nicht gehen.“ | |
Von dem Plateau, auf dem al-Ali und ihre Mitstreiter*innen das Camp | |
errichtet haben, führt ein kleiner Weg bergabwärts zwischen Orangenbäumen | |
und wilden Gräsern zum Wasser. Der Fluss ist an dieser Stelle knietief. Den | |
Kindern reicht es, um darin zu plantschen, Erwachsene sitzen auf | |
Plastikstühlen daneben und rauchen Wasserpfeife, grillen. Kampagnenleiter | |
Roland Nassour wirkt erschöpft und glücklich. Vielleicht, sagt er, brauche | |
es keinen Plan für die Zukunft. „Das Bisri-Tal existierte schon lange vor | |
uns, noch vor der Gründung des libanesischen Staates. Ich meine, vielleicht | |
brauchen wir nicht immer eine kreative Vision für die Umwelt, weil alles in | |
Ordnung ist, so wie es ist.“ | |
9 Oct 2020 | |
## AUTOREN | |
Julia Neumann | |
## TAGS | |
Lesestück Recherche und Reportage | |
Schwerpunkt taz folgt dem Wasser | |
Libanon | |
Lesestück Recherche und Reportage | |
Schwerpunkt taz folgt dem Wasser | |
Schwerpunkt taz folgt dem Wasser | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
Schwerpunkt taz folgt dem Wasser | |
Libanon | |
Libanon | |
Beirut | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Abwasser in Jordanien: Zurück auf Blau | |
Die lebenswichtige Oase von Azraq wird von Abwasser und Müll bedroht. Eine | |
Technologie mit Schilf könnte das Dreckwasser reinigen. | |
Konflikt um Staudamm in Uganda: Die Flussgeister sind verstummt | |
Für die Bevölkerung ist die Quelle des Nils ein Kulturgut, für die | |
Regierenden eine Stromquelle. Auch deutsche Geldgeber mischen mit. | |
Entwicklungsprojekt in Kolumbien: Leben tausender Familien verbessert | |
In einst illegalen Siedlungen baut ein Programm mit deutscher Beteiligung | |
Fußballplätze und eine Kanalisation. Das Geld kommt tatsächlich an. | |
Zerstörte Schutzgebiete in Kolumbien: Wenn die Quelle versiegt | |
Das Wasser für die Bewohner*innen in Kolumbiens Hauptstadt Bogotá kommt aus | |
umliegenden Wäldern. Doch die fallen Landraub zum Opfer. | |
Uwe Kekeritz über Entwicklungspolitik: „Einiges läuft falsch“ | |
Projekte im Globalen Süden sind intransparent und befördern oft nur die | |
eigene Wirtschaft, kritisiert der Sprecher für Entwicklungspolitik der | |
Grünen. | |
Staatskrise im Libanon: Adib wirft hin | |
Der designierte Regierungschef ist an einem Postenstreit gescheitert. | |
Mitten in der Wirtschaftskrise sucht der Libanon zum dritten Mal eine | |
Regierung. | |
Feuer in Libanons Hauptstadt Beirut: Erneut Großbrand im Hafen | |
Fünf Wochen nach der Explosion von Beirut ist ein Lagerhaus für Öl und | |
Autoreifen in Brand geraten. Auslöser könnte die Hitze gewesen sein. | |
Galeristin über Künstler*innen in Beirut: „Viele haben keine Wohnung mehr“ | |
Andrée Sfeir-Semler betreibt Galerien in Hamburg und Beirut. Nach der | |
Explosion hat sie eine Spendenaktion für Kunstschaffende in Beirut | |
organisiert. |