Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Wasserschutz in Indien: Alles im Fluss
> In Rishikesh am Ganges wird Indiens heiliger Fluss zugleich verehrt,
> verschmutzt – und gereinigt. Aber genügt das, um das Flusssystem zu
> bewahren?
Bild: Rishikesh: Yoga am Ganges
Fünf junge Männer in roten Gewändern stehen am Flussufer. Sie schwingen
jeweils eine kleine Glocke in der linken Hand. In der rechten halten sie
Räucherstäbchen, die sie synchron bewegen. Aus den Lautsprechern tönt das
Gebetslied ‚Es lebe Mutter Ganga‘ der Bollywood-Sängerin Anuradha Paudwal.
Die Flusszeremonie Aarti beginnt täglich mit dem Sonnenuntergang. Am Ende
lassen Gläubige Blätterschiffchen mit Kerzen den Fluss hinuntertreiben. Sie
leuchten wie brennende Blumen in dem klaren Wasser.
Die Ganga Aarti an der Badestelle Shatrughan im nordindischen Rishikesh
dauert eine gute halbe Stunde. Der Alltag erscheint weit weg – wären da
nicht die gezückten Smartphones der Besucher:innen, die sich links von der
Badestelle am Steg postiert haben. Doch Manoj Dwivedi, der als Priester des
Shatrughan-Tempels das Gebet anleitet, freut sich über alle Teilnehmenden.
Der 58-Jährige im Hemd, heller Weste und weißer Hose möchte die Augen der
Gäste für die Schönheit des Ganges öffnen.
Während des Lockdowns war es in Rishikesh, durch das sich der türkis
schimmernde Ganges seinen Weg von den Gletschern des Himalaya bahnt,
ungewohnt ruhig. Dwivedi sieht das Positive, auch wenn das vergangene Jahr
für viele in der von Touristen abhängigen Stadt ein großer Dämpfer war. Er
strahlt Zufriedenheit aus.
„Der Lockdown hatte einen negativen Effekt auf die Gesellschaft. Aber es
sind auch einige gute Dinge passiert, wie zum Beispiel die Reinigung des
Ganges. Heute ist er genauso sauber wie vor 50 Jahren. Das Wasser ist viel
klarer, da der Einfluss von Menschen drastisch reduziert wurde“, sagt
Dwivedi. Am Ufer warten schon die Kühe, die nach Ende des Gebetes darauf
hoffen, ein paar Blumen abzustauben, die sie mit ihren Zungen vom Boden
oder der Hand der Besuchenden fressen.
Wenn der Ganges Rishikesh erreicht, ist er gesäumt von offenen Klöstern:
den Ashrams. Orange gekleidete Sadhus wandeln durch die Gassen von Ram
Jhula und Lakshman Jhula, wo sich die meisten Unterkünfte, Restaurants und
unzählige Souvenirläden befinden und sich Reisende gerne niederlassen –
jedenfalls taten sie das vor der Pandemie.
Doch nicht überall in Rishikesh ist es so idyllisch wie an den
Jhula-Hängebrücken und das Wasser so sauber.
## Plastikfetzen und Unrat
Die Bewohner:innen von Sarvahara Nagar, wie Herr Dwivedi, versuchen,
alles vor ihrer Haustür sauber zu halten. Aber Plastikfetzen und Unrat
landen nur zu oft vor ihren Füßen, besonders bei denen, die direkt an dem
kleinen Bach wohnen, der in den Ganges fließt. Einst ein städtischer Slum,
hat sich das Viertel zu mehrstöckigen Wohnungen gemausert, die enge Straßen
flankieren. Doch noch immer fehlt ihnen Anschluss an ein Abwassersystem. 24
der 40 Stadtteile Rishikeshs haben keinen direkten Zugang.
Im Stadtteil Sarvara Nagar gingen die Bewohner:innen bis vor ein paar
Jahren in die Büsche statt auf eine Toilette. Die Zeiten, in denen die
Frauen hier frühmorgens und abends mit einem Eimer Wasser raus mussten, um
ihre Notdurft zu verrichten, vermissen sie keineswegs, sagt die angehende
Lehrerin Shanti.
Die 26-jährige Hindu trägt eine gelbe Kopfbedeckung und einen Nasenring.
Mit ihren Brüdern wie Cousine und Cousin lebt sie hier in einem Ziegelbau.
Im betonierten Innenhof deutet ein Metalldeckel auf die darunterliegende
Klärgrube hin. Die wurde seit dem Bau nicht professionell geleert, sagt
sie.
Das Reinigen kostet etwas 3.000 Rupien (35 Euro) bei einem Tank dieser
Größe. Für Shanti, die noch Arbeit sucht, ist diese Summe viel Geld, auch
für die Händlerin Usha Devi, die draußen an der Hauswand Gemüse verkauft
und damit etwa 2.400 Rupien (28 Euro) im Monat einnimmt.
Die 53-Jährige hat vor sich Kürbis, Bohnen, Knoblauch und Kartoffeln
ausgebreitet. Hinter ihr und der Mauer fließt leicht schäumendes Wasser den
offenen Kanal entlang. Wenn nicht viel los ist, liest Usha Zeitung oder
unterhält sich mit den Nachbarn. Ihr entgeht nichts. „Alle zwei, drei Tage
kommen die Leute von der Stadtverwaltung. Sie reinigen den Abwasserkanal
und tropfen Medizin hinein, damit es nicht zu stinken anfängt“, sagt Usha.
Sie weiß, dass sich hier nicht jeder an die Regeln hält und dass manche
heimlich in der Nacht Fäkalien in die Rinne schütten, die mit dem Bach
verbunden ist.
Dabei ist der Ganges einer der heiligsten Flüsse Indiens. Damit aber nicht
alles im Fluss landet, hat die Stadt Rishikesh die Kapazitäten einer
weiteren Kläranlage ausgebaut und in Kooperation mit der deutschen GIZ
(Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit) eine Studie durchgeführt,
um den Bedarf zu ermitteln. Sie möchte den Bewohner:innen künftig
anbieten, die Behälter über die Stadt und mit fixen Preisen zu leeren. Die
Klärgruben sind gefährlich, denn durch zu starke Ansammlung von Gasen
können sie explodieren.
Nicht nur Abwässer landen im Fluss. Gläubige Hindus werfen Bilder mit
Göttern nicht einfach in den Mülleimer. Sie werden im Ganges versenkt oder
landen unter einem Banyan-Baum. Dazu kommen Tausende Kilo Blumen.
Damit in Rishikesh nicht alle Blumen den Ganges hinuntergespült werden,
stehen seit zwei Jahren große gelbe Metallboxen am Kanal. Aarti und weitere
Frauen trocken die gelben und orangenen Blüten und verarbeiten sie zu
feinem Puder. Aus einem Kilo Blumen werden 80 Gramm Räucherstäbchen und
Kegel gerollt.
2019 gründete Ingenieur Rohit Pratap Singh, der heute 28 Jahre alt ist,
sein Unternehmen in Rishikesh. Er beschäftigt vor allem Frauen aus der
Region. Am Tag bekommen sie 250 bis 300 Kilo Ringelblumen von den Tempeln.
Doch die Verunreinigung des Ganges durch Blumen ist vielleicht das kleinste
Problem.
Drei Jhula-Hängebrücken überspannen den Ganges in Rishikesh. Nur Fußgänger
dürfen sie betreten, die letzte dürfen auch Zweiräder (Roller und
Motorräder) befahren. Am östlichen Ufer der dritten Brücke, Sita Jhula,
befindet sich das Viertel Swarg Ashram. Das ist der Teil des verkehrsfreien
spirituellen Zentrums von Rishikesh – aber auch die gleichnamige Kläranlage
mit einer Kapazität von 3,5 Millionen Litern pro Tag.
Seit 2016 unterstützt die GIZ die Mission „Sauberer Ganges“ (Namami Gange).
Die Kooperation wurde kürzlich bis 2023 verlängert. Die Unterstützung
beläuft sich auf über 14 Millionen Euro, wovon die EU einen Anteil von
knapp 5 Millionen Euro beisteuert. Die GIZ berät die Pilgerstädte Haridwar
und Rishikesh am Oberlauf des Ganges beim Abwassermanagement von neuen und
alten Kläranlagen.
## So macht man aus Abwasser Düngemittel
Was im Klärwerk Swarg Ashram ankommt, wird nicht alles in den Fluss
geleitet. In Tanks wird das Abwasser von Haushalten und dem nahegelegenen
Ashram, der über knapp 2.000 Zimmer verfügt, gesammelt. In der Swarg
Ashram-Anlage findet eine biologische Abwasserreinigung statt: Erst die
Entfernung von Plastik und Sand, dann eine Nachbehandlung in einem großen,
rechteckigen Freilufttank, in dem vier zyklische Prozesse ablaufen:
Befüllen und Belüften, Absetzen und Umfüllen.
Befüllen und Lüften dauert zwei Stunden. Wenn das Abwasser hineinfließt,
ist es weiß schäumend und grau-bräunlich und stinkt. Über einen Diffusor am
Boden des Tanks wird als erstes Sauerstoff aus der Luft zugeführt. Das
schafft günstige Lebensbedingungen für Mikroorganismen, die gelöste und
organische Stoffe im Abwasser als Nahrung biologisch abbauen. Bakterien
sind ja bereits im Abwasser vorhanden.
Bakterien und andere Mikroorganismen bilden einen sogenannten
„Belebtschlamm“, der die biologische Selbstreinigung übernimmt. Innerhalb
von weiteren zwei Stunden setzen sich feine Schwebstoffe als Schlamm auf
dem Beckenboden ab. Das klare Wasser oben wird mechanisch abgeschöpft, das
wässrige Schlammgemisch hochgepumpt und zu einer Schneckenpresse geleitet.
Eine Elektrolytlösung beschleunigt zuvor die Schlammbildung.
Insgesamt dauert es vier Stunden vom Befüllen des Tanks mit Abwasser bis
zur Dekantierung. Der dunkle Rest sieht nun aus wie Kaffeepulver:
Bio-Düngemittel. 700 bis 800 Kilogramm davon werden so pro Tag gewonnen und
kostenfrei abgegeben.
Das abgeschöpfte Wasser wird weiter recycelt. Es sieht zwar sauber aus,
muss aber noch aufbereitet werden. Dazu fließt es in einen separaten Tank
und wird dann chloriert in den Fluss geleitet. Ein Duft von Schwimmbad
liegt in der Luft. Von der Spitze der Anlage aus ist ein kleiner Kanal zu
sehen, der in den Ganges mündet. Vor der Einmündung in den Fluss ist ein
Restchlorgehalt von 0,2 ppm (Teile pro Million) im Wasser erlaubt. Er darf
nicht zu hoch sein, sonst schadet er Lebewesen.
## „Der Fluss ist krank, weil wir ihn krank machen“
Kritiker:innen des Ganges-Reinigungsprojekts bemängeln, dass zwar
Kläranlagen gebaut werden, diese aber oft gar nicht oder nicht rund um die
Uhr arbeiten. Grenzwerte würden überschritten oder gar nicht alle
relevanten Messwerte erhoben. Die Online-Plattform Ganga Tarang, die im
Rahmen der Zusammenarbeit mit der GIZ in 16 Kläranlagen eingeführt wurde,
soll alle Daten zentral abrufbar machen und für mehr Transparenz sorgen. Es
wurden auch Generatoren aufgestellt, um Stromausfälle aufzufangen.
Swami Brahmachari Atmabodhanand ist skeptisch. „Diese Kläranlagen haben
nicht die Fähigkeit, Diesel und Reiniger-Rückstände zu entfernen; die
restlichen Giftstoffe gelangen direkt in das Wasser“, sagt er. Der junge
Swami hinterfragt, warum Wasser aus den Kläranlagen nicht anderweitig
genutzt wird, statt einfach in den Ganges zu fließen.
Doch der Fluss braucht das Wasser: Weiter oben in den Bergen wird er
bereits gestaut und umgeleitet, seine Wassermenge hat bereits stark
abgenommen, was sich auf die Qualität des Wassers auswirkt.
„Der Fluss ist krank, weil wir ihn krank machen“, sagt der Diplomingenieur
und vergleicht den Ganges mit einem Patienten, dem Heilung versprochen
wird, dem aber gleichzeitig Gift verabreicht und Blut abgezapft wird.
„Inder:innen sind sehr clever“, sagt er und lacht etwas verzweifelt. Er
glaubt, dass die Leute immer Wege finden, um die Regeln zu umgehen.
Atmabodhanand ist sein Anliegen ernst: Er ist kürzlich erneut in den
Hungerstreik getreten, um auf die Zerstörung des Ganges aufmerksam zu
machen. Doch er wurde von den Behörden ins Krankenhaus gebracht. In seinem
Ashram gab es bereits Todesfälle durch Hungerfasten für den Ganges.
Vorerst ändert sein Engagement nicht viel an der Ironie, dass Abwässer und
giftige Chemikalien aus der Industrie weiterhin im Ganges landen, obwohl er
als heilig gilt und als Göttin Ganga verehrt wird – und in dem derzeit
wieder Hunderttausende während der religiösen Versammlung Kumbh Mela baden.
Viele hier hoffen, dass der Ganges so rein bleibt, er sich selbst aufgrund
spezieller Bakterien heilt, die im Wasser nachgewiesen wurden. Doch damit
das so bleibt, müssen mehr Menschen dafür sorgen, dass der Ganges, wenn er
Uttarakhand verlässt, nicht mehr ganz oben steht auf der Liste der
dreckigsten Flüsse der Welt.
1 Apr 2021
## AUTOREN
Natalie Mayroth
## TAGS
Schwerpunkt taz folgt dem Wasser
Indien
IG
Lesestück Recherche und Reportage
GNS
Schwerpunkt taz folgt dem Wasser
Sudan
Indien
Schwerpunkt taz folgt dem Wasser
Schwerpunkt taz folgt dem Wasser
Schwerpunkt taz folgt dem Wasser
## ARTIKEL ZUM THEMA
Trockenheit in Indien: Wasserfrauen auf Mission
Babita Rajput und Hunderte andere Frauen sorgen dafür, dass Indien nicht
verdorrt. Dabei ist auch eine neue Frauenbewegung entstanden.
Landwirtschaft am Nil in Sudan: Die phantastische Insel
Zwischen dem Blauen und Weißen Nil liegt das heimliche Eldorado Sudans.
Aber die Bauern dort fürchten um ihre Zukunft.
Umstrittene Agrarreform in Indien: Angst reibt Farmer auf
Seit Monaten protestieren indische Bauern gegen Privatisierungsgesetze.
Mehr als 360 sind bereits gestorben. Ein Blog will ihre Namen ehren.
Musik zum Weltwassertag: Vom Rauschen des Wassers
Zwischen indischer Volksmusik und Rap-Fusion: Das Album des
grenzüberschreitenden Kollektivs Faraway Friends macht auf Dürren in Indien
aufmerksam.
Verschmutzung des Ganges in Indien: In der Sündenfalle
Im heiligen Fluss der Göttin Ganga können sich Hindus zum Fest Maha Khumbh
reinwaschen. Dem Ansturm ist der Ganges nicht mehr gewachsen.
Journalisten über Nil-Berichterstattung: „Nationalismen überwinden“
Das Netzwerk Info Nile ermutigt Journalisten entlang des Nils,
zusammenzuarbeiten. Die Probleme mit Wasser überschneiden sich in den
Ländern.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.