# taz.de -- Libanon in der Krise: Hariri kommt zurück | |
> Vor einem Jahr trat er nach Massenprotesten ab. Nun soll im Libanon | |
> niemand anderes als Saad al-Hariri erneut eine Regierung bilden. | |
Bild: Hat schon drei Regierungen geführt: Saad al-Hariri | |
BEIRUT taz | Viele können es nicht fassen: In Massen waren die Menschen im | |
Libanon auf die Straßen gegangen, um ein neues politisches System zu | |
fordern. „Alle heißt alle“, lautete ihre Forderung, mit der sie einen | |
Austausch der gesamten als korrupt empfundenen politischen Elite forderten. | |
Viel Konkretes erreichten sie nicht, doch zumindest [1][verkündete Saad | |
al-Hariri im Oktober vergangenen Jahres seinen Rücktritt] als | |
Regierungschef. Unter den Demonstrierenden in Beirut brach Jubel aus. | |
Nun aber soll Hariri zurückkommen: Nach einem äußerst turbulenten Jahr und | |
einer gescheiterten Nachfolgeregierung hat Staatspräsident Michel Aoun den | |
50-Jährigen am Donnerstag erneut mit der Bildung einer Regierung | |
beauftragt. Dies teilte das Präsidialamt am Donnerstagmittag nach | |
Beratungen Aouns mit den parlamentarischen Blöcken mit. | |
Allerdings muss Hariri zunächst noch ein Kabinett zusammenbekommen, das im | |
komplizierten Machtgefüge des kleinen Mittelmeerstaats konsensfähig ist. | |
Nach Hariris Rücktritt hatte seit Januar zunächst Hassan Diab eine | |
Regierung geführt. Doch sieben Monate nach dessen Amtsantritt trat Diab als | |
Reaktion auf die Explosion im Hafen Beiruts Anfang August mitsamt seinem | |
Kabinett zurück. Seinem zeitweilig designierten Nachfolger, dem | |
libanesischen Botschafter in Berlin, Mustafa Adib, gelang es nicht, eine | |
neue Regierung zu bilden. Er gab im September auf. | |
Mit Hariri soll nun ein politisches Schwergewicht erneut das Amt des | |
Regierungschefs übernehmen, das im Libanon nach einer jahrzehntealten | |
Konvention stets von einem sunnitischen Muslim bekleidet wird. Hariri, | |
Vorsitzender der Partei Zukunftsbewegung, gilt seit Jahren als | |
prominenteste und einflussreichste Führungsfigur der Sunnit*innen im Land. | |
Sollte ihm eine Regierungsbildung gelingen, wäre es das vierte Mal, dass er | |
Regierungschef wird. Der schwerreiche Unternehmer, der neben der | |
libanesischen auch die saudische Staatsbürgerschaft hat, war seit Ende 2016 | |
Regierungschef gewesen. Zuvor hatte er bereits von 2009 bis 2011 regiert. | |
Obwohl er über gute Kontakte nach Riad verfügt, ist es Hariri in der | |
Vergangenheit gelungen, auch mit der einflussreichen schiitischen Hisbollah | |
auszukommen. | |
## Proteste haben an Intensität verloren | |
Hariris Vater, der Unternehmer und Politiker Rafik al-Hariri, hatte in den | |
neunziger Jahren die im Bürgerkrieg zerstörte Hauptstadt Beirut wieder | |
aufgebaut und sich dabei maßlos selbst bereichert. Er war ebenfalls | |
mehrmals Regierungschef, bevor er [2][2005 in Beirut ermordet wurde]. Viele | |
machen die Hisbollah für den Anschlag verantwortlich. | |
Eine neue Regierung im Libanon würde vor der Aufgabe stehen, das Land aus | |
einer schweren Wirtschaftskrise zu führen. Gleichzeitig stellt sich die | |
Frage, ob der Druck der Straße nachlässt und sich die alte politische Elite | |
des Landes unverändert an der Macht halten kann. | |
Bereits am Mittwoch, nachdem bekannt wurde, dass Hariri erneut zum | |
Regierungschef ernannt werden sollte, kam es zu Demonstrationen in Beirut. | |
Die monatelangen Massenproteste, die im vergangenen Oktober begonnen, | |
hatten seit der Coronakrise aber an Intensität verloren. Auch die | |
verheerende Explosion am 4. August in Beirut änderte daran nichts. | |
22 Oct 2020 | |
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[1] /Nach-Sozialprotesten/!5633780 | |
[2] /UN-Sondertribunal-zum-Mord-an-Hariri/!5707533 | |
## AUTOREN | |
Jannis Hagmann | |
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