# taz.de -- Staatskrise im Libanon: Adib wirft hin | |
> Der designierte Regierungschef ist an einem Postenstreit gescheitert. | |
> Mitten in der Wirtschaftskrise sucht der Libanon zum dritten Mal eine | |
> Regierung. | |
Bild: An religiösen Streitereien gescheitert: Mustapha Adib verkündet am 26. … | |
BEIRUT taz | Nach nur 26 Tagen wirft der [1][designierte Regierungschef | |
Mustapha Adib] im Libanon hin. Dabei wartet das Land schon seit dem 10. | |
August auf eine neue Regierung. Damals trat Adibs Vorgänger Hassan Diab mit | |
seinem Kabinett zurück – als Antwort auf den öffentlichen Druck nach der | |
verheerenden Explosion am Hafen von Beirut. Die Detonation tötete 193 | |
Menschen, circa 300.000 wurden obdachlos. | |
Seit Wochen ringen die Parteien bei der Bildung des Kabinetts um Einfluss, | |
Adib erreichte nun ein totes Ende bei den Konsultationen. Frankreichs | |
Präsident Emmanuel Macron, der selbst seinen Einfluss im Libanon festigen | |
möchte, hatte gefordert, eine unabhängige Regierung aus Expert*innen zu | |
bilden. | |
Doch Adib versuchte vergeblich, die Vertreter der Religionsgemeinschaften | |
von diesem Plan zu überzeugen. Die Bildung des Kabinetts scheiterte | |
maßgeblich, weil die schiitischen Parteien der Amal und Hisbollah darauf | |
beharrten, einen Schiiten als Finanzminister zu ernennen. | |
Dieser Posten ist wohl der wichtigste und kniffligste im Land: Der Libanon | |
befindet sich in der [2][stärksten Wirtschaftskrise seiner 100-jährigen | |
Geschichte]: Die Staatsschulden belaufen sich auf 90 Milliarden US-Dollar, | |
die lokale Währung hat auf dem Schwarzmarkt 80 Prozent ihres Wertes | |
verloren. Im März wurde eine Eurobond-Anleihe von knapp einer Milliarde | |
Euro fällig – doch das Land zahlte nicht zurück. Der Staat ist pleite. | |
## Libanes*innen verlassen das Land | |
Die Zentralbank hat nicht mehr genügend Rücklagen in US-Dollar. Doch die | |
starke Währung wird gebraucht, um Importe von Benzin, Medizin und | |
Lebensmitteln zu zahlen. Noch sind Brot, Diesel und Mehl subventioniert, | |
doch den Zuschuss muss der Staat bald einstellen. Hygieneartikel wie | |
Damenbinden, Zahnpasta oder Shampoo sind bereits jetzt um das Dreifache | |
teurer als noch vor einem Jahr. Um die Dollarreserven zu schonen, geben die | |
Banken seit Anfang des Jahres das Geld, das in Dollar auf den Konten liegt, | |
nur noch zu einem schlechten Umrechnungskurs in Lira aus. | |
Die reiche Oberschicht, zu der Politiker und Wirtschaftsbosse des Landes | |
gehören, hingegen hat ihr Geld längst bei ausländischen Banken liegen. Wer | |
einen Zweitpass besitzt, hat das Land spätestens nach der Explosion in | |
Beirut verlassen. | |
Auch die gut ausgebildete Elite versucht, für ein Zweitstudium, Sprachkurs | |
oder Praktikum auszureisen. Wer bereits im Ausland studiert, baut sich dort | |
ein neues Leben auf. [3][Die Diaspora ist aufgrund des Bürgerkrieges] | |
(1975-1990) bereits größer als die Zahl der Menschen, die im Libanon leben. | |
Nun wird sie weiter wachsen. | |
Der politische Stillstand bedeutet eine Verschleppung der Reformen, die das | |
Land dringend benötigt: Die offizielle Abwertung der Währung, die | |
Restrukturierung der Schulden und des Bankensektors, die Reduzierung des | |
öffentlichen Sektors oder ein ausgeglichener Haushalt. Je weiter der | |
Neuaufbau des Staates verschleppt wird, umso weiter wird der mögliche | |
Aufschwung in die Zukunft verlagert. | |
Ökonom*innen hoffen daher auf eine neue Regierung, die die im Mai | |
begonnenen Verhandlungen mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) weiter | |
führt. Auch wenn der IWF nicht dafür bekannt ist, sozialverträgliche | |
Schritte durchzubringen, so ist der internationale Druck für viele die | |
einzige Hoffnung, dass die konfessionell-politische Elite sich selbst | |
reformiert. | |
27 Sep 2020 | |
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## AUTOREN | |
Julia Neumann | |
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