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# taz.de -- Staudamm im Libanon: Wasser in Beton
> Die Aktivist*innen im Bisri-Tal haben ihr Ziel erreicht – warum aber
> hat die Weltbank das Staudamm-Projekt im Libanon gestoppt?
Bild: Spielende Kinder im Fluss des Bisri-Tals im Libanon
Leila al-Ali nimmt die libanesische Flagge, grüner Zedernbaum auf weißem
Grund, gerahmt von zwei roten Streifen, und schwingt sie über ihrem Kopf.
Um sie herum klatschen und tanzen Freunde, recken die Arme in die Höhe. Die
Kronen der Pinienbäume spannen sich wie Schirme auf, zwei Männer machen ein
Lagerfeuer. Zwischen Campingzelten feiern sie ihren Erfolg: die
Entscheidung der Weltbank, den Bau des Staudamms zu stoppen.
35 Kilometer südlich von Beirut fließen mehrere Quellbäche zu einem Fluss
zusammen, der sich durch das sogenannte Bisri-Tal schlängelt, unterhalb von
Bergen, vorbei an Zypressen, Eichenbäumen, Obstgärten und Ackerland, bis
sich sein Wasser ins Mittelmeer ergießt. Weil es so dem Libanon zur
Versorgung verloren geht, sollte es durch eine 73 Meter hohe Staumauer
gestoppt werden. Ein großes Becken sollte jährlich 125 Millionen Kubikmeter
an Wasser sammeln – so viel, dass es für 1,6 Millionen Menschen reicht. Zum
Vergleich: Der größte Stausee in Deutschland, der Bleiloch-Stausee in
Thüringen, fasst etwas mehr als 200 Millionen Kubikmeter.
Doch aus dem Plan für den Bisri-Damm wird nichts, denn die Geldgeberin, die
Weltbank, hat das Projekt erst im September gestoppt. 474 Millionen
US-Dollar wollte sie der libanesischen Regierung für das Projekt leihen,
die noch ausstehenden 244 Millionen Dollar hat sie gestrichen. Mit diesem
Geld wurden das Projektmanagement bezahlt, die Beratung und Gutachten zum
Umweltschutz sowie 861 Landbesitzer*innen ihr Land abgekauft. Die
Entscheidung der Weltbank kommt also reichlich spät, sie hatte den Damm
2014 als Förderprojekt angenommen. Wieso hat die Bank ihren Kurs geändert?
Roland Nassour ist etwas müde an diesem Sonntagmorgen Anfang September. Am
Abend zuvor hat er bis spät in die Nacht Interviews gegeben, am Morgen war
er bereits in einer Liveschalte. Er steht zwischen den Bäumen auf einem
natürlichen Plateau, unter dem sich der Bisri-Fluss entlangzieht. Nassour
beobachtet, wie Aktivist*innen Müll aufsammeln und ein Lagerfeuer
machen. Der 28-Jährige koordiniert die Kampagne „Rettet das Bisri-Tal“.
Seit drei Jahren hat er sich dem Ziel verschrieben, den Dammbau zu stoppen
– und dafür sein Studium hintenangestellt.
„Es kommt wirklich selten vor, dass die Weltbank einen Kredit dauerhaft
einstellt, wie sie es heute getan hat“, sagt er und klingt dabei, als könne
er es selbst noch nicht glauben. „Weil sie von dieser Art von Projekt
profitiert“, schiebt er hinterher. „Selbst als das Projekt verzögert wurde,
erhielt die Weltbank Geld von der libanesischen Regierung,
Verzögerungsstrafen.
Sie kümmert sich also nicht wirklich um das Tempo des Projekts. Was die
Weltbank wirklich interessiert, ist ihr Image. Deshalb glauben wir, dass
die Kampagne ‚Rettet das Bisri-Tal‘ und ihre Aktionen zu dieser
Entscheidung gedrängt haben.“
Nassour ist gegen den Damm, weil er vieles zerstört hätte: Rund 600 Hektar
an Landfläche, knapp 150.000 Bäume wie Eichen und Pinien, historische
Stätten wie Brücken und Gräber aus der Bronzezeit. Dort, wo fünf Säulen
eines Tempels von der römischen Zeit zeugen, wäre der Grund des Stausees
entstanden. Außerdem hätte die Mar-Musa-Kirche weichen müssen, ein drei
Jahrhunderte altes Steingebäude, in das Dorfbewohner*innen zum Beten
kommen. Die Weltbank hatte angeboten, die Kirche zu versetzen, doch viele
im Dorf bezweifelten das. Sie fürchteten nicht nur um das Gotteshaus,
sondern auch um ihr Leben.
Denn 1956 forderte ein Erdbeben in der Region 135 Menschenleben. Der
leitende Ingenieur sagte, der Damm könne Erdbeben bis zur Stärke 8 auf der
Richterskala abfedern; der libanesische Rat für Entwicklung und
Wiederaufbau, die Regierungsbehörde, die Infrastrukturprojekte
beaufsichtigt, befand das Tal als erstklassigen Standort für einen
Staudamm.
Die Aktivist*innen waren jedoch nicht überzeugt. Die 39-jährige Leila
al-Ali, ihre sechsjährige Tochter Nirwana und ihre 34-jährige Freundin
Sarah übernachten seit mehr als drei Monaten in einem roten Zelt im
Bisri-Tal. Sie waschen ihre Kleidung regelmäßig im Fluss, kochen auf einem
Campingkocher. 20, an Wochenenden sogar 50 Menschen zelten zwischen den
Pinienbäumen, schätzen sie. „Ich gehe für zwei, drei Tage in der Woche nach
Hause“, erzählt al-Ali, die als Psychologin und Lebensberaterin arbeitet.
„Ich habe mein Leben, meine Klinik, alles verlassen – hierfür“, sagt sie.
„Es ist mein Land, es ist mein Zuhause, der ganze Libanon ist mein Zuhause.
Zuhause ist kein Gebäude, kein Haus. Es ist ein Land, wo du hingehörst. Ich
gehöre hierher.“ Die Aktivist*innen haben Krebse gesammelt, die in
einem Plastikbehälter Bläschen ins Wasser blubbern, und kleine Vögel
gefangen, die sie auf Spießen grillen. „Jeden Morgen machen wir sauber,
trinken Kaffee. Wir gehen an den Fluss, schwimmen ein bisschen. Wir essen
zu Abend und verbringen gemeinsam Zeit“, sagt al-Ali.
Was klingt wie ein Sommercamp, ist eine Protestaktion. Vor knapp einem
Jahr, am 17. Oktober, gingen Tausende Menschen im Libanon auf die Straßen.
Sie protestierten gegen ihre Politiker, denen sie Korruption und
Misswirtschaft vorwerfen. Die Aktivist*innen im Bisri-Tal sehen sich
als Teil dieser Bewegung, der Revolutionäre.
Sie bezweifeln, dass der Kredit der Weltbank je zurückgezahlt werden kann.
Denn der Zentralbank sind die Dollarreserven ausgegangen, woraufhin die
lokale Währung auf dem Schwarzmarkt um 80 Prozent ihres Wertes eingebüßt
hat. Der libanesische Staat ist bankrott, die Schuldenlast des Landes liegt
bei rund 77 Milliarden Euro – knapp 170 Prozent des Bruttoinlandsproduktes.
Tausende Menschen haben aufgrund der Wirtschaftskrise ihre Jobs verloren.
So auch die Kosmetikerin Sarah, die ihren Nachnamen nicht nennen möchte.
## Das Projekt präsentiert die schamlose Wasserpolitik
„Hier geht es nicht nur um den Damm“, sagt sie. „Wir werden jeden
öffentlichen Platz bevölkern. Wir kämpfen für das Land.“ Sie möchte, dass
die Artenvielfalt erhalten bleibt. „Wieso benutzen wir nicht einfach
Brunnenanlagen?“ Ihre Freundin Leila al-Ali fügt hinzu: „Wir sind nicht
dumm. Wir wissen, dass wir Wasser haben, aber sie halten es von uns fern.
Warum? Um Geld zu verdienen. Repariert erst die vorhandenen Dämme! Wir
haben viele, viele Dämme, warum wollen sie einen neuen bauen?“
„Das Bisri-Staudammprojekt repräsentiert alles, wogegen wir als Libanesen
kämpfen“, erklärt Kampagnenkoordinator Nassour. „Es repräsentiert die
Vetternwirtschaft im Libanon, Korruption und Klientelismus. Es
repräsentiert die Finanz- und Wirtschaftspolitik, die nach ausländischen
Krediten trachtet, ungeachtet des tatsächlichen Nutzens des Projekts. Es
repräsentiert auch die schamlose Wasserpolitik, die seit den 40er Jahren
besteht.
Eine Wasserpolitik, die auf die Gewinne für die Bauindustrie durch ein
großes Infrastrukturprojekt abzielt, anstatt wirklich nach nachhaltigen
Lösungen zu suchen, die die lokalen Gemeinschaften und die Umwelt
respektieren. Dieselbe Firma, die den Auftrag zur
Umweltverträglichkeitsprüfung bekam, hat auch den Auftrag zur
Bauüberwachung erhalten.
Dass die Libanes*innen es nicht gutheißen, dass ihre Regierung einen
Millionenkredit für den umstrittenen Damm bekommt, ist auch bis nach Berlin
durchgedrungen. Uwe Kekeritz, Mitglied im Bundestag und Sprecher für
Entwicklungspolitik der Grünen, ist durch libanesische Organisationen auf
den Bisri-Staudamm aufmerksam geworden. Durch gezieltes Nachfragen hat
Kekeritz herausbekommen, dass auch die Bundesregierung den Damm für
unterstützenswert hielt. Zwar ist kein Geld direkt vom
Entwicklungsministerium in das Projekt geflossen, Deutschland hält aber
einen der höchsten Kapitalanteile an der Weltbank und zahlte im Jahr 2019
mehr als 38 Milliarden US-Dollar ein.
Auf seine Anfrage, ob man angesichts der Finanzkrise die Unterstützung an
Entwicklungsprojekten im Libanon überdenke, hieß es von der
Bundesregierung: „Angesichts der enormen Entwicklungsherausforderungen im
Libanon, unter anderem beim Zugang zu sauberem Trinkwasser (…) sowie der
Bedarfe von syrischen Flüchtlingen und deren libanesischen
Aufnahmegemeinden, hält die Bundesregierung die Fortführung der laufenden
Vorhaben und die Umsetzung der geplanten Vorhaben entwicklungspolitisch für
dringend geboten.“
Kekeritz sagt, die „Alarmglocken hätten viel früher läuten müssen“. „…
bin davon überzeugt, dass die Weltbank hervorragende Wissenschaftler hat,
die das Risikopotenzial, dass die Gelder in Korruption versinken, kennen
mussten“, so der Grünen-Abgeordnete.
„Die Anteilseigner haben hier wohl das Signal gegeben: Investiert dort. Und
auch wenn viel Geld eventuell verloren geht, macht das nichts.“ Die
Weltbank selbst habe das Ziel, die Wasserversorgung in Beirut zu
verbessern. „Aber mit den Vorgaben war das meines Erachtens nicht möglich,
und das hätte die Weltbank erkennen müssen.“
Die Weltbank aber sagt, der Stopp des Projekts betreffe auch 460.000
Menschen, die mit weniger als 4 US-Dollar am Tag auskommen müssten – sie
hätten nun keine Chancen auf einen zuverlässigen Zugang zu sauberem Wasser.
„Die Haushalte werden sich nicht auf das öffentliche Wassernetz verlassen
können und werden gezwungen sein, weiterhin auf teure alternative
Wasserquellen wie Tankwagen und Flaschenwasser zurückzugreifen. Die Kosten
für Wasser aus Tankwagen können in einigen Gebieten bis zu 20 US-Dollar pro
Kubikmeter betragen.“
Im Jahr 2015 lag der Wasserverlust durch nicht gewartete Systeme, leckende
Rohre und Diebstahl im Libanon bei rund 50 Prozent. „Die Weltbank hat die
Alternativen nicht ausreichend geprüft“, sagt der Grünen-Politiker
Kekeritz. „Wenn die Leitungen marode sind und Wasser verlieren, dann ist es
für mich logisch, dass ich zunächst erst mal dieses Manko behebe und auch
versuche, andere Möglichkeiten zu erschließen.“
Vor dem Energie- und Wasserministerium in Beirut steht ein runder
Springbrunnen mit leerem Wasserbecken. Im ersten Stock, hinter einem
langgezogenen schwarzen Schreibtisch sitzt Khaled Nakhle, Berater im
Wasserministerium. „Wer sagt, dass wir die [undichten] Rohre nicht
reparieren?“, fragt er. „Seit 10 Jahren reparieren wir die Leitungen, aber
selbst wenn wir alle Lecks stopfen würden, hätten wir noch immer einen
Engpass.“
In seiner Stimme klingt viel Wut, denn er sieht Dämme als günstige und
logische Lösung für Libanons Wassermangel. „Wir müssen die Produktion
erhöhen“, sagt er. Dafür möchte er alle Optionen nutzen und weigert sich,
„nur von Alternativen“ zu sprechen. „Der einfachste Weg ist es, natürlic…
Quellen zu nutzen. Und der zweitgünstigste Weg ist der Bau von Dämmen. Wenn
das nicht ausreicht, geht man ans Grundwasser.“
## Der Report löste eine Kontroverse über Staudämme aus
Gegenwärtig speichert der Libanon nur 6 Prozent seines Wassers in
Reservoiren. Viele Menschen sind auf illegal gebohrte Brunnen angewiesen.
Die Weltbank schätzt, dass rund 60.000 illegale Bohrlöcher übermäßig
genutzt werden und Wasser von zweifelhafter Qualität hervorbringen.
Der Fahrplan des Wasserministeriums aus dem Jahr 2010 sieht vor, 19 Dämme
in dem Land zu bauen, das gerade einmal halb so groß ist wie Hessen. 2015
prüfte Ecodit, eine kleine US-amerikanische Firma, die zusammen mit
Regierungen nachhaltige Entwicklungsprojekte angeht, diese Wasserstrategie.
Alternativ zu den Dämmen schlug Ecodit vor, durch Aufforstung die
Grundwasserneubildung anzukurbeln, Regenwasser von Dächern zu gewinnen,
Schmutzwasser aufzubereiten und wiederzuverwenden. Außerdem empfahl die
Firma, die Konstruktion von damals neun Dämmen zu stoppen und stattdessen
auf Unterwasserquellen zu setzen – diese Ausflüsse unter der Wasserlinie,
genannt submarine Quellen, könnten zwischen dem salzigen Meerwasser
trinkbares Süßwasser liefern.
Dabei veröffentlichte die Welttalsperrenkommission vor 20 Jahren bereits
einen Bericht über Staudämme. Die Kommission wurde unter anderem von der
Weltbank eingerichtet und sollte untersuchen, was an der Kritik von Dämmen
dran ist. Ihr Fazit: Viele Projekte blieben hinter den Erwartungen für die
Wasserversorgung und Energiegewinnung zurück, verursachten hohe Kosten und
schädigten die Umwelt.Der Report löste eine Kontroverse über Staudämme aus.
2014 untersuchten Forscher*innen der Universität Oxford 245 große
Talsperren, die zwischen 1934 und 2007 gebaut wurden. Sie fanden heraus,
dass große Staudämme eine riskante Investition sind. Sie kosteten mehr als
geplant, verschuldeten die Länder des Globalen Südens und lieferten keine
versprochenen Vorteile. Der Report löste eine Kontroverse über Staudämme
aus. Die Hauptkritik: Staudämme folgten einem veralteten
Entwicklungsparadigma, bei dem Entwicklung durch wirtschaftliches Wachstum
erreicht werden soll. Ein massiver Damm sei die Manifestierung dieser
Herangehensweise in Beton.
In den USA wurden zwischen 1990 und 2015 rund 900 Dämme entfernt, in Europa
rund 5.000, wie die Organisation „Dam Removal Europe“ angibt. Der bislang
größte Dammrückbau in der Geschichte der USA erfolgte am Elwha-Fluss: 2014
ließ die Wasserbehörde im Staat Washington bis zu 64 Meter hohe Mauern und
36 Millionen Tonnen Sediment abbauen. Die zwei Dämme dort verhinderten die
Reise der Lachse, die Zahl der Wildlachse ging drastisch zurück.
Während in Ländern des Globalen Nordens Staudämme abgerissen werden, um
Flüsse und Naturgebiete wieder herzustellen, weil die Wartungskosten zu
hoch sind oder sich Schlamm und Sedimente im Innern ablagern, werden sie im
Globalen Süden vermehrt gebaut. Dort erleben Dämme einen zweiten Frühling.
„Renaissance“ heißt auch die Talsperre, mit der Äthiopien den größten
Stausee Afrikas anstaut.
Der Bisri-Staudamm ist nicht der erste seiner Art im Libanon. Doch die
Bilanz ist schlecht. Ein Damm in Brissa wurde fehlgeplant, es fehlte eine
Membran, die das Auslaufen verhindert. Mit einem 15-Millionen Kredit aus
Kuwait soll nachgebessert werden, sagt Berater Nakhle aus dem
Wasserministerium. Der Mseilha-Damm, dessen wasserleeres Becken die
Libanes*innen regelmäßig von einem Spazierpfad am Berg aus begutachten
können, hat keinen Tropfen Wasser gesammelt. „60 Prozent seines Volumens
waren schon gefüllt“, erklärt Nakhle.
„Dann hat man das Becken geleert, analysiert und realisiert, dass es ein
paar Fehler hat. Es ist aber normal, dass die Überprüfung ein, zwei Jahre
dauert.“ Brissa war 12 Jahre lang im Bau, doch das Wasser lief in den
Boden, und der Beton, der im Nachhinein dem existierenden Beton hinzugefügt
wurde, brach zusammen.
Werden die Dämme nur gebaut, damit die Bauträger davon profitieren? Der
Subauftragnehmer des Bisri-Damms, Dany al-Khoury, ist dafür bekannt, dem
Präsidenten Michel Aoun nahezustehen. Er setzte umstrittene Projekte im
Libanon um wie beispielsweise den Bau eines Yachthafens oder einer
Mülldeponie direkt am Mittelmeer. „Lassen wir uns nicht durch die
Propaganda der Medien blenden“, sagt der Berater Nakhle und fragt: „Hat
irgendjemand Bauer erwähnt?“
Die deutsche Firma Bauer hätte die Staumauer bauen sollen. „Der
Hauptauftragsnehmer ist eine türkische Firma, die laut Vertrag 70 Prozent
[des zu vergebenden Geldes] bekommt. Dann gehen 16 Prozent des Auftrags an
Bauer und es bleiben nur noch 14 Prozent für den libanesischen
Subunternehmer“, so Nakhle. Bauer bekäme rund 35 Millionen Dollar, für
Dany Khoury blieben dann noch knapp 27 Millionen. „Und das ist die
Korruption, die ganz Libanon erschüttert?“
Das Wasserministerium setzt weiter auf Dämme. „Aufgrund der Finanzkrise
fällt es dem Auftragnehmer schwer, Material zu importieren, da frische
Dollar für das Material benötigt werden“, gibt Nakhle zwar zu. „Aber
trotzdem werden wir nächsten Winter bereit sein, die [Mseilha-] Talsperre
zu füllen, und dann werden [die Kritiker] den Mund halten.“
## Vielleicht braucht es keinen Plan für die Zukunft
Die Aktivist*innen waren zuletzt mit etwas anderem beschäftigt. Ende
September brach im Tal ein Feuer aus. Eine Gruppe von Aktivist*innen
löschte die Glut, die auch nach dem Feuerwehreinsatz noch in Marj Bisri
brannte. So stellten sie sicher, dass nicht erneut Feuer ausbricht. Der
Vorfall ist symptomatisch für den Libanon, in dem die Menschen sich nach
der Explosion vom 4. August im Hafen von Beirut oder nach Waldbränden
selbst helfen müssen, weil der Staat abwesend ist.
Der jedoch besitzt nun das Land, bezahlt durch den Kredit der Weltbank, auf
dem der Stausee gebaut werden sollte. Auf 150 Hektar an Agrarland wuchsen
Oliven, Zitronen und Granatäpfel. Die Landbesitzer*innen erhielten
zwar Kompensationen, Bauern und Feldarbeiter*innen jedoch verloren
ihre Jobs. Einige Bauern arbeiten auch weiterhin auf dem Land, illegal. Was
die Regierung nun mit dem Agrarland macht, ist fraglich.
Die 39-jährige Sarah sagt: „Das Land gehört den Menschen, nicht der
Regierung. Wir kümmern uns und schützen es – nicht die Regierung.“ Sie und
ihre Freundin al-Ali möchten bleiben, weil sie kein Vertrauen haben.
„Unsere Regierung ist nicht sauber. Vielleicht werden sie uns eines Tages
austricksen. Das haben sie schon mal gemacht: Sie haben den Sand, die
Steine und die Bäume genommen und sie verkauft. Und niemand hat es
mitbekommen. Sie teilen das Bisri-Tal unter sich auf, und wir, die Leute,
wissen davon nichts. Wir werden jetzt nicht gehen.“
Von dem Plateau, auf dem al-Ali und ihre Mitstreiter*innen das Camp
errichtet haben, führt ein kleiner Weg bergabwärts zwischen Orangenbäumen
und wilden Gräsern zum Wasser. Der Fluss ist an dieser Stelle knietief. Den
Kindern reicht es, um darin zu plantschen, Erwachsene sitzen auf
Plastikstühlen daneben und rauchen Wasserpfeife, grillen. Kampagnenleiter
Roland Nassour wirkt erschöpft und glücklich. Vielleicht, sagt er, brauche
es keinen Plan für die Zukunft. „Das Bisri-Tal existierte schon lange vor
uns, noch vor der Gründung des libanesischen Staates. Ich meine, vielleicht
brauchen wir nicht immer eine kreative Vision für die Umwelt, weil alles in
Ordnung ist, so wie es ist.“
9 Oct 2020
## AUTOREN
Julia Neumann
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