# taz.de -- Trockenheit in Indien: Wasserfrauen auf Mission | |
> Babita Rajput und Hunderte andere Frauen sorgen dafür, dass Indien nicht | |
> verdorrt. Dabei ist auch eine neue Frauenbewegung entstanden. | |
Bild: Babita Rajput (in der Mitte) mit anderen Frauen in Chattrapur | |
CHATTARPUR taz | Punia Devi trägt voller Stolz ein sechs Meter langes | |
hellblaues, fließendes Gewand, das ihre Schulter, Hüften und Beine umhüllt. | |
Beim Verlassen des Hauses streift sich die Inderin den Stoff leicht über | |
den Kopf. Der Sari in Wasserblau ist ihre Uniform. So erkennt jeder von | |
Weitem, dass sie eine Jal Saheli ist: eine Wasserfrau. | |
Diese Frauenbewegung umfasst Hunderte Freiwillige. In einer der trockensten | |
Regionen Indiens versuchen die Frauen, ihre Wasserversorgungsprobleme | |
selbst zu lösen. | |
Devi lebt in Bundelkhand, wo es an Wasser besonders mangelt. Deshalb ist | |
die Zeit kurz vor dem Sommermonsun, wenn feuchte Luftmassen über den | |
Subkontinent strömen und der üppige Regen ausgetrocknete Landschaften | |
aufblühen lässt, die wichtigste für die Jal Saheli. Rechtzeitig müssen | |
Teiche, [1][Stauseen und Dämme] regenfest gemacht werden, damit das | |
kostbare Nass möglichst lange erhalten bleibt. | |
Punia Devi weiß, was es bedeuten kann, wenn zu wenig Wasser vorhanden ist: | |
Dann gibt es nur eine Ernte im Jahr, Geld für die Ausbildung ihrer Kinder | |
fehlt, und die Familie muss ihr Erspartes für teure Wasserkäufe | |
zusammenkratzen. Mit organischem Düngemittel aus Eierschalen und einer | |
verbesserten Wasserversorgung konnte sie allerdings die Ernteerträge auf | |
ihrem Acker vergrößern. „Früher hatten wir 200 Kilo Ertrag – daraus sind | |
700 geworden“, sagt Devi bei einem Besuch in ihrem Dorf Jhiria Jhor. Damit | |
habe sie genügend Getreide, um es zu verkaufen und das restliche Geld in | |
die Schulausbildung ihrer Kinder zu investieren. | |
## Über das Wasser singen | |
Die Frauen setzen auf einfache und altbewährte Techniken, um Regenwasser zu | |
sammeln. Doch für das Instandsetzen von Teichen und Wasserpumpen ist Kraft | |
gefragt. Starke Arme haben Bundelkhands Frauen ohnehin von den Pumpen, mit | |
denen sie jeden Tag Wasser aus den Brunnen ziehen. | |
Vielerorts gibt es keine Wasserleitungen – man braucht Handwasserpumpen wie | |
die „India Mark II“, die Wasser aus bis zu 50 Meter Tiefe holen können. In | |
Workshops lernen die Frauen, wie man diese Pumpen repariert und instand | |
hält. Ohne funktionierende Pumpen müssten sie kilometerweit zur nächsten | |
Wasserquelle laufen. | |
„Lass das Regenwasser nicht abfließen, lass es in den Boden sickern. | |
Pflanzt Bäume, sie werden das Wasser zurückhalten“, singt eine junge Frau | |
namens Babita Rajput. Dass sie eine Jal Saheli ist, sieht man ihr nicht auf | |
den ersten Blick an. Einen blauen Schleier sucht man bei ihr vergebens. Um | |
ihren Hals trägt sie eine Tattoo-Kette aus schwarzen Plastikringen, die | |
Haare hat sie zum Pferdeschwanz gebunden. | |
Aus den Arbeitsanweisungen, die die Frauen verinnerlicht haben, hat die | |
21-jährige Babita ein Lied komponiert. Volkslieder sind in Bundelkhand | |
[2][Tradition]. Über das Wasser zu singen, verbindet die Bäuerin Punia Devi | |
mit der Studentin Babita Rajput, die zwar nur wenige Kilometer entfernt im | |
zentralindischen Distrikt Chattarpur lebt, aber kaum ein | |
unterschiedlicheres Leben führen könnte. Als Jal Saheli engagieren sich | |
beide im Wasserrat ihrer Dörfer, dem Pani Panchayat. | |
Babita Rajput blickt zufrieden auf die vergangenen Monate zurück. In | |
Agrotha haben sie einen neuen Stausee gebaut. Sie wollte auch an einem | |
Berghang Regenwasser umleiten und den See weiter füllen. Doch der Hang | |
fällt unter die Verwaltung des Forstamts, was eine Genehmigung erforderlich | |
macht. Also forderte sie zusammen mit 200 Frauen aus dem Dorf die Erlaubnis | |
für einen 100 Meter langen Graben ein. Dass das Wasser nun nicht wieder | |
abfließt, sondern den Menschen zur Verfügung steht, ist ihnen zu verdanken. | |
## Wasser ist Frauensache | |
Die Männer hätten kaum bemerkt, wie sehr Frauen täglich unter dem | |
Wassermangel litten, sagt Babita Rajput. Vorher waren alle auf den See als | |
Trinkwasserquelle angewiesen. Aber der trocknete wegen der geringen | |
Niederschläge im Lauf des Jahres schnell aus. Die Nutzung von Grundwasser | |
war die einzige Alternative. Im Dorf gab es aber nur zwei Handpumpen und | |
immer viel Andrang. | |
„Bevor ich mich den Jal Saheli anschloss, hatten wir ein ernstes | |
Wasserproblem“, erinnert sie sich. Im Wasserrat entscheidet Babita Rajput | |
mit, wo eine neue Handpumpe gebaut oder ein verwahrloster Dorfteich | |
wiederbelebt werden kann. „Jetzt bin ich in der Lage, für meine Rechte zu | |
kämpfen“, sagt Rajput, die aus einer Bauernfamilie aus dem Dorf Agrotha | |
kommt. | |
„Wasser ist im Grunde eine [3][Frauensache], vor allem in Bundelkhand, wo | |
[4][Frauen das Wasser holen]“, sagt Shivani Singh, Koordinatorin bei der | |
Organisation Parmarth Samaj Sevi Sansthan, die den Frauen seit neun Jahren | |
dabei hilft, Wasserdorfräte aufzubauen. Die Männer verlassen die Dörfer und | |
heuern in der Fremde als Saison- oder Aushilfskräfte an. „Häufig schließen | |
sich die Töchter ihren Müttern an, um Wasser zu holen, worunter ihre | |
Schulausbildung leidet“, ergänzt Singh. | |
Durch ihre Aufgaben im Wasserrat bekommen die Frauen Anerkennung. „Wer zu | |
einer Führungspersönlichkeit geworden ist, kann über mehr als nur Wasser im | |
Dorfrat diskutieren“, erklärt Singh. Die Coronapandemie hat neue | |
Herausforderungen gebracht. Plötzlich waren wieder mehr Menschen in den | |
Dörfern, Indiens Städte standen durch den Lockdown still. Die [5][aus den | |
Städten zurückgekehrten Arbeiter] akzeptierten, dass die Wasserfrauen bei | |
der Wasserkonservierung und -verwaltung das Sagen haben. | |
Seit Rajput den Jal Saheli beigetreten ist, ist sie über Chattarpur hinaus | |
bekannt geworden. Dazu trug bei, dass sie im Februar in einem Podcast des | |
indischen Premierministers Narendra Modi als Wasserfrau lobend erwähnt | |
wurde. „Ihr werdet alle Inspirationen in dem finden, was Babita Rajput aus | |
dem Dorf Agrotha in Madhya Pradesh leistet“, sagte Modi. Stellvertretend | |
wurden auch zwei Jal Saheli vom UN-Entwicklungsprogramm UNDP ausgezeichnet. | |
Ihr [6][Gesang inspirierte die Band Moop Mama] zu einem Remix auf ihrem | |
Album „Rain Is Coming“. | |
## Traditionelle Stauseen gegen die Trockenheit | |
Doch trotz der Ehrungen verstehen es nicht alle Dorfbewohner:innen, | |
wenn Frauen selbstbewusst handeln. So wird manchmal hinter Rajputs Rücken | |
gemunkelt, wie sie denn jemals einen Mann finden soll. Die Studentin stört | |
das aber wenig, sie verfolgt ihre eigenen Pläne: Sie möchte nach der Uni | |
als Lehrerin oder Sozialarbeiterin arbeiten. Seit der Pandemie unterrichtet | |
sie im Dorf bereits die Jüngeren, da die Schulen weiterhin geschossen sind. | |
Mit dem Heiraten hat sie es nicht eilig. | |
Bundelkhand hat schon lange mit Wassermangel zu kämpfen. „Dürreperioden | |
treten immer häufiger auf“, erklärt die Wissenschaftlerin Radhika Singh, | |
[7][die ihre Masterarbeit über die Region geschrieben] hat. Grund sei die | |
jahrzehntelange unkontrollierte Grundwasserentnahme durch die kommerzielle | |
Landwirtschaft. „Diese Nutzung übersteigt bei Weitem die Neubildung des | |
Grundwassers“, so Singh. Wasserknappheit mache die Menschen ärmer und | |
zerstöre die Umwelt. | |
Um die Lage zu verbessern, schlägt Singh vor, die Grundwasserentnahme | |
umweltgerechter zu gestalten. „Viele Versuche, traditionelle Stauseen | |
wiederzubeleben, sind aber gescheitert, da sie verfallen sind“, sagt Singh. | |
Die Regierung will stattdessen überschüssiges Wasser aus anderen Gebieten | |
umleiten, aber aufgrund der Auswirkungen auf Dörfer, Wälder und die | |
Flussökologie raten Wissenschaftler:innen wie Singh von diesem | |
Megaprojekt ab. | |
Eine Alternative wäre, den Sandabbau entlang der Flüsse einzuschränken. | |
Doch da steht Korruption im Weg, es ist ein lukratives Geschäft. Oder die | |
Umstellung der Landwirtschaft von wasserintensiven Pflanzen auf ökologische | |
Sorten und die Nutzung von Stauseen mit klaren Verwaltungsstrukturen zum | |
Regenwassersammeln. Es ist ein Wettlauf mit dem Klimawandel. | |
Inzwischen hat der lange ersehnte Regen eingesetzt und die dritte | |
Jahreszeit hat begonnen – die Monsunmonate zwischen Winter und Sommer, in | |
denen etwa 90 Prozent des Jahresniederschlages fällt. In Chattarpur sind | |
die Teiche vollgelaufen. Die Felder um ihr Haus herum erstrahlen in | |
frischem Grün. Die Wasserbüffel glänzen schwarz. So idyllisch mutet | |
Bundelkhand nur im Monsun an. In dieser Zeit steigt der Pegel des Flusses | |
Betwa, es bilden sich großflächige Seenlandschaften. Sie münden 600 | |
Kilometer später in die Yamuna, den wichtigsten Nebenfluss des Ganges. | |
Mitarbeit: Mayur Yewle | |
10 Aug 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Staudamm-im-Libanon/!5715776 | |
[2] https://www.youtube.com/watch?v=G0a1lM-I72k | |
[3] /Gefluechtete-in-Jordanien/!5776850 | |
[4] /Maasai-in-Kenia/!5741034 | |
[5] /Indiens-Tageloehner-in-der-Coronakrise/!5675061 | |
[6] /Musik-zum-Weltwassertag/!5759709 | |
[7] https://dspace.mit.edu/handle/1721.1/127627 | |
## AUTOREN | |
Natalie Mayroth | |
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