# taz.de -- Konflikt um Renaissance-Staudamm: Jeder will zu viel vom Nil | |
> Äthiopien und Ägypten steuern auf einen Wasserkrieg zu. Hintergrund: der | |
> ungelöste Streit um das größte Wasserkraftwerk Afrikas am Blauen Nil. | |
Bild: Pharaonisches Bauwerk in Äthiopien: die Renaissance-Dammbaustelle, hier … | |
BRÜSSEL taz | Es soll das größte Wasserkraftwerk Afrikas werden: der | |
Renaissance-Staudamm am Blauen Nil in Äthiopien, mit einer Kapazität von | |
6.000 Megawatt. Seit Jahren ist das Riesenbauwerk der ganze Stolz | |
Äthiopiens, dessen Bevölkerung von 110 Millionen Menschen meist in Armut | |
lebt und mehrheitlich keinen Strom hat. Aber seit Äthiopiens | |
Ministerpräsident Abiy Ahmed angekündigt hat, den Stausee in der | |
diesjährigen Regenzeit ab Juli innerhalb eines Monats komplett zu füllen, | |
schrillen sämtliche Alarmglocken in der Region, denn Ägypten lehnt den Damm | |
als Gefährdung seiner eigenen Wasserversorgung ab. | |
Abiy machte die Zeitvorgabe am 1. April, dem neunten Jahrestag des | |
Baubeginns. Er will Fakten schaffen, nach dem Scheitern von Verhandlungen | |
mit Ägypten unter US-Vermittlung. Die äthiopische Regierung hatte ein von | |
US-Finanzminister Steven Mnuchin erarbeitetes Abkommen abgelehnt, dem | |
Ägypten am 29. Februar zugestimmt hatte. Sudan, das zwischen den beiden | |
Giganten des Nils sitzt, hatte sich als Vermittler ins Spiel gebracht. Die | |
neue Übergangsregierung in Khartum ist politisch eng mit Ägypten verbündet, | |
aber in Kairo weiß man, dass der äthiopische Damm für Sudan von Nutzen ist, | |
weil er den Abfluss beständiger gestaltet und damit das | |
Überschwemmungsrisiko mindert, ganz abgesehen von möglichen Stromexporten | |
aus Äthiopien. | |
Umstritten zwischen Kairo und Addis Abeba ist vor allem, wie schnell das | |
Wasserkraftwerk fertig wird. Je schneller der Stausee vollläuft, desto | |
weniger Wasser bleibt in diesem Zeitraum flussabwärts übrig. Der See fasst | |
74 Milliarden Kubikmeter Wasser und füllt sich bereits. Nach Angaben des | |
äthiopischen Energieministers Seleshi Bekele ist das gesamte | |
Wasserkraftprojekt zu drei Vierteln fertiggestellt. | |
Äthiopien wollte eigentlich eine Dauer von 7 Jahren, Ägypten verlangte | |
einen viel längeren Zeitraum. Die US-Position war, dass vor einer | |
Fertigstellung ein Abkommen zwischen den beteiligten Ländern stehen soll. | |
Aus äthiopischer Sicht gibt Washington so Kairo eine Art Vetorecht. Nun | |
boykottieren ihrerseits die äthiopischen Unterhändler weitere Gespräche. | |
## Ägyptens Lebensader – Äthiopiens Überlebenschance | |
Die Spannung steigt. Für Ägypten ist der Nil [1][die Lebensader]; der Fluss | |
liefert 90 Prozent des ägyptischen Wassers. Der Blaue Nil, der in Äthiopien | |
entspringt, liefert 80 Prozent des Nilwassers und seine saisonalen | |
Schwankungen gewährleisten die saisonale [2][Bewässerung des äyptischen | |
Ackerlandes] am Fluss. Der Damm in Äthiopien dürfte das verfügbare Wasser | |
pro Kopf in Ägypten von 570 auf 500 Kubikmeter im Jahr reduzieren. | |
Weniger Wasser im Nil heißt auch, dass mehr Mittelmeerwasser ins | |
Flusssystem eindringt. Die damit einhergehende Versalzung könnte Ägyptens | |
Agrarproduktion bis 2060 halbieren, hat der UN-Weltwasserbericht 2018 | |
prognostiziert. | |
Äthiopien kontert, dass die aktuelle Wasseraufteilung kolonialen Ursprungs | |
sei. 1959 hatten Ägypten und Sudan untereinander vereinbart, dass Ägypten | |
von den 84 Milliarden Kubikmeter Wasser, die der Nil führt, 55 Milliarden | |
erhält und Sudan 18,5 Milliarden. Sie bestätigten damit mit erhöhten Mengen | |
eine Vereinbarung von 1929 aus der britischen Kolonialzeit. [3][Äthiopien, | |
das Hauptquellland des Nils], wurde weder beteiligt noch berücksichtigt, | |
ebenso wenig die Quellenländer des längeren, aber weniger Wasser führenden | |
Weißen Nils wie Uganda. Die ägyptisch-sudanesische Vereinbarung besagt | |
auch, dass Bauwerke am Nil in anderen Ländern die Zustimmung Kairos und | |
Khartums brauchen. | |
Eine postkoloniale Vereinbarung über die Nutzung des Nilwassers, die alle | |
betroffenen Länder einbezieht, gibt es bis heute nicht. Die „Nile Basin | |
Initiative“ aus allen Nilbeckenstaaten soll das zwar erreichen, aber | |
Ägypten zog sich zurück und besteht auf den Abkommen von 1929 und 1959. | |
Bei den Gesprächen in den USA deutete sich zwar Kompromissbereitschaft an: | |
Ägypten habe einer Begrenzung auf 40 Milliarden Kubikmeter zugestimmt, | |
Äthiopien habe nur 31 Milliarden freigeben wollen; eine Einigung auf 37 | |
Milliarden sei greifbar gewesen, doch Äthopien habe sich zurückgezogen, | |
heißt es in Berichten auf Grundlage eines geleakten Abkommensentwurfs. | |
## Ägyptische Militärbasis in Eritrea? | |
Nun mobilisieren beide Seiten. Zum einen diplomatisch: Ägypten hat die | |
Arabische Liga hinter sich, Äthiopien die Staaten des südlichen Nilbeckens. | |
Aber auch militärisch: Äthiopiens Regierung hat um den Damm herum | |
Panzerverbände zusammengezogen. Man erinnert sich in Addis Abeba noch gut | |
an das Jahr 2013, als Ägyptens Muslimbrüder, die damals mit Mohammed Mursi | |
den Präsidenten stellten, offen über die Zerstörung des Dammes | |
diskutierten, durch Luftangriffe oder Raketenbeschuss. Ägyptens heutiger | |
Präsident Sisi hat dem ein Ende gesetzt, aber das Misstrauen ist geblieben. | |
Ägypten erwägt nun militärische Zusammenarbeit mit Eritrea, das sich bis zu | |
Abiys Amtsantritt 2018 zwanzig Jahre lang im Kriegszustand mit Äthiopien | |
befand. Nach Medienberichten will Ägypten eine Militärbasis auf der | |
eritreischen Insel Nora im Roten Meer errichten. Eritrea arbeitet bereits | |
mit arabischen Ländern im Jemen zusammen und hat mit einem Pachtvertrag | |
über 30 Jahre den Golfstaaten eine Militärbasis in Sawa überlassen. | |
Mit einer Militärpräsenz in Eritrea wäre Ägypten militärisch an beiden | |
Enden des Roten Meeres präsent und könnte Äthiopiens Versorgungswege | |
blockieren. Am vergangenen Wochenende nannte Äthiopiens Regierung den | |
Streit um den Nil eine „Überlebensfrage“. | |
29 Apr 2020 | |
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## AUTOREN | |
François Misser | |
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