# taz.de -- Landwirtschaft am Nil in Sudan: Die phantastische Insel | |
> Zwischen dem Blauen und Weißen Nil liegt das heimliche Eldorado Sudans. | |
> Aber die Bauern dort fürchten um ihre Zukunft. | |
Bild: Strand am Blauen Nil, der so heißt, obwohl er hier eher weiß scheint | |
GEZIRA taz | Eingeklemmt zwischen dem Weißen und dem [1][Blauen Nil in | |
Sudan] liegt eines der wichtigsten landwirtschaftlichen Gebiete des Landes: | |
das Gezira-Projekt, etwa 12.000 Quadratkilometer Ackerland mit einem der | |
größten Bewässerungsnetze der Welt. | |
Gezira ist das arabische Wort für Insel. Und obwohl das Gezira-Projekt | |
nicht auf einer richtigen Insel liegt, sieht es doch ein wenig danach aus, | |
weil es auf zwei Seiten an zwei riesige Flüsse grenzt: den Blauen und den | |
Weißen Nil. Erst etwa 170 Kilometer nördlich, in Khartum, verschmelzen die | |
beiden. | |
Das Geheimnis von Gezira: die beiden Hauptarme des Nils transportieren zu | |
unterschiedlichen Jahreszeiten besonders viel Wasser. So kann mal der Weiße | |
Nil, mal der Blaue Nil das Gebiet bewässern – allein durch die Schwerkraft, | |
ohne dass weitere kostspielige Anlagen nötig sind. „Es soll immer in beiden | |
Flüssen genügend Wasser geben“, sagt Gezira-Direktor Siddiq Abuashara in | |
seinem bescheidenen Büro der Hauptstadt Khartum. „Daher ist es für Sudan, | |
und sicherlich für Gezira, äußerst wichtig, dass schnell eine gute Einigung | |
erzielt wird über den [2][riesigen Damm, den Äthiopien am Blauen Nil | |
baut].“ | |
An den Wänden seines Büros hängen riesige Landkarten von Gezira, wie auch | |
Bilder von Gewächsen aus dem Projekt. Für Besucher liegen auf dem Tisch | |
Apfelsinen aus Gezira, es gibt Zitronenlimonade aus den dortigen Früchten. | |
## Wasserhahn ohne Wasser | |
Als Äthiopien im Jahr 2020 begann, den Stausee des Grand Ethiopian | |
Renaissance Damm (GERD) zu füllen, merkte das ein großer Teil der | |
Bevölkerung in Sudan. Der Wasserstand des Blauen Nils sank auf einen | |
Tiefpunkt, so dass nach Khartum kein Trinkwasser gepumpt werden konnte. | |
Drei Tage lang kam kein Tropfen aus den Wasserhähnen. | |
„Wir wussten nicht, was los war“, erzählt Mariam Mohamed, eine junge | |
Hausfrau in Khartum. „Erst am nächsten Tag wurde es uns im Radio erklärt. | |
Wir hatten dann schon einen hektischen Tag hinter uns, um Wasser zu finden | |
und Kanister zu kaufen.“ Äthiopien hatte Ägypten und Sudan nicht im Voraus | |
informiert. Dieses Jahr droht eine Wiederholung. | |
Für Sudans Wirtschaft ist das schlecht. Das Potenzial von Gezira wurde | |
bereits 1904 von den britischen Kolonialherren erkannt. Anfangs wurde dort | |
hauptsächlich Baumwolle für den Export nach Großbritannien angebaut. Nach | |
Sudans Unabhängigkeit 1956 kamen immer mehr andere Produkte dazu: Getreide, | |
Sonnenblumen für Öl, Früchte für den lokalen Verbrauch und Export. Die | |
Hoffnung für Sudans Kornkammer war sehr groß. | |
Der Militärputsch von Omar al-Bashir im Jahr 1989 – er sollte [3][dreißig | |
Jahre lang an der Macht] bleiben – machte die Hoffnungen zunichte. „In | |
Gezira übernahmen seine Anhänger zunehmend Land von den ursprünglichen | |
Bauern und schlachteten Gebäude und Maschinen aus, um sie als Schrott ins | |
Ausland zu verkaufen. Die Bewässerungskanäle wurden vernachlässigt, wodurch | |
sie verschlammten oder einstürzten“, erzählt Abuashara. | |
[4][Nach Bashirs Sturz] im Jahr 2019 durch einen Volksaufstand, den | |
schließlich das Militär unterstützte, bekam Abuashara von der neuen | |
Regierung den Auftrag, Gezira neues Leben einzuhauchen. Der Ökonometriker, | |
der vor Bashirs Herrschaft geflohen war und 30 Jahre in den USA lebte, ist | |
ein echter Gezira-Experte. Nicht nur weil er drei Bücher über das | |
Bewässerungssystem von Gezira geschrieben hat, sondern auch, weil er dort | |
auf dem Land seines Vaters aufwuchs. | |
„Das waren gute Zeiten, Es gab reichlich zu essen und Erntenüberschüsse zum | |
Verkauf. Wir machten uns keine Sorgen über die Regensaison, solange es in | |
beiden Nils Wasser gab“, erinnert sich Abuashara. | |
Jetzt funktionieren etwa 85 Prozent des Bewässerungssystems nicht mehr. Der | |
Chef des Gezira-Projekts hat ausgerechnet, dass 700 Millionen Euro nötig | |
sind, um es wieder in Gang zu bringen. „Wir können das niemals allein | |
finanzieren und suchen nach Investoren im Ausland, weil Sudan | |
wirtschaftlich und finanziell am Boden liegt.“ | |
## Ein Wunder vollbringen | |
Um das Interesse von lokalen und internationalen Investoren zu wecken, sind | |
nach seiner Meinung vor allem Gewissheit und Informationen über den | |
äthiopischen Damm GERD nötig, der kurz hinter der äthiopischen Grenze | |
liegt. „Das Gezira-Projekt ist aufgrund seiner Lage zwischen den beiden | |
Flüssen einzigartig und sollte zusammen mit unserer Bewässerungskompetenz | |
ein Wunder vollbringen können“, lautet Abuasharas Überzeugung. | |
Das Gezira-Projekt ist zwar einzigartig, aber Sudan hat noch andere | |
fruchtbare Gebiete am Nil. Während der Norden des Landes aus Wüste besteht, | |
sind etwa 700.000 Quadratkilometer im Süden besonders nützlich für | |
Landwirtschaft – ein Riesenpotential. Aber davon werden nur rund 20 Prozent | |
benutzt. Die Führung von Bashir hatte kein Interesse daran, dass die eigene | |
Bevölkerung das Land bebaut. Sie verpachtete lieber gigantische Flächen an | |
arabische Länder, als Ackerland für den Export. | |
Die Übergangsregierung aus Zivilisten und Militär, die Sudan seit Bashirs | |
Sturz regiert, hat ein Auge auf die Landwirtschaft geworfen, immerhin der | |
drittgrößte Wirtschaftszweig des Landes. „Die Bauern, die noch in Gezira | |
sind, und andere Interessierte haben Lust, Gezira wieder aufzubauen“, | |
erklärt Abuashara. Aber sie bräuchten Sicherheit über die Zukunft des Nils. | |
„Darum ist alles rund um den GERD so wichtig.“ | |
Der Gezira-Chef arbeitet an einer verbesserten Zusammenarbeit zwischen den | |
Bauern, die Ackerland pachten, dem Staat, dem das Bewässerungssystem | |
gehört, und der Gezira-Verwaltung. Er hat den Landwirten vorgeschlagen, in | |
den Wintermonaten vor allem Weizen anzupflanzen. Es gibt seit Jahren einen | |
Mangel an Weizen in Sudan – das führt zu einem Defizit an Brot, und | |
steigende Brotpreise waren der Auslöser für die Proteste, die schließlich | |
2019 zum Umsturz führten. [5][Heute geht es den Menschen noch nicht besser] | |
als damals. „Die Lage in Sudan ist momentan schwierig für die Bevölkerung. | |
Wenn es genügend Brot gibt, sind die Sudanesen zufriedener“, analysiert | |
Abuashara. | |
## Tuti ist kein Paradies mehr | |
Wie prekär die Lage ist, zeigt sich in Khartum, wo der Blaue und Weiße Nil | |
sich vereinen. Genau an dieser Stelle gibt es eine richtige Insel, ein | |
Miniatur-Gezira, mit dem Namen Tuti. | |
Es war früher ein acht Quadratkilometer großes Gartenparadies im Zentrum | |
von Khartum, wo Gemüse angebaut wurde. Jeden Tag wurde es frisch per Fähre | |
ans Festland gebracht. Aber vor zehn Jahren wurde eine Brücke gebaut. Die | |
Äcker wurden immer kleiner, weil sie Platz machen mussten für Wohnhäuser. | |
Und an den Wochenenden kommen hunderte Jugendliche und feiern auf dem | |
kleinen Strand. | |
An einem schmalen Sandweg auf Tuti liegt ein gepflügter Acker. Wie oft bei | |
Äckern am Nil gibt es auch eine kleine Ziegelei. Eigentümer Ali Yahya sitzt | |
im Schatten und wartet auf einen Freund, der ihm versprochen hat, ihn nach | |
Hause auf das Festland zu fahren. „Der Nil, der so großzügig fruchtbaren | |
Schlamm bringt, hat mir voriges Jahr mit den Überschwemmungen alles | |
weggenommen. Wie ein wildes Tier hat der Fluss sich benommen“, erzählt der | |
Bauer. „Aber dann auf einmal war das Wasser ganz niedrig, als die Äthiopier | |
den GERD teilweise füllten. Zusammen mit dem Klimawandel wird | |
Landwirtschaft zu einer rätselhaften Glückssache.“ | |
Die noch übriggebliebenen Bauern auf der Tuti-Insel sind überwiegend vom | |
Wasser des Nils abhängig. Schließlich hat Khartum nur an durchschnittlich | |
18 Tagen im Jahr Regen – kaum 16 Zentimeter. | |
Nach der nächsten Ernte will der 63-jährige Yahya sein Land verkaufen. Er | |
ist müde von dem Kampf mit dem Fluss und den Behörden, die den Bau von | |
Wohnungen zugelassen haben. „Das Leben eines Bauern wird immer schwieriger | |
und jetzt kommt noch die Ungewissheit über den äthiopischen Damm dazu. Es | |
reicht mir.“ | |
10 May 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Blauer-Nil-in-Sudan/!5762230 | |
[2] /Konflikt-zwischen-Aethiopien-und-Aegypten/!5695147 | |
[3] /Prozess-gegen-Omar-Al-Bashir/!5616233 | |
[4] /Sudans-Weg-zur-Demokratie/!5738903 | |
[5] /Zehn-Jahre-Arabischer-Fruehling/!5734139 | |
## AUTOREN | |
Ilona Eveleens | |
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